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Analyse So treffen die Russland-Sanktionen die deutsche Wirtschaft

Ihr Effekt auf das BIP ist erstaunlich klein. Wirklich gefährlich sind psychologische Mechanismen. Von Holger Schmieding
Für die Russen ist der Ausblick nach den Sanktionen schlechter als für die EU-Bewohner
Für die Russen ist der Ausblick nach den Sanktionen schlechter als für die EU-Bewohner
© Getty Images

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er blogt hier regelmäßig über makroökonomische Themen. Sie können ihm und seinem Team auf Twitter folgen.

Gefährdet Putin den deutschen Aufschwung? Das ist leider nicht auszuschließen. Russlands Rachefeldzug gegen die pro-europäische Ukraine hat sich zum größten Risiko für unsere Konjunktur entwickelt. Bisher ist der Schadensfall allerdings nur zu einem kleinen Teil eingetreten. Und wenn Putin sich zumindest halbwegs vernünftig verhält, wird der wirtschaftliche Schaden für Deutschland sich weiter in engen Grenzen halten. Denn alles, was Deutschlands Konjunktur kurzfristig eine kräftige Delle verpassen könnte, würde Russlands Wackelwirtschaft in eine Depression stürzen. Davor wird Putin – hoffentlich – dann doch zurückschrecken.
Putins verdeckter Krieg gegen die Ukraine kann die deutsche Konjunktur auf dreierlei Weise treffen. Zunächst einmal dreht sich die Debatte um die Sanktionen, die die Europäische Union bisher in eher vorsichtigen Schritten verhängt hat. Die direkten Kosten dieser Sanktionen für die deutsche Wirtschaft sind minimal, sie werden in unseren gesamtwirtschaftlichen Statistiken selbst mit der Lupe kaum zu finden sein. Denn die Sanktionen sind clever. Sie behindern vor allem den russischen Zugang zu Kapital. Russlands fragiler Petro-Wirtschaft, die ohnehin unter massiver Kapitalflucht leidet, tut das richtig weh. Dort zeichnet sich bereits jetzt eine Rezession ab. Aber für uns ist das nahezu bedeutungslos. Dass zudem einige deutsche Maschinenbauer keine modernen Ausrüstungen für das Bohren nach neuen Ölquellen liefern dürfen und einige Rüstungsbetriebe auf neue Aufträge verzichten müssen, spielt angesichts der großen Breite der deutschen Industrie ebenfalls kaum eine gesamtwirtschaftliche Rolle. Auch schärfere Sanktionen würden daran nur wenig ändern.

0,2 % des BIP verschwindet - auf diesen Effekt müssen wir uns einstellen

Wesentlich mehr als die eigentlichen Sanktionen fällt jedoch die russische Wirtschaftsschwäche ins Gewicht, die durch Kapitalflucht und Sanktionen noch verstärkt wird. Deutschlands Ausfuhren nach Russland entsprachen im Jahr 2013 etwa 1,3% der deutschen Wirtschaftsleistung; rechnen wir die Ausfuhren in die Ukraine dazu, erhöht sich dies auf knapp 1,6%. Russlands ineffiziente Wirtschaft läuft nur bei steigendem Ölpreis rund. Da der Ölpreis aber Mitte 2012 seinen Höhenflug beendete, hat die deutsche Ausfuhr nach Russland bereits seit Ende 2012 immer mehr an Dynamik verloren. Bereits im Schlussquartal 2013, also lange vor der eigentlichen Ukraine-Krise und dem Beginn einer Sanktionsdebatte, lag die deutsche Ausfuhr nach Russland um knapp 11% unter dem Vorjahreswert. Für 2014 zeichnet sich auch ohne große Sanktionen ein Einbruch um mindestens 20% ab. Ein Rückgang unserer Ausfuhr nach Russland und in die Ukraine um 25% entspräche 0,4% unserer Wirtschaftsleistung. Wenn wir annehmen, dass der Einfuhranteil in deutschen Ausfuhren bei knapp der Hälfte liegt, so ergäbe sich ein Verlust an deutscher Wertschöpfung von gut 0,2% unseres Bruttoinlandsproduktes. Auf mindestens diesen Verlust müssen wir uns einstellen.
Allerdings kann der reine Blick auf den grenzüberschreitenden Warenaustausch den eigentlichen Putin-Effekt weit unterschätzen. Denn die Konjunktur lebt vom Vertrauen. Wenn Unternehmen mit Zuversicht in die Zukunft blicken, stocken sie ihre Investitionen auf und stellen neue Arbeitnehmer ein. Sind die Verbraucher gut gelaunt, geben sie mehr aus. Deshalb müssen wir vor allem beobachten, ob und wie sehr Putins Krieg den deutschen Unternehmen und Verbrauchern die Stimmung verdirbt.

Bisher hält sich dies in Grenzen. Im besonders stimmungsanfälligen Verarbeitenden Gewerbe hat sich das Geschäftsklima in den letzten drei Monaten eingetrübt. Allerdings war die Stimmung im April derartig gut, dass der Ifo-Index für das Geschäftsklima auch nach dem dreimaligen Rückgang im Juli immer noch ein hohes Niveau erreichte. Statt überschäumendem Wachstum zeigt der Index jetzt eben nur noch einen satten Zuwachs an. Im binnenmarktorientierten Dienstleistungsgewerbe ist bisher kein echter Putin-Effekt messbar. Das Verbrauchervertrauen ist laut GfK im Juli sogar weiter gestiegen, auch wenn der Anstiegswinkel sich etwas abgeflacht hat. Kurz gesagt: das Verarbeitende Gewerbe mit seinem hohen Ausfuhranteil verliert ein wenig an Schwung, ansonsten lastet Putin bisher kaum auf der deutschen Konjunktur.

Die eigentliche Gefahr ist psychologischer Natur

Natürlich könnte sich dies schnell ändern. Sollte Putin seine Panzer offen und weit über die ukrainische Grenze rollen lassen, könnte dies einen Vertrauensschock in Mittel- und Osteuropa auslösen. In dem Fall müsste vielleicht sogar der deutsche Bundestag darüber diskutieren, wie viele deutsche Soldaten als Teil eines großen NATO-Kontingents an die polnische Ostgrenze verlegt werden müssten, um ein weiteres Vorrücken des russischen Militärs abzuschrecken. Dieser Vertrauensschock könnte bei uns in Deutschland eine kurze Rezession auslösen.
Putin hat sich als unzuverlässiger Lügner entlarvt und sich in eine unbequeme Ecke manövriert. Das ist durchaus gefährlich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er den Konflikt weiter eskaliert, auch um daheim dann den Westen für den Einbruch der russischen Wirtschaft verantwortlich machen zu können. Aber die Folgen für die russische Wirtschaft wären so katastrophal, das er vermutlich davor zurückschrecken wird. Auch die Erdgaszufuhr nach Europa wird Russland wohl kaum unterbrechen. Denn Russland finanziert ein Drittel seines Staatshaushaltes aus den Erlösen seiner Energieexporte nach Europa. Im Zweifelsfall braucht Russland dieses Geld sogar noch mehr, als wir auf die russische Energie angewiesen sind.

Wir müssen die Risiken eingehend beobachten. Aber wahrscheinlich werden sie nicht in vollem Umfang eintreten, da selbst ein zunehmend irritiert wirkender Putin vermutlich nicht die russische Wirtschaft und damit einen wichtigen Teil seiner Machtbasis komplett in die Brüche gehen lassen möchte. Bisher sieht es so aus, als könne die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr trotz Putin um etwa 2% wachsen. Ohne Putin wären wohl - kalkuliert man den Vertrauensverlust ein - 2,3% erreichbar gewesen. Einen solch kleinen Dämpfer könnte Deutschland gut wegstecken.

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