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Kommentar Der Euro braucht mehr als Passivität

Still liegen bleiben, bis alles vorbei ist - so will die Eurozone die Krise überstehen. Schon die Europawahl könnte diese Taktik durchkreuzen. Von Brigitte Granville
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Es gilt als Allgemeinwissen, dass sie bei der Begegnung mit einem Bären reglos liegen bleiben sollen, bis er das Interesse verliert (oder annimmt, dass sie tot sind) und sie allein lässt. Aber es gibt verschiedene Bärenarten, und einige von ihnen lassen sich eher durch mutiges, zielgerichtetes Handeln abschrecken. Die Frage ist, wie man den richtigen Ansatz wählt, wenn einem der personifizierte Schrecken ins Gesicht starrt.

Dieses Szenario hilft beim Nachdenken über die Eurozone, die versuchen muss eine neue Runde von Bewährungsproben zu überleben - beginnend mit der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai. Kann sie einfach weiter still liegen bleiben in der Hoffnung, dass keine neuen Schocks auftreten, die ihre wirtschaftliche Gesundheit beeinträchtigen oder gar ihr Überleben bedrohen? Einige halten die sanguinische Ansicht, der aktuelle „Stillhalte“-Ansatz reiche für mehr aus, als nur ein Schrumpfen der Eurozonen-Wirtschaft zu vermeiden.

Brigitte Granville ist Professorin für international Wirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Queen Mary University of London und Autorin von "Remembering Inflation"
Brigitte Granville ist Professorin für international Wirtschaft und Wirtschaftspolitik an der Queen Mary University of London und Autorin von "Remembering Inflation"

Aus ihrer Sicht sind die in Deutschland beschlossenen tatsächlichen und möglichen Transfers der letzten drei Jahre gerade groß genug, um eine finanzielle Kernschmelze zu verhindern. Und sie ermöglichten es der Eurozone endlich, sich irgendwie von einem halben Jahrzehnt der Rezession und Stagnation zu erholen.

Tatsächlich können diese Transfers – gemeint sind die vom Europäische Stabilitätsmechanismus finanzierten Rettungsprogramme und das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank zum Kauf von Staatsanleihen - kaum mehr als den Zusammenbruch abwenden. Sie schieben aber nicht die Wirtschaftsleistung an, weil sie abhängig von der Fortsetzung der internen Abwertung bei den Empfängerländern sind (Senkung inländischen Löhne und Preise).

Die Wiederbelebung der Euro-Wirtschaft erfordert radikalere Anstrengungen, um die miteinander verbundene Staatsschulden -und Bankenkrise zu lösen. Genauer gesagt braucht es eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden durch Eurobonds und damit die Abschaffung der Steuerhoheit der Euro-Länder sowie eine vollwertige Bankenunion mit einer Rekapitalisierungsbehörde und einer gemeinsamen Einlagensicherung – das ist weit entfernt von dem, was vereinbart wurde.

Interne Abwertung verschlimmert soziale Lage

Wenn die führenden Politiker Europas weiterhin milde Schmerzmittel verabreichen statt eine mutige Taktik einzuschlagen, ist das Best-Case-Szenario eine glanzlose Erholung mit einer BIP-Wachstumrate von jährlich ein bis zwei Prozent. Leider reicht dieses wahrscheinlich beste Szenario nicht aus, um künftige Staatsschuldenausfälle in Ländern wie Italien, Spanien, Frankreich zu verhindern. Mit anderen Worten, ab einem gewissen Punkt kann Stillhalten keine Option mehr sein.

In der Tat könnten die Verantwortlichen in der Eurozone noch schneller zum Handeln gezwungen sein. Während die Aussichten auf das OMT-Programm Finanzschocks in Schach halten, zumindest für den Moment, so scheint ein politischer Schock immer wahrscheinlicher, wenn sich die Wähler der Politik der internen Abwertung widersetzen, die die hohe Arbeitslosigkeit und die Untergrabung des Lebensstandards verschlimmert. Die bevorstehende Wahl zum Europäischen Parlament könnte so ein Schock sein.

Wie es aussieht, hat sich Europas politische Klasse zur internen Abwertung in allen unruhigen Volkswirtschaften der Eurozone verpflichtet. Der alternative Ansatz – die Demontage der Eurozone, um externe Abwertungen zu ermöglichen - ist damit Spielplatz der bisher marginalisierten politischen Parteien, die sich in Meinungsumfragen im Aufwind befinden.

In Frankreich repräsentieren die betroffenen Gruppen – der Front Nationale und die Vereinigte Linke – die politischen Extreme. In Italien kann eine weltanschaulich neutrale Anti-Establishment-Kraft entstehen, mit einem viel schärferen Anti-Euro-Ansatz als die populistische Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillos, die im vergangenen Jahr zur drittgrößten politischen Kraft des Landes wurde. Da diese Parteien an Zugkraft gewinnen, verringern sich die Überlebenschancen des Euro.

Das Dilemma des politischen Establishments in Europa resultiert aus einer Kombination von irrationaler Furcht und eitlem Ehrgeiz. Das wird in Frankreich besonders deutlich, wo die Währungsunion häufig als Werkzeug zur Nutzung der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands angesehen wird, um sich als Weltmacht darzustellen. Da ein Auseinanderbrechen der Eurozone das Ende des europäischen Projekts des französischen Establishments bedeuten und die Fähigkeit Europas schwächen würde, seine Interessen gegenüber Weltmächten wie den Vereinigten Staaten und China durchzusetzen, ist eine „monetäre Anti-Union“ undenkbar.

Auf Augenhöhe mit den USA

Frankreichs globale Ambitionen werden offensichtlich, wenn Mainstream-Politiker über den Euro diskutieren. Zum Beispiel als im Jahr 2011 der frühere Wirtschaftsminister Edmond Alphandéry erklärte, dass der Euro-Austritt eines Mitgliedslandes so wahrscheinlich sei wie ein Dollar-Austritt von Texas oder Kalifornien.

Hier tritt die Wunschvorstellung, die der Euro seine Existenz verdankt, offen zutage: Seine französischen Architekten träumten von einem Europa, das den USA gleich kommt. Das war immer ein illusorisches Ziel, aber es umwölkt immer noch das Urteilsvermögen der europäischen Staats-und Regierungschefs.

Die Befürworter der Einheitswährung haben in einem Punkt recht: Politische Motive haben die Einrichtung von Währungsgemeinschaften immer untermauert, von der lateinamerikanischen in den Jahren 1865 bis 1927 bis zu der zwischen Irland und Großbritannien von 1922 bis 1979. Aber es fehlt ein entscheidender Punkt: Politik ist auch der Grund für die Auflösung dieser Währungsverbände. Wenn die wirtschaftlichen Kosten und Unterschiede zu einer zu großen Bedrohung werden, wird der politische Wille zusammenbrechen, alles zum Überleben der Gemeinschaftswährung zu tun.

Der Widerstand der Wähler gegen den Euro könnte die Eurozone zwingen, ihr Stillhalten aufzugeben und konkrete Schritte in Angriff zu nehmen. Die Frage ist, ob das bedeuten würde, dass einige oder alle Länder der Eurozone ihre eigenen Wege gehen müssen.

Copyright: Project Syndicate, 2014
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