Vallourec? Den Namen des französischen Stahlkonzerns kennt in Deutschland so gut wie niemand. Die Mannesmann AG? Sie existiert schon lange nicht mehr, aber man erinnert sich immer noch an die 1899 gegründete Industrieikone. Der historische Kern des Traditionskonzerns – die Röhrenwerke in Düsseldorf – gehören seit 2005 den Franzosen. Doch jetzt geht dieses Stück Industriegeschichte ein für alle Mal zu Ende: Vallourec schließt die beiden deutschen Standorte. Und diese Entscheidung passt gleich mehrfach in die Zeit – so sehr auch die 2400 Beschäftigten darunter leiden. Ihren Zenit errichten die Röhrenwerke in den 70er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts mit einem Deal, der bis heute nachwirkt: Dem Erdgas-Röhren-Geschäft mit der Sowjetunion. Die Deutschen lieferten nahtlose Großröhren für das Pipelinesystem, durch das bis heute das Gas aus dem hohen Norden Russlands fließt. Solche Geschäfte wird es nach dem Krieg in der Ukraine nie wieder in Europa geben. Vallourec bedient die Öl- und Gasindustrie künftig vom Standort in Brasilien aus. Geschäfte verspricht man sich vor allem in den USA.
Der russische Überfall auf die Ukraine und der Entschluss der Europäer, sich aus der einseitigen Abhängigkeit von Wladimir Putin zu befreien, verändern die globalen Energiemärkte nachhaltig. Die deutsche Industrie muss sich auf dauerhaft höhere Preise für Erdöl und Erdgas einstellen. Die Folgen des Kriegs beschleunigen damit den industriellen Strukturwandel, der im Zeichen des Klimawandels ohnehin in den nächsten Jahren unvermeidbar gewesen wäre. Kurzfristig muss die Industrie mit hohen Belastungen fertig werden, auf lange Sicht aber wird der Wandel den Standort Deutschland stärken.
Die Politik sollte den Strukturwandel befördern
Bisher aber mogelt sich die Politik um eine entscheidende Wahrheit herum: Viele Unternehmen werden den Strukturwandel trotz aller staatlichen Überbrückungshilfen nicht überleben. Es wird viele Fälle wie Vallourec in Düsseldorf geben. Das gilt vor allem für Teile der Chemieindustrie, der Metallbranche, der Porzellan- und Glashersteller. Sie alle waren mit billigen Energielieferungen aus Russland gerade noch wettbewerbsfähig, nun rutschen sie unter die Schwelle. Die Produktion wandert ab in andere Länder. Dieser Prozess ist unvermeidlich und niemand kann ihn aufhalten. Die Politik sollte diesen Strukturwandel befördern und nicht durch neue Dauersubventionen zu bremsen versuchen.
Innerhalb vieler Branchen trennt sich nun erneut die Spreu vom Weizen. Beispiel Stahlindustrie: Ohnehin angeschlagene Konzerne wie Thyssenkrupp geraten noch stärker in die Defensive, Konzerne wie Salzgitter können den Sprung in den grünen Stahl vielleicht schaffen. Vielleicht aber kommt die lange Ära der ganzen deutschen Stahlindustrie nun genauso an ihr Ende wie die jetzt Mannesmann-Geschichte. Die Skandinavier verfügen einfach über die besseren Karten, wenn es in der Stahlherstellung um den Umstieg auf Wasserstoff geht.
Ähnlich sieht es in der Chemieindustrie aus: Wer sich frühzeitig auf höherwertige Produkte konzentriert hat, überlebt den jetzigen Energiepreisschock. Wer aber immer noch auf einfache Basischemikalien setzt, der gerät in einen Abwärtsstrudel. Man kann die Prognose wagen: In fünf bis zehn Jahren sieht die Branche, die bisher als Aushängeschild der Deutschland AG galt, ganz anders aus als heute.