Autos, Smartphones, Haushaltsgeräte – die Lieferengpässe bei Halbleitern schlagen auf viele Unternehmen durch und sorgen für Produktionsstopps und Lieferverzögerungen. Seit Monaten produziert die Halbleiterindustrie auf Hochtouren, trotzdem reißt die Nachfrage an verschiedenen Halbleitern nicht ab.
Allein in der Autoindustrie können im ersten Halbjahr 2021 zwei bis vier Millionen Autos nicht gebaut werden, weil Mikrochips fehlen. Dort mangelt es vor allem an elektronischen Bauteilen wie Oszillatoren, Mikrocontrollern und Powerchips. Wegen der Knappheit haben Hersteller wie Volkswagen, Ford, Nissan oder Honda seit Anfang des Jahres immer wieder ihre Bänder anhalten müssen. Peugot behilft sich deshalb bereits mit analogen Funktionen. Ab Mai soll das Modell Peugeot 308 statt eines digitalen wieder einen analogen Tacho erhalten.
Kalt erwischt vom Nachfragehoch durch Corona
Dass die Autobauer von den Halbleiter-Engpässen besonders getroffen werden, liegt vor allem an der Nachfrage in der Pandemie. Unter dem Eindruck rückläufiger Bestellungen hatten viele Unternehmen ihre Bestellungen reduziert. Dann kam die Autonachfrage aber schneller zurück als erwartet. Die Chiphersteller haben ihre Produktion in der Zwischenzeit jedoch auf Chips für Computer und Smartphones umgestellt, die schon zu Beginn der Pandemie ein Nachfragehoch erlebten.
Die verfügbaren Mikrocontroller waren zu diesem Zeitpunkt bereits vom Markt verschwunden, weil China durch seinen vergleichsweise frühen Aufschwung nach der ersten Welle bereits die gestiegene Autonachfrage mit erhöhter Produktion bediente. Verglichen mit Computer- und Handyherstellern sind Autobauer relativ kleine Abnehmer der Chipbranche. Etwa acht Prozent aller weltweit produzierten Halbleiter wandern in Autos, das entspricht etwa der Nachfrage des US-Tech-Konzerns Apple.
Die Chip-Knappheit betrifft aber nicht nur Mikrocontroller, sondern macht sich auch bei Elektronik- und Haushaltsgeräten bemerkbar. In der Unterhaltungselektronik sind aktuell vor allem die Display-Driver-Chips heiß begehrt. Sie dienen dazu, grundlegende Informationen zur Beleuchtung von Bildschirmen, Monitoren oder Navigationssystemen zu übertragen, auch Energie-Management-Chips sind knapp.
Zahlreiche Kunden, wenige Hersteller
Hinzu kommt, dass die Halbleiterindustrie sich auf eine überschaubare Anbieterzahl konzentriert. Rund zwei Drittel der globalen Produktionskapazitäten für die Fertigung von Chips und Prozessoren befinden sich im Ausland. Der Grund: Viele Halbleiter-Hersteller weltweit entwickeln zwar die Chips, final produziert werden sie allerdings in sogenannten „Foundries“.
Die größte unter ihnen ist TSMC aus Taiwan, der drei Viertel seiner Halbleiter im Auftrag produziert – auch für amerikanische Chip-Hersteller. Zwar rechnet TSMC damit, dass sich die Lage in der Autoindustrie entspannen wird. Laut IHS Markit kommen rund 70 Prozent der Mikrocontroller für Autos aus den TSMC-Werken. Die generelle Knappheit sei damit allerdings noch nicht behoben. Nach eigenen Angaben läuft die Chip-Produktion des Unternehmens bereits unter Volllast. Die weiter steigende Nachfrage könne nicht mehr bedient werden.
Unerwartete Produktionsstopps bei weiteren Chip-Produzenten im ersten Quartal haben die Lage zusätzlich verschärft. Im Februar sorgte ein Erdbeben für einen zweitägigen Produktionstopp bei Renesas Electronics, Japans größtem Hersteller für Auto-Chips. Im März musste die Produktion nach einem Brand vorübergehend ruhen.
Ebenfalls im Februar sorgte ein heftiger Schneesturm im texanischen Austin dafür, dass drei weitere Halbleiter-Produzenten, die auch die Unterhaltungselektronik beliefern – Samsung, NXP Technologies und Infineon –, ihre Chip-Produktionsstätten wegen Stromausfällen schließen mussten. Samsung schloss sein Werk für einen Monat, während Infineon erklärte, erst ab Juni wieder das Niveau vor dem Ausfall zu erreichen. Zuletzt bereitete auch eine Dürre in Taiwan Sorgen darüber, ob die Trockenheit die Wasserversorgung von TSMC und damit die Chip-Produktion beeinträchtigen könnte.
Investitionen in mehr Produktionskapazitäten
Um die Wogen zu glätten kündigten viele Halbleiter-Hersteller an, ihre Produktionskapazitäten weiter auszuweiten. Die neue Produktionslinien dürften sich aber vor allem auf fortschrittlichere und oft dünnere Chips konzentrieren, die Autoindustrie setzt dagegen bislang auf ältere und dickere Chips. Eine spürbare Erleichterung der aktuellen Engpässe, dürfte sich durch eine Ausweitung der Produktion daher nur bedingt einstellen.
Gleichzeitig steht derzeit auch der Bau neuer Produktionsstandorte vor einigen Schwierigkeiten. Denn auch die benötigten Fertigungsmaschinen lassen sich zurzeit nicht in ausreichenden Mengen herstellen – unter anderem weil Chips für die Betriebssysteme fehlen.
Das bedeutet der Chipmangel für die Wirtschaft
Die Folgen des Chipmangels

Der steigende Bedarf an Halbleitern hat vielen der wenigen Produzenten übervolle Auftragsbücher beschert. Zuletzt korrigierte Infineon seine Erwartungen für das Geschäftsjahr 2020/21 nach oben. Der Umsatz soll bis zum 30. September auf 11 Mrd. Euro, plus oder minus drei Prozent, steigen. Bislang war Infineon von 10,5 Milliarden ausgegangen. Auch der US-Chip-Hersteller AMD rechnet mit einem Wachstum von 50 Prozent, zuvor war der Konzern von 39 Prozent ausgegangen. Beim Branchen-Riesen TSMC sorgte die Nachfrage im ersten Quartal ebenfalls für starke Geschäftszahlen. Der Umsatz stieg im ersten Jahresviertel um 17 Prozent auf umgerechnet etwa 10,8 Mrd. Euro, der Überschuss wuchs im Jahresvergleich um fast ein Fünftel auf 4,1 Mrd. Euro. Viele Hersteller kündigten an, in den Ausbau der eigenen Fertigung zu investieren. Bis 2024 wollen beispielsweise TSMC 100 Mrd. Dollar, Samsung rund 116 Mrd. Dollar und US-Anbieter Intel rund 20 Mrd. Dollar in neue Produktionskapazitäten investieren.

Vor allem in der Autoindustrie macht sich der Chipmangel schon länger bemerkbar. In einigen Werken stand die Produktion für mehrere Wochen still. Über 60 Prozent aller Autobauer und ihrer Zulieferer würden laut Münchner Ifo-Institut derzeit über Engpässe bei der Chipversorgung klagen. Im ersten Quartal bedeutete das für die weltweite Autoindustrie Produktionseinbußen von etwa fünf Prozent. Allein US-Autobauer Ford rechnet im zweiten Quartal damit, rund 1,1 Millionen Fahrzeuge weniger zu bauen. Das dürfte den Gewinn um bis zu 2,5 Mrd. Dollar schmälern. Auch in Deutschland soll die Produktion vorübergehend heruntergefahren werden, für die Belegschaft heißt das Kurzarbeit.

Neben den Autobauern bremst der weltweite Chipmangel auch die Zulieferer aus. Bei Hella habe die hohe Nachfrage nach elektronischen Bauteilen in einzelnen Werken zu einer Stopp-and-Go-Produktion geführt, teilte das Unternehmen mit. Continental zog im ersten Quartal angesichts von Lieferproblemen durch den Chipmangel die Höhere-Gewalt-Klausel. Mit dem Schneesturm in Austin und dem Erdbeben in Japan wurden die vorübergehenden Produktionsstopps erklärt. Seit Februar kooperiert Continental mit dem US-Start-up Recogni, das eigene stromsparende Chips entwickelt. 2026 könnte eine erste Serienproduktion mit den Recogni-Chips möglich sein. Auch Autozulieferer Bosch geht im September mit einer eigenen Chipfabrik in Dresden an den Start.

Display-Driver-Chips sind vergleichsweise einfache Bauteile und in der Produktion nicht gerade teuer. Sie sind als 1-Dollar-Chips bekannt. Wegen der hohen Auftragslage bleiben daher auch diese Chips liegen, die vor allem in Monitoren und Displays verbaut werden. Das macht sich etwa in der Mobilfunksparte des Elektronikriesen Samsung bemerkbar. Im ersten Quartal bremste der Mangel an Mikrochips das Displaygeschäft und damit die Bestellungen wichtiger Hersteller von Samsung-Smartphones. Für das zweite Quartal zeichnet sich ab, dass auch der hauseigene Verkauf von Elektronikgeräten und Smartphones beeinträchtigt wird. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn Samsung gehört zu den führenden Chiperstellern. Der Schneesturm-bedingte Produktionsausfall im Werk Austin im Februar verschärfte die Chipknappheit. Nach Angaben Samsungs sind 71.000 Siliziumscheiben von dem vorübergehenden Produktionsstillstand betroffen.

Für viele Menschen rief die Pandemie Homeoffice und Homeschooling auf den Plan. Die dafür nötigen Geräte erlebten ein entsprechendes Nachfragehoch. Nach Angaben der Branchenorganisation gfu schoss der Absatz von Computermonitoren im vergangenen Jahr um fast 60 Prozent auf knapp 4,2 Millionen Geräte in die Höhe. Zudem wurden 10,7 Prozent mehr PCs und fast ein Viertel mehr Notebooks verkauft als 2019. Die gesteigerte Nachfrage schlägt auch auf den Chipbedarf nieder. Tech-Riese Apple hat deshalb bereits die Bestellung von Komponenten für seine MacBooks und iPads vom ersten Quartal auf die zweite Jahreshälfte verschoben. Im aktuellen Quartal rechnet der Tech-Konzern mit Umsatzeinbußen bis zu 4 Mrd. Dollar. Um die Abhängigkeit von Zulieferern zu verringern, setzt der Konzern zunehmend auf eigene Komponenten für seine Geräte.

Neben Autos und Smartphones machen sich die Lieferengpässe allmählich auch bei Haushaltsgeräten bemerkbar. Produzenten wie LG Electronics aus Südkorea mussten zwar die Produktion noch nicht stoppen, allerdings sei man sich des Risikos für die eigene Fertigung bewusst. Kleinere Anbieter vor allem in Asien berichten von Preisanstiegen im Halbleitergeschäft, die die eigene Produktion erschweren. Vor allem Prozessoren, die für einfache Tätigkeiten wie das Wiegen von Wäsche oder das Toasten von Brot nötig seien, seien auf der Prioritätenliste der Chiphersteller deutlich nach hinten gerutscht, berichtet die „Financial Times“.