Seit Hiltrud Werner im VW-Vorstand für die interne Aufarbeitung des Dieselskandals zuständig ist, geht sie die Probleme so an, wie Konzerne gemeinhin alle Probleme angehen: bürokratisch, von oben nach unten, mit eisernen Vorschriften und sehr viel bedrucktem Papier. Im „Handelsblatt“ verkündete die Managerin am letzten Freitag stolz, seit ihrem Amtsantritt im Februar 2017 habe sie 2000 Mitarbeiter mit neuen „Aufgabenbeschreibungen“ ausgerüstet und insgesamt 20.000 Seiten mit „Prozessbeschreibungen“ aktualisiert. Die „Klarheit von Kompetenzen und Prozessen“ werde künftig dazu beitragen, dass es keine neuen Gesetzesverstöße mehr gebe im Konzern.
Genau daran muss man jedoch zweifeln. Bürokratische Vorgaben allein reichen nicht aus, um einen echten Kulturwandel anzustoßen. Im VW-Konzern fehlt bei allen Fortschritten, die es geben mag, nach wie vor ein entscheidendes Kettenglied in der Aufarbeitung der Betrugsaffäre: ein eindeutiges Bekenntnis des Aufsichtsrats zur persönlichen Verantwortung für die ungeheuerlichen Vorgänge. Die Vertreter des Porsche-Piëch-Clans waschen nach wie vor ihre Hände in Unschuld, allen voran Wolfgang Porsche. Und auch ihr wichtigster Consigliere Hans Dieter Pötsch, der frühere Finanzvorstand und jetzige Aufsichtsratsvorsitzende, gibt sich als Unbeteiligter. Man erinnere sich: Es war Wolfgang Porsche, der vor vier Jahren schnellstens einen Persilschein für den damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn durchboxte, noch bevor die Untersuchung der Vorgänge überhaupt angelaufen war. Und es war Pötsch, der danach über viele Monate alles tat, um den falschen Eindruck zu erwecken, „nur einige wenige Manager“ unterhalb des Vorstands seien für den Betrug verantwortlich.
VW delegiert die Verantwortung
Die Erfahrung aller anderen deutschen Konzerne, die in der Vergangenheit mit mangelnder Compliance zu kämpfen hatten, zeigen eines eindeutig: Nur wenn die Spitzen des Aufsichtsrats und des Vorstands selbst ans Werk gehen und die Bekämpfung von Gesetzesverstößen und Korruption wirklich zur Chefsache machen, kann man einen Kulturwandel auslösen. Im VW-Konzern konnte man von Anfang an das genaue Gegenteil beobachten: Die Mächtigen delegieren die Bewältigung des Skandals so weit wie möglich nach unten und halten sich selbst damit nicht auf. So hält es auch der jetzige Vorstandschef VW-Chef Herbert Diess, der sich mit der Ausgliederung der Affäre in das Ressort von Hiltrud Werner zufriedengibt. Bei ihr muss niemand mit in der obersten VW-Spitze mit zu vielen zu kritischen Fragen rechnen – ganz anders als bei ihrer sehr selbstbewussten Vorgängerin Christine Hohmann-Dennhardt.
Der gegenwärtige Aktionismus in Sachen Compliance zielt vor allem darauf, den amerikanischen Juristen Larry Thompson so schnell wie möglich loszuwerden. Der sogenannte Monitor des amerikanischen Justizministeriums soll dafür sorgen, dass es bei VW künftig niemals wieder zu einer vergleichbaren Affäre kommen kann. Wie alle Amerikaner glaubt der Abgesandte der US-Justiz an die heilsame Wirkung klarer Regeln von der Wiege bis zur Bahre. Und in der Tat sind eindeutige Vorgaben ja auch dringend notwendig bei VW – aber eben leider nicht hinreichend. Erst wenn in der Unternehmensspitze niemand mehr sitzt, der sich aus seiner persönlichen Verantwortung herauswinden konnte, begreifen auch ihre Untergebenen, dass es ihnen selbst künftig in ähnlichen Fällen auch nicht mehr gelingen wird.
Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen .