Man muss ja schon froh sein, wenn in diesen Wochen zu den vielen geplanten und trotzdem chaotischen Wahlen und der einen ungeplanten, aber umso brisanteren Abstimmung nicht noch eine weitere plötzlich dazukommt. Der deprimierende Wahlkampf in den USA und die ungewisse Aussicht auf die künftige Regierung in Frankreich nach diesem Wochenende reichen an Unsicherheit gerade voll und ganz (und es geht ja nicht alles so ruhig und gesittet aus wie die Wahl in Großbritannien). Insofern gut, dass sich die drei Ampelparteien auf die größte Pflichtübung einer Regierung verständigt haben – einen ersten Haushaltsentwurf für das kommende Jahr.
Was war nicht alles vorher in diesen Haushalt reingeraunt worden? Schicksalsfrage, Ding der Unmöglichkeit, Koalitionsbruch – kleiner ging es nicht. Und immerhin: 23 Mal wollen sich die drei Chefunterhändler der Koalition, Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck, getroffen haben, um die Einigung zustande zu bringen, der Finanzminister führte offenbar eine Strichliste. Und er notierte sich auch, dass die drei wohl an die 80 Stunden so miteinander zusammengesessen hätten – zuletzt bis um 5 Uhr in der Früh an diesem Freitag.
Politik ist immer Kommunikation (bei dieser Regierung noch mehr Fehlkommunikation) und deswegen transportieren solche Strichlisten und Kalendereinträge immer noch andere Botschaften als den bloßen Zeitaufwand: Der Kompromiss war richtig harte Arbeit, jeder hatte seine Argumente und Positionen, und jeder hat gekämpft wie ein Löwe. So entstehen die großen Heldengeschichten, die ihre Protagonisten später brauchen, wenn sie den Kompromiss verkaufen sollen.
Kreative Fortsetzung der bisherigen finanzpolitischen Linie
Das Schöne am Bundeshaushalt ist jedoch: Am Ende geht es um Zahlen – viele Zahlen zwar, aber man kann sie sortieren und hin- und her rechnen. Wenn man das macht, dann muss man sich schon wundern, wozu die drei so oft miteinander reden und worum sie so lange ringen mussten. Die Grundzüge dieses Haushalts, die heute vorgestellt wurden, versprechen kein Schicksalsjahr, keine harten Einschnitte und kein Ding der Unmöglichkeit. Eher eine sehr kreative Fortsetzung der bisherigen finanzpolitischen Linie dieser Regierung: Im Grunde ist für alle weiter was da.
Man kann diesen Eindruck an drei Zahlen festmachen: Dieses Jahr plant die Ampelkoalition mit Ausgaben in Höhe von 489 Mrd. Euro. Im kommenden Jahr sollen es nun 481 Mrd. Euro werden, acht Milliarden weniger – bei diesen Größenordnungen fast eine Rundungsdifferenz. Vor Monaten war mal von 50 Mrd. Euro an notwendigen Einsparungen die Rede gewesen, später noch von 25 bis 30 Milliarden – und jetzt acht. Das ist eine Einsparung von weniger als zwei Prozent des gesamten Etats. Und auch dafür haben Scholz, Habeck und Lindner auch nach 23 Treffen und 80-stündigen Beratungen heute keinen klaren Plan vorgelegt, wer künftig wo auf wie viel verzichten muss. Sondern für den Betrag haben sie eine sogenannte globale Minderausgabe im Etat vorgesehen, will heißen: Man schaut in den kommenden Wochen und Monaten noch mal, wo sich vielleicht was sparen lässt, 2025 reicht zur Not auch noch. Knallharte Sparpolitik sieht wirklich anders aus.
Zwar kann sich der Finanzminister und FDP-Vorsitzende rühmen, die Schuldenbremse im Grundgesetz formal verteidigt zu haben. Aber in Wahrheit hat Lindner mit dem heutigen Verhandlungsergebnis einen neuen Trick präsentiert, mit dem sich die Vorschrift im Grundgesetz auch in den kommenden Jahren wunderbar umgehen lässt: Große Investitionen etwa in die Schiene oder den Ausbau der Autobahnen könnte der Bund künftig leichter auf Pump finanzieren, indem er Bahn und Autobahngesellschaft nicht mehr einfach das Geld überweist, sondern nur noch als vergünstigten Kredit zur Verfügung stellt. Weil solche Kredite ja irgendwann auch wieder zurückgezahlt werden, wären sie nach den Regeln der Schuldenbremse „neutral“, das bedeutet, sie zählen nicht in den nach dem Gesetz maximal erlaubten Kreditrahmen.
Spielräume für ein weiteres kleines Wachstumspaket
Zusammen mit einigen weiteren kleinen Tricks – eine für den Bund günstigere Verrechnung von Zinsgewinnen etwa, ein etwas laxerer Umgang mit unvorhergesehenen Ausgaben, alles Dinge, die hier und da ein paar Milliarden bringen – bestückt Lindner wieder jenen Handwerkskasten, den jeder kluge Finanzminister braucht, der sich von der Schuldenbremse nicht zu sehr einengen lassen will. Ausgerechnet jener Minister, der die deutsche Schuldenregel gegen die Kritik fast aller namhaften Ökonomen im In- und Ausland stur verteidigt.
Immerhin schafft es die Regierung aber so, mit dem Haushalt 2025 nicht nur nicht zu sparen, zu kürzen und zu streichen. Sondern sie erarbeitet sich einige Spielräume für ein weiteres kleines Wachstumspaket, rund 23 Mrd. Euro groß, das etliche sinnvolle Entlastungen für Unternehmen und private Steuerzahler enthält: bessere Abschreibungsregeln, eine ausgebaute Forschungsförderung, bessere steuerliche Förderungen für E-Autos als Dienstwagen, ein höheres Kindergeld.
Im Vergleich zu dem, was andere Länder von der Größe Deutschlands bewegen, um ihre Wirtschaft anzuwerfen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, ist das viel zu wenig. Es ist auch zu wenig gemessen an den gewaltigen Rückständen, die Deutschland inzwischen in der öffentlichen Verwaltung, in der Infrastruktur, im Bildungsbereich und in wichtigen Industrien aufgebaut hat. Ob damit wirklich die Wirtschaft im kommenden Jahr um 0,5 Prozentpunkte stärker wachsen wird als bisher unterstellt, wie die Koalition jetzt verspricht, wird sich auch kaum überprüfen lassen. Dennoch sind die geplanten Entlastungen sinnvoll und sehr viel besser als nichts.
So schafft dieser Etatkompromiss der Ampelkoalition immerhin gleich drei Dinge auf einmal: Er sichert einer angeschlagenen Regierung die Aussicht auf vier Jahre im Amt und diesem Land einigermaßen stabile Verhältnisse bis zur regulären Bundestagswahl im Herbst 2025; er schafft das kommunikative Kunststück, sparsam daherzukommen, obwohl mit ihm gar nicht gespart wird; und er schafft sogar ein paar positive Impulse für Unternehmen und Verbraucher, womit ja schon niemand mehr gerechnet hatte.