Der italienischen Tomatensoßenproduzent Mutti hat die EU aufgefordert, die Landwirte vor dem „unfairen“ Wettbewerb durch billiges Tomatenmark aus der chinesischen Region Xinjiang zu schützen und die „Würde“ des roten italienischen Grundnahrungsmittels wiederherzustellen. Francesco Mutti, Chef des gleichnamigen Herstellers von Zutaten wie Passata, Fruchtfleisch und Dosentomaten, sagte, ein EU-Verbot oder hohe Einfuhrzölle auf chinesische Produkte seien notwendig, um die italienischen Landwirte zu schützen.
Im Jahr 2021 untersagten die USA die Einfuhr von Tomatenmark aus Xinjiang mit der Begründung, dass dort Zwangsarbeiter beschäftigt werden. Brüssel ist diesem Beispiel nicht gefolgt.
„Wir sollten die Einfuhr von Tomatenmark aus China stoppen oder es mit einer 60-prozentigen Steuer belegen, damit sich die Kosten nicht so sehr von denen italienischer [Produkte] unterscheiden“, sagte Mutti der Financial Times am Sitz seines 125 Jahre alten Familienunternehmens, das im vergangenen Jahr einen Umsatz von 665 Mio. Euro erzielte. Die italienischen Produzenten von Tomatenmark liefen Gefahr, von chinesischen Staatsbetrieben aus der Provinz Xinjiang verdrängt zu werden, wo der UN-Menschenrechtsbeauftragte weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren dokumentiert hat, darunter auch Zwangsarbeit. Peking bestreitet die Vorwürfe.
Mutti, der das Unternehmen am Stadtrand von Parma in vierter Generation führt, kritisierte die EU-Kommission, weil sie die Landwirte zu strengen Nachhaltigkeitsregeln verpflichte, ohne sie vor „Umweltdumping“ aus China zu schützen. „Wir müssen unseren Landwirten beibringen, wie sie den Anbau verbessern können, aber wir müssen sie auch vor unlauterem Wettbewerb schützen“, sagte Mutti, dessen Unternehmen ausschließlich italienische Tomaten verarbeitet. „Andernfalls wird das Endergebnis nicht darin bestehen, die Umwelt zu schützen, sondern darin, unsere Produktion ins Ausland zu verlagern, wo die Umwelt nicht geschützt ist.“
Nach Schätzungen des World Processing Tomato Council entfällt in diesem Jahr fast 23 Prozent der weltweiten Tomatenproduktion auf China – gegenüber etwa 18 Prozent im Jahr 2023. Billigimporte sind in Italien, dem drittgrößten Tomatenproduzenten der Welt nach den USA und China, ein heikles Thema. Chinesisches Tomatenmark kostet nur halb so viel wie italienische Produkte.
Im vergangenen Frühjahr protestierte der einflussreiche italienische Bauernverband Coldiretti mit einer Flottille kleiner Boote gegen die Entladung von Tonnen chinesischen Tomatenkonzentrats im Hafen von Salerno. „Der heutige Wettbewerb ist nicht fair, weil mehr als 90 Prozent der chinesischen Tomaten in der Region Xinjiang produziert werden und die Arbeitskosten dort sehr, sehr niedrig sind“, sagte Luigi Pio Scordamaglio, Coldirettis Direktor für internationale Angelegenheiten. „Dies ist nicht nur aus ethischer Sicht, sondern auch im Hinblick auf den Wettbewerb inakzeptabel.
China spricht von „Zwangsarbeit-Lüge“
Das chinesische Außenministerium weist die Vorwürfe zurück. Die Behauptungen über Zwangsarbeit in Xinjiang seien „eine Lüge“, die von einigen Ländern wie den USA benutzt werde, um China zu schaden und die Entwicklung der chinesischen Industrie zu behindern. „Es ist zu hoffen, dass die zuständigen europäischen Personen und Institutionen die böswilligen Machenschaften hinter der sogenannten ‚Zwangsarbeit‘-Lüge erkennen und davon Abstand nehmen, das Image Chinas zu beschmutzen, und sie nicht als Vorwand für protektionistische Handelsmaßnahmen benutzen“, erklärte das Ministerium.
Xinjiangs riesige, exportorientierte Tomatenindustrie entstand als Teil von Pekings wirtschaftlicher Entwicklungsstrategie für die westliche Unruheregion. Zu den wichtigsten Akteuren des Sektors gehören Chalk IS, eine Tochtergesellschaft des paramilitärischen Xinjiang Production and Construction Corps Sixth Division, und COFCO Tomato, eine Tochtergesellschaft eines großen staatlichen Agrarkonglomerats. Das geht aus hervor des University of Nottingham Rights Lab und den Websites der Unternehmen zeigen. COFCO gibt an, dass seine zwölf Verarbeitungsbetriebe über eine Produktionskapazität von 300.000 Tonnen losem Tomatenmark pro Jahr verfügten.
Etwa 13 Prozent des in China produzierten Tomatenmarks wird in die EU, insbesondere nach Italien, geliefert, wo es weiterverarbeitet – entweder verdünnt oder vermischt mit einheimischen Tomatenprodukten – und neu verpackt wird, hauptsächlich für den Re-Export, so das Nottingham Rights Lab.
Italien fordert bessere Kennzeichnung
Die strengen italienischen Gesetze zur Lebensmittelkennzeichnung verbieten es, verdünntes chinesisches Tomatenmark als Passata zu vermarkten, aber angesichts des Preisunterschieds ist der Anreiz zum Missbrauch verlockend. In einem aufsehenerregenden Fall von Lebensmittelbetrug im Jahr 2021 beschlagnahmte die Polizei 4477 Tonnen Tomatenkonzentrat in Dosen bei einem bekannten italienischen Tomatenverarbeiter, der seine Waren fälschlicherweise als „100 Prozent italienische Tomaten“ gekennzeichnet hatte, obwohl chinesisches Tomatenmark beigemischt war.
Coldiretti drängt darauf, dass Europa strengere Gesetze zur Lebensmittelkennzeichnung verabschiedet. Die Herkunftsangaben der wichtigsten Zutaten in verarbeiteten Lebensmitteln sollen vorgeschrieben werden, damit die Verbraucher eine fundierte Wahl treffen können.
Auch Francesco Mutti befürwortet solche Vorschriften, die „speziell für ein Produkt erforderlich sind, bei dem die Tomate das wichtigste Element ist“, sagte er. „Das Ziel ist es, der Tomate ihre Würde zu geben“, betonte Mutti, „damit man über ein Produkt, das oft als Massenware angesehen wird, wieder sagen kann: ‚Nein – Tomaten sind wertvoll!‘“.
Mitarbeit: Edward White
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