„Wenn man versteht, dass der Beruf des Lastwagenfahrers wirklich etwas ist, was viele Menschen gerne machen und man aber nicht genug findet, dann hat das etwas mit den Arbeitsbedingungen zu tun. Und das ist etwas, worüber man nachdenken muss.“ Das hat Olaf Scholz am Tag nach der Bundestagswahl auf einer Pressekonferenz gesagt . Ein britischer Journalist hatte ihn auf die Lkw-Krise in Großbritannien angesprochen. Auf der Insel mangelt es an Truckern, dadurch sind Versorgungsengpässe entstanden. Supermarktregale bleiben teilweise leer , Tankstellen geht der Sprit aus , McDonald's fehlen Milkshakes .
„In Großbritannien spielen verschiedene Gründe eine Rolle“, erklärt Dirk Engelhardt, Chef des Bundesverbands Güterkraftverkehr und Logistik , im ntv-Podcast „Wieder was gelernt“. Der Brexit und die Corona-Pandemie hätten die Krise beschleunigt. „Viele osteuropäische Fahrer, die in Großbritannien beschäftigt waren, haben mit dem Brexit das Land verlassen. Wegen Corona konnten Ausbildungen für neue Führerscheine nur verzögert ausgegeben werden.“
Die britische Regierung hat mit einer Notfallmaßnahme auf den Mangel reagiert: Sie bietet ausländischen Lkw-Fahrern Arbeitsvisa an – 5000 an der Zahl. Diese sind bis Weihnachten gültig. Zuletzt war es für Trucker aus dem Ausland wegen des Brexits schwierig geworden, an Visa zu kommen. Das Benzin-Problem soll mit Fahrern von Militär-Tanklastern, die in Alarmbereitschaft versetzt wurden , gelöst werden. Zuletzt saßen in einigen Landesteilen bis zu 90 Prozent der Tankstellen auf dem Trockenen.
Jedes Jahr gehen 30.000 Fahrer in Rente
Laut einer Einschätzung von „Transport Intelligence“ fehlen in Großbritannien derzeit mindestens 76.000 Lkw-Fahrer , andere Schätzungen gehen sogar von 100.000 aus. Und daran ist nicht nur Corona oder der Brexit Schuld – die Branche warne seit vielen Jahren vor einem Engpass, sagt Dirk Engelhardt. In ganz Europa – auch in Deutschland – fehlen Tausende Trucker.
Davon ist bei uns aber weder im Supermarktregal noch an der Zapfsäule etwas zu spüren – zumindest noch nicht. „Weil vor allem in Deutschland die ganze Transportbranche sehr stark geprägt ist von mittelständischen Unternehmen, die das in Eigenverantwortung übernehmen“, erklärt Verbandschef Engelhardt. Einige Unternehmer würden sich sogar „selbst auf den Lkw setzen“ oder „Rentner aktivieren“.
In Polen, Großbritannien und Deutschland fehlen die meisten Lkw-Fahrer. Laut der „International Road Transport Union“ sind in Polen etwa ein Fünftel der Trucker-Stellen unbesetzt. In Großbritannien sind sogar fast ein Viertel der Sitze frei. Die Halbjahres-Visa bis Weihnachten sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein – genauso wie Erleichterungen bei den Führerscheinprüfungen, damit die Lkw schneller fahrbereit sind.
In Deutschland ist die Situation auf dem Fahrermarkt zwar noch nicht so dramatisch - aber es wird auch hierzulande immer schwieriger, Brummifahrer zu finden. „Nach unserer Einschätzung, und die wird von der Branche geteilt, fehlen in Deutschland derzeit 60.000 bis 80.000“, heißt es von BGL-Chef Engelhardt. „Das heißt, wir sind schon fast auf dem gleichen Niveau wie Großbritannien. Und das Problem wird jedes Jahr um 15.000 fehlende Fahrer größer. 30.000 gehen jedes Jahr in Rente und ungefähr 15.000 neue Lizenzen werden verteilt.“
Einige Logistikfirmen müssen deshalb schon Aufträge zurückgeben, weil sie keine Fahrer mehr finden. Hinzu komme eine verhältnismäßig hohe Einstiegshürde, erklärt Engelhardt. Ein Lkw-Führerschein koste heutzutage „schnell über 10.000 Euro“. Früher hätten viele junge Leute im Rahmen ihres Wehrdienstes bei der Bundeswehr zum Teil kostenlos einen Laster-Führerschein gemacht. Da der Grundwehrdienst aber abgeschafft wurde, ist diese Ausbildungsmöglichkeit weggebrochen.
Transportbranche als „neue Tabakindustrie“
Der Beruf des Lkw-Fahrers ist mittlerweile unattraktiv wie nie. „Wir haben über 4500 Fahrer gefragt, was sie glauben, warum kein Nachwuchs in die Branche eintritt. Im Wesentlichen wurden drei Gründe genannt. Der erste Grund ist die schlechte Bezahlung“, so Engelhardt im Podcast.
Ein Lkw-Fahrer in Deutschland verdiene monatlich „durchschnittlich 2400 bis 2600 Euro brutto plus Spesen“, so Engelhardt im Podcast. Problematisch sei, dass Industrie und Handel in Deutschland in den vergangenen Jahr immer stärker auf Transportunternehmen aus dem Ausland zurückgreifen. Mittlerweile liege der Anteil „gebietsfremder Lkw“ auf deutschen Straßen bei über 40 Prozent. Deren Fahrer verdienen noch viel weniger. „Fahrer aus dem Baltikum bekommen drei bis 3,50 Euro pro Stunde. Wenn wir noch weiter Richtung Osteuropa schauen, reden wir über Beträge von knapp über zwei Euro. Wir müssen diesem Sozialdumping auf westeuropäischen Straßen, ganz besonders in Deutschland, ein Ende setzen.“
Der zweite Grund für das „Aussterben von Lkw-Fahrern“ sei das schlechte Image der Branche, sagt Verbandschef Engelhardt. „Man hat manchmal das Gefühl, dass die Transportbranche die neue Tabakindustrie ist und dementsprechend negativ dargestellt wird.“
Aber nicht nur Gehälter und Image sind schlecht, auch die Infrastruktur bereitet Truckern Sorgen. „Uns fehlen allein in Deutschland über 40.000 Parkplätze, in der ganzen EU sind es rund 100.000 zu wenig“, kritisiert Engelhardt. Außerdem müssten die Rastplätze deutlich sicherer und die Fahrerkabinen deutlich komfortabler werden. Mit mehr Platz und idealerweise eigener Toilette an Bord.
Die schlechte Infrastruktur halte „ganze potenzielle Berufsgruppen von dem Job ab“, sagt Engelhardt und meint damit Lkw-Fahrerinnen. „Wir haben lediglich zwei Prozent Frauen in diesem Segment. Ich hatte früher selbst Verantwortung über 700 Lkw und hatte auch Fahrerinnen beschäftigt. Die haben mir alle gesagt: 'Über Nacht bleibe ich nicht draußen, wenn ich an einem unbeleuchteten Parkplatz ohne Sicherheitsvorkehrungen parken muss'. Das kann ich absolut nachvollziehen.“
„Digitalisierungspäpste helfen überhaupt nicht“
Aber ist der Job nicht sowieso ein Auslaufmodell? Laster, die autonom, ohne Fahrer über die Autobahnen der Republik steuern, auf einer eigenen Lkw-Spur, könnten das Problem lösen. Kein Fahrer, den die Transportfirma bezahlen muss. Keine Ruhezeiten, die der Fahrer einhalten muss. Weil es keinen mehr gibt.
Doch Dirk Engelhardt ist davon nicht überzeugt. „Was uns überhaupt nicht hilft, sind Digitalisierungspäpste, die überall erzählen, in vier Jahren würde das Fahrzeug autonom fahren.“ Man könne sich „sehr gut vorstellen“, dass künftig „das Lenkrad nicht mehr festgehalten werden muss“, aber es gebe einen "Riesenunterschied zwischen autonom fahrenden und hochgradig automatisiert fahrenden Fahrzeugen.“
Mehr Automatisierung, ja. Autonomes Fahren, nein. „Wir brauchen Lkw-Fahrer auch in Zukunft“, macht der Verbandschef deutlich. Zumal die Alternativen (noch) fehlen. Das Schienennetz ist in Deutschland noch längst nicht so weit ausgebaut, dass der Transport zum großen Teil auf die Schiene verlagert werden könnte. Zwei Drittel der Güter werden von Lkw transportiert, nur knapp 20 Prozent auf Güterzügen.
Wie wichtig Lkw sind, spüren wir erst, wenn etwas fehlt. Im Supermarktregal, an der Zapfsäule, bei McDonald's.
Der Beitrag ist zuerst erschienen auf ntv.de