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Finanzevolution Ant Financial - Evolution der Ameise

Die Finanztochter von Alibaba macht sich klein, doch sie hat das Zeug, ein Riese in der Fintech-Welt zu werden. Von Dirk Elsner
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Dirk Elsnerist bei der DZ Bank Senior Manager Innovation und Digitalisierung. In dieser Kolumne äußert er seine private Meinung. 2008 hat er das private Wirtschaftsblog BlickLog gegründet, das mehrfach ausgezeichnet wurde.

In manchen Gesprächen zu aktuellen Entwicklungen im Finanzwesen werde ich immer noch fragend angeschaut werden, wenn ich über die chinesischen IT-Konzerne Tencent Technologies oder Ant Financial spreche als die wirklich relevanten Newcomer im Finanzgeschäft. In jedem Fall gehören diese Unternehmen zu den ambitioniertesten Mitspielern in der internationalen Evolution des Finanzwesens. Über Tencent Technologies hatte ich Ende Juni in „Messenger-Apps drängen in den Zahlungsverkehr“ geschrieben. Heute geht es um die Evolution der Ameise.

Vor zwei Jahren schrieb ich für das Wall Street Journal, dass der Finanzsektor längst mit dem Studium einer besonderen Ameisen-Gattung hätte beginnen sollen: „Ant Financial Services Group“. Dahinter verbirgt sich die frühere „Small and Micro Financial Services Company“. Ant Financial ist der Finanzdienstleistungsarm aus dem Alibaba-Firmengeflecht. Die Gruppe ist vor allem bekannt durch die gleichnamige Handels- und Kommunikationsplattform für Unternehmen. Vor dem spektakulären Börsengang der Alibaba Group im Jahre 2014 wurde Ant Financial aus dem Konzern ausgegliedert. Nach einer unternehmenseigenen Darstellung hält die Alibaba Group noch 33 Prozent der Anteile.

Ant Financial soll ebenso wie die Alibaba Group von ihrem Gründer Jack Ma kontrolliert werden. Die Ameise, so hatte es das Unternehmen einmal selbst verkündet, symbolisiere die Stärke des Kleinen. Ant Financial solle „durch kleine und schöne Änderungen einen Beitrag für eine neue Zukunft eines jeden Menschen leisten“. Ich halte das für eine geschickte Untertreibung. Während viele Finanz-Technologie-Unternehmen von der Revolution des Finanzwesens träumen, macht sich ausgerechnet einer der ambitioniertesten Mitspieler im weltweiten Fintech-Spiel rhetorisch klein.

Wertvoller als die Deutsche Bank

Tatsächlich hat Jack Ma die Ameise zu einem Formicula (ältere Semester kennen den Film) der Finanzbranche gezüchtet. Ant Financial ist mittlerweile ein mächtiges Finanzkonglomerat in China. Zu dem bekanntesten Produkt des Allfinanzdienstleister gehört Alipay. Der 2004 gegründete Bezahldienst verfügt nach eigenen Angaben weltweit über 400 Millionen Nutzer. 58 Prozent aller Online-Bezahltranskationen in China sollen über den Dienst abgewickelt werden.

Ant Financial ist noch nicht börsennotiert, wird aber laut „Financial Times“ auf Basis einer Beteiligungsrunde im Frühjahr mit etwa 60 Mrd. US Dollar bewertet. Zum Vergleich, die Marktkapitalisierung der Deutschen Bank betrug Ende Juli umgerechnet ca. 20 Mrd. US-Dollar, die von Paypal etwa 45 Mrd. US-Dollar.

Im vergangenen Jahr startete Ant Financial die Internetbank Mybank. Sie vergibt Kredite an kleinere Unternehmen und Privatpersonen. Nach einem Bericht von „China Daily“ hat die Bank bisher 1,7 Millionen Darlehen vergeben für umgerechnet rund 3,5 Mrd. US-Dollar. Daneben gehören zu Ant Financial weitere Finanzierungsplattformen und mit Sesame Credit ein Bonitätsinformationssystem (für Fachleute Kredit-Scoring).

Risiko Geldmarktfonds

Zu den ganz großen ist das Unternehmen auch im Wealth Management aufgeschlossen mit Yuebao (manchmal auch Yue Bao geschrieben). Yuebao steht für übrig gebliebener Schatz. Dieser Schatz ist ein Geldmarktfonds, der nach einem Bericht von Bloomberg trotz sinkender Zinsen stetig wächst und zurzeit ein Volumen von 772 Mrd. Yuan verwaltet (umgerechnet etwa 116 Mrd. Dollar). Laut „Disruptive Finance“ ist er damit zum drittgrößten Geldmarktfonds weltweit aufgestiegen.

Hier liegt freilich auch ein systemisches Risiko, denn was passiert, wenn plötzlich sehr viele Sparer ihre Fondsguthaben auflösen? Auch wenn die Erinnerungen an die letzte Finanzkrise langsam zu verblassen scheinen, sei hier daran erinnert, dass die Geldmarktfonds in den USA und Europa 2008/2009 für Instabilität sorgten, weil zu viele Anteilsinhaber ihre Guthaben abzogen.

Die Verflechtungen von Ant Financial mit der asiatischen Finanzwelt werden immer enger. An der Finanzierungsrunde im Frühjahr hatten sich nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ auch diverse staatliche Finanzinstitutionen beteiligt. Umgekehrt nutzt Ant Financial die Mittel, um seine Positionen auch im traditionellen Finanzwesen auszuweiten. So hat das Unternehmen im vergangenen Jahr eine Beteiligung an der Postsparkasse von China erworben und ist einer der Ankerinvestoren in China Zheshang Bank. In Indien investiert Ant Financial in den Mobile Wallet-Anbieter Paytm. Ende Juni gab es inzwischen dementierte Gerüchte, Ant Financial wolle bei der Wirecard Bank einsteigen.

Verbindung zur Alibaba-Plattform hilft

Wirecard arbeitet allerdings operativ mit Alipay zusammen, wie das Unternehmen im Juni bekannt gab. Wirecard hat das Alipay Barcode Payment in das zentrale Kassensystem der Eurotrade Flughafen München Handels-GmbH integriert. So können chinesische Touristen im Abflug- und Ankunftsbereich des Münchner Flughafens mit ihrer mobilen Alipay App bezahlen.

Als einen Grund für den Erfolg der Ameise sehen Fachleute die Verbindung der Alibaba Handelsplattform mit dem Bezahldienst Alipay (das erinnert an Paypal, das bekanntlich mit dem Webauktionshaus Ebay groß geworden ist). Genauso leicht, wie man Waren bezahlen kann, können Nutzer selbst Kleinstbeträge in die Fonds einzahlen oder für Einkäufe abheben.

Die Börsen-Zeitung zitierte im Juni Horst Löchel, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School und seit vielen Jahren an chinesischen Universitäten lehrend zur Entwicklung in China. Danach seien die klassischen Banken vor allem durch die Disintermediation bedroht. Und Löchel ergänzte: „Die Digitalisierung ist in China so weit fortgeschritten wie sonst nirgends auf der Welt.“ Nach seiner Beobachtung würden die meisten jungen Leute ihre Einlagen beim Onlinebezahlsystem Alipay oder beim Chatdienst Wechat halten. „Die chinesischen Großbanken haben nicht die Reformkraft, diese Entwicklung aufzufangen.“

Die chinesischen Ameisen haben die ersten Fühler nach Europa bereits ausgestreckt. Ob sie hier ebenfalls Straßen und Bauten errichten, ist heute noch unklar. Ich würde allerdings nicht dagegen wetten.

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