Capital: Professor Börsch-Supan, der Ruf der Riester-Rente ist schlecht. Wie sieht die Bilanz aus wissenschaftlicher Sicht nach 15 Jahren aus? Börsch-Supan: Gemischt, das Glas ist entweder halbleer oder halbvoll. Fragen wir anders: Was ist der größte Erfolg der Riester-Reform? Der größte Erfolg ist, dass heute die Hälfte der deutschen Haushalte einen Riester-Vertrag hat. Von der anderen Hälfte haben viele Betriebsrenten oder eine private Vorsorge, insgesamt haben also immerhin drei Viertel der Haushalte eine zusätzliche Altersvorsorge. Und der größte Misserfolg? Das ist mit Sicherheit die völlig intransparente Kostenstruktur. Die Renditen, die beim Kunden landen, sind bei einigen Anbietern viel zu niedrig. Das hat zu einer breiten Verunsicherung geführt. Laut Ihren Forschungsergebnissen können dennoch 80 Prozent der deutschen Haushalte ihre Vorsorgelücke füllen. Also: Mission erfüllt? Wer vorsorgt, spart genug, um die Einschnitte beim Rentenniveau auszugleichen oder sogar mehr als das. Das ist ein großer Erfolg. Mission erfüllt, kann man aber nicht sagen: Es bleiben ja noch 20 Prozent übrig – und damit ein Unterversorgungsproblem.
Keinesfalls die Riester-Förderung erhöhen!

Ist das Bild auch so positiv, wenn man nicht auf die Haushalte blickt, sondern auf die einzelnen Sparer? Diese Zahlen kann man nicht verwenden. Das beste Beispiel ist die Zahnarztgattin als Hausfrau, deren Mann gut verdient. Wenn man sie einzeln betrachten würde, fiele sie unsinnigerweise und irreführend in die Kategorie Altersarmut. Was kann man für schlecht versorgte Haushalte tun? Keinesfalls die Förderung erhöhen! Sie beträgt schon heute bis zu 94 Prozent der Einzahlungen. Das Hauptproblem ist mangelnde Information: Es ist erstaunlich, wie viele glauben, sie hätten keinen Anspruch auf Riester-Förderung – obwohl sie einen haben. Die Förderregeln sind kompliziert. Um sie zu vereinfachen, muss man Phantasie aufbringen und nicht einfach Geld reinwerfen. Wie sieht die Riester-Bilanz denn aus Sicht der Sparer aus? Auch hier gilt: Das Glas ist nur halbvoll. Die meisten Riester-Sparer erhalten eine Rente, mit der sie die relativen Verluste aus den gesetzlichen Reformen ausgleichen können. Allerdings wünschte man sich höhere Renditen: Die ein oder zwei Prozent, die letztlich rauskommen werden, sind recht mager.
Riester-Produktblätter sind kein großer Wurf
Der Vertrauensverlust bei den Kunden ist gewaltig, wie auch die stagnierenden Verkaufszahlen zeigen. Welchen Anteil daran haben hohe Kosten und fehlende Markttransparenz? Halt, man kann nicht generell von hohen Kosten sprechen, es gibt auch ausgesprochen günstige Riester-Verträge. Nur muss man eben auch wissen, welche das sind. Also geht es eher um die fehlende Transparenz... Das ist der Punkt. Für die Menschen geht es ja nicht um die Kosten im Marktdurchschnitt, sondern darum, im Einzelfall die Anbieter zu identifizieren, die viel zu hohe Kosten nehmen. Seit Jahresbeginn sollen neue Produktblätter Kunden diesen Vergleich ermöglichen. Taugt das Instrument, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen? Die Blätter helfen, bringen aber keinen Durchbruch bei der Akzeptanz. Wir haben keinen großen Wurf geschafft: Die Papiere müssten farbiger und klarer sein. Außerdem sind sie für einen Durchschnittskunden immer noch schwer zu verstehen. Also erwarten Sie durch die Blätter keinen neuen Schub für den Riester-Verkauf? Einen Schub wird es geben, aber keinen großen – unter Umständen so klein, dass man ihn in den Statistiken kaum finden wird. Man wird sehen...
Riester- und Betriebsrente verknüpfen
Sie haben vorgeschlagen, ein Standard-Vorsorgeprodukt könnte eher helfen... Ich halte das für den effizienteren Weg. Die Idee ist, Riester- und Betriebsrente zu verknüpfen und die Leute an so ein Produkt heranzuführen, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Wer nicht will, kann natürlich widersprechen. In Schweden und Großbritannien gibt es das und dort sind solche Standardprodukte sehr erfolgreich. In Schweden hat das Modell ein wirklich vernünftige Rendite, in Großbritannien läuft es seit 2008 an – und auch dort sieht es so aus, als ob man einen wirklichen Sprung hinbekommt und nicht nur eine marginale Änderung. Bei der Kapitalanlage für Riester-Produkte gibt es strukturelle Probleme durch Niedrigzins. Halten Sie den garantierten Erhalt der Beiträge unter diesen Umständen noch für zeitgemäß – oder muss man notgedrungen davon weg? Die Niedrigzinsen an den Kapitalmärkten sind ja nicht gottgegeben. Die ganze Volkswirtschaft kann nicht überleben, wenn sich das noch Jahre hinzieht. Die Niedrigzinspolitik ist ein Desaster – und wir haben immer noch nicht ganz verstanden, wie hoch der Preis dafür eigentlich sein wird. Wichtig aber: Ausgehend von normalen Kapitalmärkten war die Beitragsgarantie ein kluger Schritt, ohne den man den schnellen Aufschwung der Riester-Rente gar nicht hinbekommen hätte. Aber macht die Garantie heute noch Sinn? Aktuell sind die Kosten für die Beitragsgarantie unmäßig hoch. Das eigentliche Problem liegt allerdings im Produkt: Weil man die Riester-Rente teilweise als Kapital auszahlen möchte, haben die Anbieter ein Problem, wenn die Märkte gerade zu diesem Zeitpunkt im Tal sind. Eine Lösung wäre, die Auszahlungen generell über Annuitäten oder als Rente lebenslang zu strecken – und die Kapitalauszahlung auf einen Schlag ganz bleiben zu lassen. Damit wird das Problem stark reduziert.
Riestern lohnt in jedem Fall
Also gar keine Kapitalauszahlung mehr? Klar, dann bekommt man die Garantie viel besser hin und spart sich die augenblicklich abstrus hohen Kosten. Das passt auch zur Riester-Rente: Man will ja eine lebenslange Zahlung ersetzen. Könnte aber sein, dass die Kunden da nicht mitspielen... Ja, aber nur weil Sie die Kosten nicht sehen. Wenn Sie die Wahl haben zwischen Garantiekosten im hohen fünfstelligen Bereich für eine einmalige Kapitalzahlung und auf der anderen Seite eine günstige Rente, dann ist die Sache klar. Lohnt die Riester-Rente unter heutigen Bedingungen überhaupt noch? In jedem Fall, schon durch die Förderung mit Zulagen und Steuervorteilen. Zudem sind Verluste ausgeschlossen. Vor einem Jahr haben Sie die Riester-Rente auf einer Schulnoten-Skala bei „drei minus“ oder „vier plus“ gesehen. Bleibt es dabei? Ich würde es dabei belassen. Für die neuen Informationsblätter kann man vielleicht ein Sternchen vergeben, aber für echte Verbesserungen braucht es mehr Phantasie. Man muss sich weiter anstrengen, bessere Produkte zu machen – und zwar sowohl die Finanzindustrie und als auch die Regulierungsbehörde.
Mehr zur Riester-Rente und den neuen Produktblättern lesen Sie in der April-Ausgabe von Capital, die am 23. März erschienen ist. Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes, GooglePlay und Amazon