Rocket-Chef Oliver Samwer kennt das Gefühl: Vor etwa einem Jahrzehnt verließen ihn schon einmal ein Trupp enger Mitarbeiter um den Online-Marketing-Guru Florian Heinemann, um mit dem Geld von Otto einen eigenen Inkubator aufzubauen. Project A ist heute ein respektierter Wagniskapitalgeber.
In diesen Wochen scheint sich die Geschichte zu wiederholen: Zum 15. März hat der langjährige Vorstand und Samwer-Intimus Alexander Kudlich bei Rocket Internet aufgehört, um einen neuen Fonds zu starten; ebenfalls im März verließ Ludwig Ensthaler die Berliner Firmenfabrik, er war für einige der Top-Investments des Rocket-Investmentarms Global Founders Capital verantwortlich.
Seit heute ist klar: Die beiden machen zukünftig gemeinsame Sache. Sie haben einen eigenen Frühphasen-VC gegründet und dafür einen Dritten ins Boot geholt, der in der deutschen Tech-Szene eine jüngere Legende ist: Der in Schweinfurt aufgewachsene Florian Leibert hat im Silicon Valley für Airbnb und Twitter wichtige Entwicklungsarbeit geleistet und mit Mesosphere (heute: D2iQ) ein Tech-Start-up gegründet, das eine Viertelmilliarde Dollar von Investoren bekommen hat und Gerüchten zufolge gerade mit Google über eine Übernahme verhandelt.
Wie die Financial Times heute zuerst berichtete, haben die drei einen 170 Mio. Euro schweren Fonds für sogenannte Deep-Tech-Themen aufgelegt – das sind Technologien, die deutlich anspruchsvoller sind als die bekannten E-Commerce-Modelle aus der Berliner Startupszene. 468 Capital, so nennt sich der Fonds, will sich vor allem um Prozessautomatisierung, Machine Learning (künstliche Intelligenz) sowie Open-Source-Software kümmern.
Deep-Tech-Start-ups fänden sich in Unistädten wie Aachen, Tübingen oder Karlsruhe, so Kudlich gegenüber der FT: Städte, die „zunehmend Brutstätten für großartige Tech-Unternehmen“ seien. Der Fonds soll in sehr frühen Phasen investieren und zwischen 15 und 20 Prozent der Anteile an den Firmen übernehmen. Europa soll im Fokus stehen – ab und zu werde es auch Runden in den USA geben, heißt es aus dem Umfeld des Fonds gegenüber Capital.de
Das Interesse von Geldgebern an dem Fonds soll enorm gewesen sein – trotz Corona-Krise. Am Ende kamen eine Reihe privater Investoren nicht zum Zug, ebensowenig wie die deutsche KfW und der Europäische Investmentfonds, der sonst bei den meisten europäischen VCs als Ankerinvestor an Bord ist. Schecks schreiben durften am Ende eine Reihe deutscher Family Offices, Profi-Geldgeber aus dem Private-Equity- und Hedge-Fonds-Bereich sowie bekannte Internetunternehmer aus Deutschland.
Nach Informationen von Capital.de gehören zu den 468-Geldgebern auch einige Partner von Andreessen Horowitz – das ist der Westküsten-Top-VC von Netscape-Gründer Marc Andreessen. Wie aus Finanzkreisen zu hören ist, handelt es sich bei dem Ankerinvestor des Fonds ebenfalls um einen bekannten Namen: Es ist Steve Koltes, Mitgründer und Chairman des Private-Equity-Riesen CVC Capital Partners.
Erste Investments hat 468 Capital bereits getätigt – 17 Mio. Euro sind dabei nach Capital.de-Informationen bereits geflossen. Der Recherchedienst Startupdetector hat folgende Portfoliofirmen ausfindig machen können:
- die Grafik-App Vectornator aus Karlsruhe
- die Greentech-App Klima aus Berlin, für die zwei Seriengründer verantwortlich sind
- die Grünstrom-Plattform Frequenz aus Berlin, hinter dem die Gründer des Adtech-Start-ups Sociomantic stehen
- das CO2-Tracking-Tool Planetly von Helpling-Gründer Benedikt Franke und Outfittery-Gründerin Anna Alex
- Gaiali, eine Allgemeinbildungs-App aus Hamburg
- die mobile Tierarztpraxis Felmo
Hinzu kommt die Beteiligung an einem gehypten Softwareprojekt im Silicon Valley: Earthly von Ex-Googler Vlad Ionescu – dort konnte 468 eine 2 Mio. Dollar umfassende Seed-Finanzierungsrunde anführen.
Aus der Auflistung lässt sich erkennen, dass der Fonds tatsächlich komplizierte und auch experimentelle Technologien in Angriff nimmt – Themen, die bislang nicht unbedingt im Fokus von Rocket Internet standen. Trotzdem dürfte sich Kudlichs Team und sein alter Arbeitgeber häufiger in die Quere kommen, denn beide beteiligen sich schon in frühen Phasen. Und die Zahl der richtig guten Gründer ist begrenzt – das Kapital hingegen, trotz Corona, weiterhin nicht.
Und Oliver Samwer muss sich fragen lassen, warum es ihm ein weiteres Mal nicht gelungen ist, Topleute auf Dauer im Unternehmen zu behalten, indem er ihnen entweder bessere Aufstiegsmöglichkeiten oder großzügigere Beteiligungen bietet. Aus der Geschichte hätte er es ja lernen können.