Es gibt auf der ganzen Welt sogenannte „hippe“ Cafés oder Bars, die eigentlich gleich aussehen. Ob in Irkutsk, in Bad Kreuznach, Beirut oder Peking. Ungeschliffenes Holz, blank liegende Backsteine (eventuell aus Styropor), nackte Glühlampen, nackter Beton, nacktes Metall. Gerne Farbkleckse (Farbfabrik? Kunstatelier?) oder abblätternder Putz. Dazu vielleicht ein paar Zahnräder, Druckmesser, Lüftungsschächte oder Bahnhofsuhren. Es sind entweder reale Überbleibsel einer vordigitalen, industriellen Zeit – oder sie sehen so aus.
Und obwohl solche Läden sich überall der gleichen Symbole bedienen, wollen sie stets als individuell und alternativ erscheinen. Der Kaffee kostet allerdings auch fast immer gleich viel: Vier oder fünf Euro muss man schon hinlegen. In China ist das für die meisten unbezahlbar.
Der postindustrielle Stil der Metropolen ist genau das Gegenteil dessen, was er auszudrücken scheint. Er ist zu einem Luxussymbol geworden und es schmücken sich diejenigen damit, die es sich leisten können, Schäbigkeit schick zu finden. Er ruft laut „Authentizität“ und ist selbst komplett künstlich. Er verspricht individuelle, „menschliche“ Erlebnisse, dabei ist er eigentlich vor allem ein erfolgreiches Marketingtool.
Fantasie und Gartenzwerge
Allerdings, in diesem Widerspruch besteht das eigentliche Wesen der Dekoration: Banalität mit dem Schein des Besonderen übertünchen. Gartenzwerge sind dafür ein gutes Beispiel. Sie stehen heute für Spießbürgerlichkeit, aber ursprünglich wollte man mit Zwergenfiguren im Garten wohl eher an eine Märchenwelt erinnern. Eigentlich sollten die Zwerge also den langweiligen Vorgärten einen Hauch von Fantasie, etwas Überraschendes, geben. Es ist nicht die Schuld der Zwerge, dass sie heute überall stehen, und offensichtlich Massenware aus dem Baumarkt sind.
Theodor W. Adorno bezeichnete Kunstwerke als authentisch, die sich dem „geschichtlichen Stoffgehalt ihrer Zeit“ vorbehaltlos übereignen. Aber Dekoration ist keine Kunst, sie greift nicht das Gegenwärtige auf, sondern das Vergangene oder Utopische. Sie soll schließlich Gemütlichkeit ausstrahlen und niemanden durcheinanderbringen. Deshalb macht Dekoration eine Aussage, die den Kontext ihrer Entstehung von den Füßen auf den Kopf stellt. Steine werden so behauen, dass sie wie organische Gebilde aussehen und die Büsche in den Gärten von Versailles sind zu geometrischen Formen gestutzt.
Dekor für eine postindustrielle Welt
Im Grunde ist jede nicht-funktionale Beigabe ein Ornament. Auch offen im Raum hängende Glühlampe und bröckelnder Putz. Dieses patinierte Industrie-Dekor gibt uns deswegen ein so gutes Gefühl, weil unsere Welt eben keine industrielle mehr ist.
In der industriellen Ära selbst funktionierte Stilbildung schon genauso. Diese Zeit sparte nicht mit Ornamenten einer vergangenen Epoche: Firmenhochhäuser, Fabriken und Bahnhöfe sahen aus wie Kathedralen. Diese typischen Bauten der Industrialisierung wurden so gestaltet, als gehörten sie einer vorindustriellen Epoche an. Damit die gewaltigen Veränderungen weniger einschüchternd wirkten, verkleidete man ihre Anzeichen in Kostümen des schon Vergangenen.
Unsere Zeit meint längst über die physische Industrie hinweg zu sein. Die Wirtschaft wird immer digitaler und remoter – sie hat scheinbar keinen Ort und keine materielle Gestalt. Weil unsere Welt so ungreifbar und ortlos geworden ist, suchen wir in einem industriellen Stil Gemütlichkeit. Er verspricht greifbar und verständlich zu sein. Das ist ein Biedermeier, das die Behaglichkeit eines weniger virtuellen, weniger vernetzten, greifbareren Zeitalters verklärt. Und genauso wie der dichtende Lehrer Gottlieb Biedermaier eine Parodie war, hat es natürlich auch nie ein gemütliches Industriezeitalter gegeben.