Nicht erst im Lockdown der Pandemie, wo größere Reisen ausfallen mussten, entdeckten mehr und mehr Menschen das Glück im (Fahrrad-)Sattel. Seit Jahren hat sich der schnöde Drahtesel von einst vom Gelegenheitsvehikel über das Sportgerät zum Statussymbol und Innovations-Hub der Mobilitätswende entwickelt. Ein Trend, der Brompton-CEO Will Butler-Adams optimistisch in die Zukunft seiner Branche schauen lässt. Wenngleich, auch das sagt er im Interview ganz offen, das Coronavirus und das Brexit-Chaos erheblich ins eigentlich erfreuliche operative Geschäft grätschen. Nun freut er sich auf Abenteuer wie seine Tour per Rad und Faltboot mit einem Kunden in Manhattan.
Konnten Brompton und Ihre gesamte Branche vom oft zitierten Covid-19-Boom bei Fahrrädern und Kurztrips profitieren?
WILL BUTLER-ADAMS: Der Wunsch vieler Menschen, sich nach der langen Phase der Einschränkungen und Angst aufs Rad zu schwingen war sehr wichtig für uns. Zwar konnten wir die Nachfrage zunächst kaum befriedigen, wir kämpften mit Lieferengpässen und Personalmangel, zumindest aber stärkte das unser Vertrauen und machte Mut. Und jetzt, rund 18 Monate später, brauchen wir diese zuversichtlichen Signale noch immer, denn der Handel gestaltet sich weiterhin schwierig.
Der Brexit und seine allmählich sichtbar werdenden Folgen dürfte dabei nicht geholfen haben.
Nein, es macht wirklich nicht viel Spaß, nach einer für alle Kollegen so fordernden Zeit nun auch noch die Belastungen des EU-Austritts zu schultern. Letzterer hat die Logistik verlangsamt, neue bürokratische Hürden errichtet, sämtliche Abläufe gestört und die Kosten erhöht. Für britische Unternehmen, die mit Europa handeln wollen, war das eine negative Entwicklung. Wir werden ans Ende diese Tunnels gelangen, ja, aber es wird einige Jahre dauern und sicher kein Vergnügen.
Das Fahrrad wird oft als wichtiges Tool für eine Mobilitätswende im Kampf gegen die Klimakrise angeführt. Wie blicken Sie auf dieses komplexe Thema?
Wir leben in einer globalen Welt, und in meinen rund 20 Jahren in der Radsportbranche habe ich auf allen Ebenen sehen können, wie sehr wir miteinander verbunden sind, bei allem was wir tun. Dass es keine endlosen Ressourcen gibt, und dass die Natur, die wir so lieben, endlosem Missbrauch nicht standhalten kann. Zudem konnten wir im Zuge der Nettomigration in immer größere Metropolen während der letzten 50 Jahre erleben, dass sie Menschen nicht glücklicher macht. Mehr noch: Vielerorts leiden die Bewohner unter übler Luftverschmutzung und einer beeinträchtigten körperlichen wie psychischen Gesundheit. Das urbane Leben zu überdenken ist also von hoher Dringlichkeit, und das bescheidene Zweirad, auch kombiniert mit einem E-Motor, spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Hat sich in Ihrer Beobachtung die Einstellung der Konsumenten und damit ihr Kaufverhalten bereits signifikant verändert?
Die Verbraucher sind sich des Klimanotstands extrem bewusst, insbesondere des CO2-Ausstoßes bei der Herstellung eines Produktes und dessen Gebrauchs. In beiden Kategorien ist das Fahrrad das effizienteste Fortbewegungsmittel, auch bei einem elektrischen Antrieb. Es verbraucht relativ wenige Rohstoffe in der Herstellung, ist über Jahrzehnte im Gebrauch und dabei wartungsarm. Mehr und mehr Kunden berücksichtigen die Auswirkungen einer Anschaffung im Kontext der einen Welt, die wir alle teilen. Zwei-Tonnen-Autos mit Verbrennungsmotor? Die werden in unseren Städten bald nicht mehr willkommen sein.
Was erwarten Sie sich von den kommenden (Geschäfts-)Jahren?
Ich bin optimistisch. Wir stehen alle vor großen globalen Herausforderungen und müssen uns denen auch als Unternehmen stellen. Das bedeutet mitunter, über kurzfristige finanzielle Gewinne hinwegzusehen und mit anderen Branchen gemeinsam an der Lösung drängender Probleme zu arbeiten. Wir hoffen sehr, unseren Teil dazu beitragen zu können.
Welche deutsche Stadt hat die meisten Faltrad-Fans?
Unser erfolgreichster Händler sitzt in Hamburg, und auf meinen Besuchen und Ausflügen dort habe ich etliche Brompton Bikes gesehen. Ich würde die Hansestadt also mal an die Spitze setzen.
Sind die meisten Ihrer Kunden eigentlich Rad-Pendler oder eher in der Freizeit auf einem Faltrad unterwegs?
Besonders großen Nutzen zieht man aus einem Faltrad sicherlich in der Stadt, das beschränkt sich aber nicht nur auf den Weg zur Arbeit. Die patentierte Konstruktion, die unser Gründer Andrew Ritchie sich damals ausgedacht hat und die wir seitdem immer weiterentwickeln, ist einfach perfekt für das Leben in Metropolen. Es ist leicht, kompakt und in zehn Sekunden zusammengeklappt oder aufgefaltet. Sie können es mit in die Wohnung nehmen, damit Diebe keine Chance haben und ganz flexibel mit anderen Verkehrsmitteln wie Bahn, Bus oder einem Auto kombinieren.

Wenn einer in die Pedale tritt, dann kann er was erzählen, oder? Haben Sie eine Anekdote für uns?
Einer unserer New Yorker Kunden macht sich manchmal mit Rad und Ruderboot auf den Weg ins Office, und ich konnte ihn auf einer solchen Tour begleiten. Wir fuhren um 5 Uhr in der früh auf unseren Bromptonrädern los, eines davon zog einen Anhänger mit zwei Faltbooten. Am Ufer des Hudson River bauten wir die Boote auf, stiegen mit geklappten Rädern und Anhänger ein und ruderten los. Die Flut beschleunigte unsere Reise nach Uptown Manhattan, wo wir auf Höhe der 77. Straße wieder an Land gingen, alles verstauten und wieder bis zur 14. Straße radelten. Gerade rechtzeitig zum Start des Office-Tages. Von solchen Storys habe ich unzählige auf Lager ...
Wie haben langjährige Loyalisten Ihrer Marke auf die Elektrifizierung der neuen Modelle reagiert?
Unsere Kunden wissen, dass wir das Freiheits- und das Glücksgefühl von Großstädtern erhöhen wollen. Ein wesentlicher Faktor ist dabei einfach, dass möglichst viele Menschen vom Auto aufs Fahrrad umsteigen müssen, gern auch in Kombination mit Bus und Bahn. Und bei dieser Mission unterstützen uns die treuen Fans voll und ganz.
Wie ist das Verhältnis im Verkauf zwischen traditionellen Rädern und E-Bikes?
Bei den Stückzahlen machen E-Bikes derzeit etwa 10 Prozent aus und dieser Anteil wächst sehr dynamisch.
Wenn Sie Politikern bei ihrem Ringen um die zukünftige Mobilität in Metropolen beraten könnten, was wären Ihre Top-3-Ratschläge?
1. Die Infrastruktur verbessern. 2. Die Mobilität in Innenstädten auf Fahrräder, E-Bikes und Lastenräder sowie Fußgänger beschränken.
3. Allen Kindern im Rahmen des Schulunterrichts das Radfahren beibringen.
Haben Sie einen Lieblingssong für den Radweg ins Büro?
Da man auf dem Sattel weniger im Stress ist, würde ich gleich ein ganzes Album auf die Playlist setzen: „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ von den Beatles.
Das Unternehmen Brompton Bicycle wurde 1976 in Greenford, einem Vorort von London, von dem Ingenieur Andrew Ritchie gegründet und ist auf hochwertige Falträder spezialisiert. Seit 2017 auch mit elektrischem Antrieb. Die mittlerweile patentierte Idee kam Ritchie während seiner Arbeit als Landschaftsgärtner und den Namen entlieh er einer Kirche im Bezirk Kensington, der Brompton Oratory. Aktuelle Modelle wie das „E-Bike M6L Black“ mit 6-Gangschaltung kosten etwa 3500 Euro, das klassische Faltrad ohne Elektrifizierung, beispielsweise „Black Edition M2L Flame Lacquer“, liegt bei etwa 1870 Euro. Brompton ist nach Stückzahlen der größte Fahrradproduzent Großbritanniens mit ungefähr 50.000 Rädern.