
Der Fachkräftemangel sowie ein neues Verständnis von Job und Freizeit krempeln das Berufsleben um: Spätestens nach der pandemiebedingten Homeoffice-Periode stellt sich Arbeitnehmern immer häufiger die Frage, was ihnen bei der Arbeit wichtig ist. Wollen Unternehmen bei Bewerbern Gehör finden, müssen sie unter anderem für eine Kultur sorgen, die die Balance zwischen Unternehmensinteresse und privaten Belangen der Mitarbeitenden besser austariert.
Nine-to-five hat ausgedient. Der Job wird bei vielen Mitarbeitenden als ein Baustein des Lebens betrachtet – nicht mehr und nicht weniger. Besonders deutlich wird die Transformation, die Unternehmen gerade durchlaufen, beim Thema Mobile Working: Jahrzehntelang galt Arbeiten außerhalb der Firma in Chefetagen bestenfalls als geduldet, um sich im Wettbewerb um die besten Talente alle Optionen offenhalten zu können. Doch die fortschreitende Digitalisierung mit technologischen Innovationen in der Kommunikation und Mobilität, spätestens aber die Corona-bedingte Umsiedlung ins Homeoffice, führen selbst bei konservativen Unternehmenslenkern zum Umdenken. Treiber für einen Richtungswechsel in der Unternehmenskultur sind vor allem junge Mitarbeitende, die Angehörigen der Millennials und Generation Z, mit einer oft klaren Meinung von Arbeit. Sie arbeiten, um zu leben, nicht umgekehrt.
Arbeit und Privatleben neu austarieren
Großraumbüros, Bällebäder, Matetee und Yogakurse: alles schön und gut. Wollen Unternehmen neue Talente finden und halten, müssen sie den Bewerberinnen und Bewerbern aber viel mehr zu verstehen geben, dass Flexibilität, Agilität und die individuellen Interessen der Angestellten keine Lippenbekenntnisse sind. New Work hat Organisationen einen neuen Maßstab aufgedrückt. Der sogenannte Cultural Fit ist für viele Personalentscheider künftig sogar grundlegend dafür verantwortlich, ob eine Organisation gedeiht oder nicht. Das sind Erfahrungen aus 20 Jahren mit New Work; zu diesem Ergebnis kommen auch mehr und mehr Umfragen.
Ende 2021 hatte das Bewertungsportal Glassdoor rund 1000 Deutsche und mehr als 4000 weitere Teilnehmer in Großbritannien, Frankreich und den USA nach der Bedeutung von Kultur und Leitbild eines Unternehmens befragt. Mehr als drei Viertel aller Befragten würden sich demnach vor einer Bewerbung genau mit der Unternehmenskultur auseinandersetzen. Ein möglicher Grund dafür: Mehr als jeder zweite Teilnehmer äußerte die Überzeugung, dass die Kultur einen höheren Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit hat als das eigene Gehalt.
Arbeitgeber, die ihre Personalgewinnung und -bindung verbessern möchten, kommen nicht umhin: Sie müssen den Aufbau einer starken Unternehmenskultur und eines Wertesystems vorantreiben. Wie kann das aussehen? Unserer Erfahrung nach kommt es darauf an, die Balance zwischen Job und Privatleben richtig auszutarieren. Auch im Beratungsgeschäft hält deshalb mehr und mehr ein Verständnis Einzug, das die Belange der Mitarbeitenden berücksichtigt. Eine Auszeit, um neben der Beratung eine Ausbildung zur Skilehrerin zu machen, mehrere Monate remote von Italien zu arbeiten, Freitagnachmittags zum Wellenreiten, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen: Unternehmen brauchen eine neue Vorstellung davon, wie viel Freiraum sie Mitarbeitenden einräumen, damit diese ihren Interessen nachgehen können. Natürlich gilt, dass Ziele erreicht, Projekte beim Kunden abgeschlossen werden müssen. Umso wichtiger ist es, eine Kultur zu ermöglichen, in denen Mitarbeitende in Absprache mit Kunden und Teams ihre Zeit selbstständig planen können.
Dieser Freiraum bezieht sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen Job und Privatleben, sondern auch auf das Maß an Entscheidungsfreiheit, das Mitarbeitende genießen. Denn auch das ist ausreichend belegt: Mikromanagement tötet Motivation, selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Arbeiten fördert sie. Leitplanken statt Regeln lautet das Gebot der Stunde, um Mitarbeiter den nötigen Freiraum zu geben. Das fängt bei der Auswahl des eigenen Dienstwagens an und hört bei der Art und Weise, wie man ein Projekt führt, auf. Hier zeigt sich, wie viel New Work wirklich in einem Unternehmen steckt.
Das Geheimrezept, das einen guten Arbeitgeber ausmacht? Im Grunde ganz einfach: Jeder will, dass man ihm vertraut, ihn respektiert, ernst nimmt, nicht behindert und wahrnimmt – nicht als Nummer oder Ressource, sondern als Mensch. Arbeitgeber, die dies nicht nur verstanden haben, sondern auch in die interne Kommunikation, Führungsverhalten, Feedbackgespräche, Entscheidungsprozesse, Gratifikationsprozesse etc. übersetzen, werden es in jeder Hinsicht leichter haben.
Natürlich ist das kein Freibrief für alle Mitarbeitenden. Damit New Work funktioniert, müssen auch sie einen Teil dazu beitragen. Arbeitgeber sind auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen, die nicht nur fachlich hervorragend sind, sondern die den Freiraum, der sich ihnen bietet, auch ausfüllen wollen und sich für ihre Aufgabe, ihre Kollegen und ein Stück weit für das Unternehmen verantwortlich fühlen.