Alles was Sie zur Konjunktur wissen müssen, im Schnellverfahren: Ökonomen skizzieren die aktuelle Wirtschaftslage - in zehn Fragen und zehn kurzen Antworten.
Oliver Holtemöller ist Konjunkturchef am Institut für für Wirtschaftsforschung Halle sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Stehen wir vor einer deutlichen Abschwächung der Konjunktur in den Industriestaaten?
Eine deutliche Abschwächung ist zwar möglich, am wahrscheinlichsten ist es aber, dass das derzeit mäßige Expansionstempo in den Industriestaaten in etwa anhält.
Wie groß ist aktuell das Risiko einer Rezession in Deutschland?
Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Produktion im Sommerhalbjahr zwei Quartale hintereinander zurückgegangen ist, was dann eine technische Rezession bedeutete. Aber selbst in diesem Fall wäre es übertrieben, Deutschland in einer Rezession zu sehen. Einen gravierenden Einbruch der inländischen oder ausländischen Nachfrage gibt es derzeit nicht, wir befinden uns eher in einer kurzen Phase der Stagnation.
Wie gefährlich sind die Auswirkungen der Ukraine-Krise derzeit noch für die deutsche Wirtschaft?
Die Hauptgefahr ist wohl in letzter Zeit gesunken, denn es deutet sich an, dass es Russland nicht auf eine Unterbrechung der Öl- und Gaslieferungen nach Europa ankommen lassen wird. Aber natürlich ist das rückläufige Russlandgeschäft für die deutsche Konjunktur abträglich.
Wie dürfte sich das deutsche Wachstum insgesamt im kommenden Jahr entwickeln?
Im Jahresverlauf dürfte die Dynamik etwas höher sein als im Jahr 2014, einen kräftigen Aufschwung wird es aber wohl nicht geben. Selbst bei einer recht dynamischen Konjunktur im kommenden Jahr wird die jahresdurchschnittliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts aber wohl nicht über der des Jahres 2014 liegen.
Kann die US-Wirtschaft oder China die globale Konjunktur stützen?
Die deutlich steigende Nachfrage aus den USA stützt gegenwärtig die Weltkonjunktur. Davon profitieren auch die deutschen Exporteure. Die Wachstumsimpulse aus China lassen freilich schon seit einiger Zeit nach, und sie werden sich wohl weiter abschwächen.
Wie groß ist die Gefahr einer Deflation in Europa?
Die Gefahr ist nach wie vor nicht hoch. Haushalte und Unternehmen rechnen weiter mit steigenden Preisen. Auch wenn die Inflationsraten derzeit durch niedrigere Ölpreise für importiertes Öl gedrückt werden, kommen die fallenden Ausgaben für importierte Energieträger der Konjunktur im Euroraum zugute, was sich letztlich wiederum positiv auf die Inflationsrate auswirken dürfte.
Für welche große Volkswirtschaft sind die konjunkturellen Aussichten derzeit noch am besten?
In erster Linie für die USA, aber auch für Großbritannien.
Was sind derzeit die größten Risiken für die Weltkonjunktur (jenseits der Ukraine-Krise)?
Als erstes eine drohende Immobilien- und Finanzkrise in China, sodann ein Wiederaufflackern der Schulden– und Vertrauenskrise im Euroraum, falls sich die wirtschaftliche Lage in Frankreich und Italien weiter verschlechtert und sich deshalb die poltischen Spannungen in der Europäischen Union zuspitzen.
Wie bedrohlich ist die aktuelle Volatilität an den Finanzmärkten?
Der Anstieg der Volatilität ist ein Warnsignal. Darin kommt eine gestiegene Unsicherheit über die künftige wirtschaftliche Entwicklung zum Ausdruck, und Unsicherheit kann hemmend auf die wirtschaftliche Aktivität wirken. Die Volatilität ist aber nicht an sich eine Bedrohung, sondern ein Indikator für Unsicherheit.
Wie bewerten Sie die Zinspolitik der EZB?
Die letzten Zinsschritte hatten nur noch symbolischen Charakter, sie haben kaum einen Effekt auf die Realwirtschaft. Grundsätzlich ist ein Zinssatz nahe der Null-Prozent-Marke im Euroraum gegenwärtig angemessen. Die aktuellen realwirtschaftlichen Probleme in Teilen des Euroraums lassen sich jedoch durch Zinspolitik nicht lösen.