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Kündigungswelle in der Techbranche Wie man sich von Mitarbeitern nicht trennen sollte

Viele Technologieunternehmen erleben zum ersten Mal eine Welle von Entlassungen 
Viele Technologieunternehmen erleben zum ersten Mal eine Welle von Entlassungen 
© IMAGO / Olaf Döring
Die Techbranche muss gerade schmerzhaft erfahren, was es heißt, Mitarbeitern zu kündigen. Geschickt gehen die Unternehmen dabei nicht vor, wie das Beispiel Twitter zeigt. Das rüde und unsensible Vorgehen könnte den Ruf der Branche auf Jahre schädigen

Die Personalabteilungen der Techgiganten sind überfordert. Jahrelang haben die Unternehmen jeden mit einem Informatikabschluss regelrecht mit Geld überschüttet, nun müssen sie sich zum ersten Mal von Mitarbeitern trennen.

Amazon und Meta wollen 10.000 Stellen streichen und sind damit die Spitzenreiter in der Branche. Twitter produziert dagegen mit Rohheit und Inkompetenz Schlagzeilen. Der neue Twitter-Eigentümer Elon Musk feuerte rund 3700 Mitarbeiter per E-Mail und versuchte unmittelbar danach, einige von ihnen wieder zurückzuholen. Angeblich war ihnen versehentlich gekündigt worden. 

Doch die Entlassungswelle hat viel größere Dimensionen: Fast 800 Technologieunternehmen haben seit Januar angekündigt, 120.000 Stellen zu streichen . Allein diesen Monat habe es bereits 25.000 Kündigungen gegeben, wie die Website layoffs.fyi berichtet.

Abgesehen von ein paar Veteranen – Überlebende der Dotcom-Krise – haben die Beschäftigten in der Technologiebranche so etwas noch nie erlebt. Die Art und Weise, wie der Stellenabbau gehandhabt wird, dürfte die Kultur der Branche in den kommenden Jahren prägen.

Banken sind ein warnendes Beispiel

Denn Innovation und schnelles Wachstum verlangen von den Beschäftigten in der Tech-Industrie normalerweise eine große Portion Zukunftsglauben. Sie arbeiten oft sehr lange und lösen scheinbar unlösbare Probleme, und dabei hoffen sie auf finanzielle Gegenleistungen, die Jahre auf sich warten lassen können. Unerwartete und schlecht gehandhabte Kündigungen untergraben das Gefühl dieser gemeinsamen Aufopferung, und das nicht nur bei den ausgeschiedenen Mitarbeitern, sondern auch bei denen, die bleiben.

Technologieunternehmen sollten das Phänomen nicht unterschätzen und Lehren aus anderen Branchen ziehen. Das Bankwesen zum Beispiel ist berüchtigt für Mitarbeiter, denen es vor allem um den unmittelbaren persönlichen Gewinn geht. Erst die Reformen nach der Finanzkrise von 2008 zwangen die Banken, sich um die Folgen ihres Handelns zu kümmern. 

Die Kurzsichtigkeit der Banker war eine natürliche Folge jahrzehntelanger zyklischer Einstellungen und Entlassungen, die jegliches Gefühl institutioneller Loyalität untergruben. In guten Zeiten wurde Personal aufgestockt, nur um in schlechten Zeiten wahllos Leute rauszuschmeißen. Viele Banken taten dies zudem auf besonders unangenehme Weise.Im Jahr 2012 machte die Schweizer Bank UBS deutlich, wie wenig die persönlichen Gefühle einzelner Mitarbeiter für sie zählen. Etwa 100 Trader für festverzinsliche Wertpapiere mit Sitz in London erfuhren von ihrer Kündigung erst, als sie an den Drehkreuzen mit gesperrten Zugangskarten standen. 

Die Post-Covid-Version von Twitter und anderen besteht darin, die Slack- und E-Mail-Konten der Mitarbeiter zu deaktivieren, bevor sie von ihrer Kündigung erfahren. Doch die Gnadenlosigkeit vermittelt die Botschaft, dass Arbeitnehmer entbehrlich sind und senkt die Bereitschaft für besondere Anstrengungen. 

Es gibt auch Gegenbeispiele

Gleichzeitig können Unternehmen, die einen gewissen Anstand an den Tag legen, Vorteile daraus ziehen. So bewältigte die amerikanische Fluggesellschaft Delta die pandemiebedingte finanzielle Krise hauptsächlich durch freiwillige Abgänge und unbezahlten Urlaub, wohingegen die Konkurrenten American und United Massenentlassungen ankündigten. Als der Flugverkehr im letzten Sommer wieder anlief, konnte Delta sein Personal prompt schneller wieder aufstocken.

Denn obwohl die anderen Fluggesellschaften die meisten ihrer Entlassungen nach der Zusage staatlicher Hilfen zurücknahmen, nutzten ihre ehemaligen Mitarbeiter später die günstige Lage auf dem Arbeitsmarkt und wechselten den Arbeitgeber. (Loyalität hat ihre Grenzen: Die Delta-Pilotengewerkschaft stimmte kürzlich für einen Streik, um gegen die langen Verzögerungen bei den Vertragsverhandlungen zu protestieren.)

Viele Führungskräfte sind davon überzeugt, dass sich Massenentlassungen nicht vermeiden lassen. Aber eine andere Vorgehensweise wäre besser. Patrick Collison, Chef des Zahlungsdienstleisters Stripe, erfuhr kürzlich viel Lob für seine Fehlerkultur und für großzügige Abfindungspakete. So auch Brian Chesky, als er im Rahmen des Stellenabbaus bei Airbnb im Jahr 2020 Hilfe bei der Jobsuche für ausscheidende Mitarbeiter anbot.

Manchmal zahlt es sich aus, nett zu sein

Managementexperten empfehlen eine einzige große Entlassungsrunde mit angemessenen Sozialleistungen. Dabei sollte den Mitarbeitern erklärt werden, warum die Kündigungen notwendig sind und wann damit Schluss sein wird. Menschlich und zugänglich zu sein hilft, doch man sollte es nicht übertreiben. Der Chef der Marketingagentur Hypersocial Braden Wallake wurde zur Online-Lachnummer, als er ein Selfie von sich postete, auf dem er wegen der Entlassungen weint.

Vor allem aber, so der Organisationspsychologe Bob Sutton von der Stanford University, sollte ein Unternehmen nicht nur so tun, als wolle es einfach nur schlechte Mitarbeiter loswerden: „Jeder weiß, dass das Blödsinn ist und möglicherweise trifft man sich irgendwann wieder. Vielleicht möchte man die Leute sogar wieder einstellen.“

Führungskräfte in der Techindustrie sollten auch von Dienstleistungsunternehmen lernen, die aufgrund ihrer „Up or Out“-Beschäftigungsstrukturen jahrzehntelange Erfahrung mit der Entlassung von Mitarbeitern haben. Für viele Anwaltskanzleien und Beratungen sind die ehemaligen Mitarbeiter ein wichtiges Netzwerk für Aufträge. Manchmal zahlt es sich aus, nett zu sein.

© The Financial Times Limited 2022

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