Die Regelung der Unternehmensnachfolge ist für die meisten Familienunternehmen eine große Herausforderung. Noch schwieriger wird es, wenn es um Konstellationen jenseits klassischer Familienmodelle geht – Stichwort Patchworkfamilie. Nadine Kammerlander leitet an der WHU das Institut für Familienunternehmen und Mittelstand und hat für eine neue Studie genau solche Fälle untersucht.
CAPITAL: Frau Kammerlander, Nachfolge in Familienunternehmen ist ein sehr emotionales Thema, es geht um Macht und verletzte Gefühle. Gilt das in den Fällen, die Sie gerade untersucht haben, umso mehr?
NADINE KAMMERLANDER: Es gibt jedenfalls viele Tabus. Wenn wir Studien zu Innovation oder Digitalisierung machen, dann sprechen die Leute sehr gerne und offen mit uns. Das war diesmal komplett anders. Wir mussten zum Beispiel Passagen anonymisieren, weil ein erwachsenes Kind uns sagte: Ich erzähle das Ihnen, möchte aber nicht, dass mein Vater weiß, wie ich denke.
Auch in klassischen Familienmodellen wird die Nachfolge oft zum Drama. Wieso eigentlich?
Die Nachfolge ist ein langer Prozess – mit steuerlichen, rechtlichen und Management-Themen. Noch dazu einer, der ja nur ungefähr alle 30 Jahre und einmal pro Generation stattfindet. Die Familien können also nicht wirklich Wissen aufbauen. Dazu kommt, dass das Klischee vom Patriarchen, der nicht loslassen kann, erstaunlich oft zutrifft. Und auch unausgesprochene Erwartungen spielen meist eine Rolle.
Welche Erwartungen meinen Sie?
Zum Beispiel die der Eltern, die sich wünschen, dass ihre Kinder das Unternehmen weiterführen. Sie sind fest davon überzeugt, dass sie keinen Druck ausüben. Trotzdem spüren die Kinder diesen Wunsch. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Familienunternehmer, der erzählte, seine Eltern hätten nie formuliert, dass sie sich ihn als Nachfolger wünschen – aber auf fast allen Kindheitsfotos war im Hintergrund ein Lastwagen mit dem Firmenlogo zu sehen. Natürlich fühlte er sich gedrängt. Auf der anderen Seite kenne ich eine gescheiterte Nachfolgerin, die das Unternehmen gerne übernommen hätte. Darüber wurde in der Familie aber nie gesprochen, am Ende hat es der Vater verkauft.
Die meisten Unternehmerfamilien wünschen sich, dass die Tochter oder der Sohn übernimmt. Was bedeutet es für die Nachfolge, wenn wir neben dem klassischen Modell vermehrt andere Formen von Familie sehen?
Zunächst einmal wird die ganze Sache deutlich schwieriger und komplexer. Es gibt mehr Beteiligte, Kinder aus verschiedenen Ehen wachsen teilweise ganz unterschiedlich auf. Die einen leben bei dem Elternteil, der das Unternehmen führt, fahren als Kinder mit dem Fahrrad über das Firmengelände und machen später ganz selbstverständlich ein Praktikum und arbeiten früh mit. Die anderen wohnen vielleicht weit weg beim geschiedenen Elternteil, mit ganz anderen Werten und haben es viel schwerer, einen Bezug zum Unternehmen zu entwickeln. Werden diese Kinder später alle gleich am Eigentum beteiligt und haben als Gesellschafter die gleichen Stimmrechte? Oder bekommen die einen mehr und die anderen weniger Anteile? Und wie wird das dann kompensiert?
Was können Lösungen sein?
Die erfolgreichsten Familien, mit denen wir gesprochen haben, haben sich früh Gedanken gemacht und zum Beispiel ein Immobilienportfolio aufgebaut für die Kinder, die weniger unternehmerischen Bezug haben. Andere haben sich bemüht, diesen Bezug bei allen Kindern zu stärken.
Hinzu kommt ja die emotionale Komponente: Hat sich zum Beispiel jemand immer schon benachteiligt gefühlt?
Die Frage der Fairness spielt für die Nachfolge eine extrem wichtige Rolle. Und diese herzustellen, ist natürlich ungleich schwerer, wenn die Ausgangssituation für die Nachfolge an sich schon nicht fair ist, die einen also mit dem Unternehmen aufwachsen und die anderen nicht.
Vermutlich ist es für das Unternehmen ja nicht immer das Beste, im Sinne der Fairness alle gleich zu beteiligen, oder?
Schon die Frage, ob eine 50:50-Aufteilung in der klassischen Familie bei zwei Kindern das Beste ist, wird unter Experten heiß diskutiert. Es gibt dafür keine einheitliche Lösung.
Für die Studie haben Sie auch mit Familien gesprochen, in denen es adoptierte Kinder gibt. Was waren da die wichtigsten Erkenntnisse?
Wie hoch das Konfliktpotenzial ist, hängt vor allem davon ab, in welchem Alter die Kinder adoptiert wurden und aus welchem Motiv. Kommen sie als Babys oder jüngere Kinder in die Familie, zum Beispiel weil ein Paar keine eigenen Kinder bekommen kann, konnten wir bei der Nachfolge meist keine Unterschiede zwischen adoptierten und eigenen Kindern beobachten. Wenn jedoch Erwachsene mit dem Ziel adoptiert werden, die Nachfolge anzutreten, hat der Rest der Familie mit diesen „Kuckuckskindern“ in der Regel ein sehr großes Problem.
Für Aufsehen sorgte vor einigen Jahren der Fall des Hamburger Unternehmers Albert Darboven, der den Kaffee-Erben Andreas Jacobs gegen den Widerstand seines Sohnes adoptieren wollte. Ein Gericht lehnte das ab.
International bekannt ist auch die Geschichte der Familie Gore, die hinter dem Material Gore-Tex steht. Das Gründerpaar richtete einen Treuhandfonds für seine Kinder und Enkelkinder ein. Weil eine Gore-Tochter jedoch weniger Kinder hatte als ihre vier Geschwister, aber nicht wollte, dass ihre Familie deswegen in Summe weniger Anteile erbte, adoptierte sie ihren 65-jährigen Ex-Mann. Das war wirklich Seifenoper-Niveau, und es ging natürlich nicht gut. Am Ende entschied auch hier ein Gericht: Der Ex-Mann ging leer aus, der Plan scheiterte.
In Japan hingegen ist Adoption durchaus ein Nachfolgemodell: Bekannte Unternehmen wie der Autokonzern Suzuki oder der Kamerahersteller Canon haben durch die Adoption erwachsener Männer die Nachfolgefrage geklärt.
In Deutschland wäre das so nicht denkbar. Sofort käme – völlig zu Recht – der Verdacht auf, dass es sich um ein Steuersparmodell handelt. Denn wer an seine Kinder übergibt, zahlt ja weniger Erbschafssteuer. Beliebter war dafür lange, sich über eine Heirat der Tochter einen als Nachfolger geeigneten Schwiegersohn zu angeln. Ein Familienunternehmer, dessen Tochter selbst kein Interesse am Unternehmen hatte, erzählte mir ganz beseelt von dieser Idee. Das ist keine zehn Jahre her.