Alles was Sie zur Konjunktur wissen müssen: Ökonomen skizzieren die Wirtschaftslage in Deutschland und der Welt aus ihrer Sicht. Capital stellt zehn Fragen, die Antworten sollten möglichst kurz sein.
Roland Döhrn leitet den Bereich Wachstum, Konjunktur, öffentliche Finanzen beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen
Droht der deutschen Konjunktur nach den zuletzt schwachen Wachstumszahlen nun ein Einbruch?
Die Konjunktur läuft zweifelsohne schwächer als in der zweiten Hälfte vergangenen Jahres. Das Minus im zweiten Quartal darf man aber nicht zum Nennwert nehmen. Es ist in hohem Maße Folge der milden Witterung im Winter, aufgrund derer das erste Quartal sehr gut ausfiel, sich im zweiten aber nicht der sonst übliche Frühjahrsaufschwung herausbildete.
Mangelt es der deutschen Wirtschaft in dieser Phase an Investitionen?
Ich denke, es hilft nicht, in Phasen, in denen die Erwartungen der Unternehmen sich verschlechtern und das internationale Umfeld sich eintrübt, mehr Unternehmensinvestitionen zu fordern. Investitionen schwanken nun mal deutlich mit der Konjunktur. Allerdings investieren die Unternehmen schon länger im internationalen Vergleich wenig, die Investitionsschwäche scheint also ein langfristiges Problem zu sein.
Wie gefährlich sind die Auswirkungen der Ukraine-Krise tatsächlich für die deutsche Wirtschaft?
Das größte Risiko resultiert nach meiner Einschätzung daraus, dass Europa auf eine Situation zusteuert, wie wir sie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr kennen – nämlich einen neuen Ost-West-Konflikt. Selbst wenn der schlimmste Fall eines offenen Krieges in der Ukraine nicht eintritt, dürfte dies dazu führen, dass Wirtschaftssubjekte anders disponieren als bisher. Was das konkret bedeutet, lässt sich allerdings zur Zeit kaum abschätzen.
Wie dürfte sich das deutsche Wachstum insgesamt in diesem Jahr entwickeln?
Die aktuellen Daten sprechen dafür, dass der Aufschwung in Deutschland immer noch intakt ist, aber wohl deutlich schwächer verlaufen wird, als man das noch vor einiger Zeit erwartete. Allerdings muss man auch sehen, dass augenblicklich die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen einer Generalrevision unterzogen werden, was die Konjunkturdiagnose und –prognose derzeit erschwert.
Werden die westlichen Wirtschaftssanktionen spürbare Auswirkungen auf die russische Wirtschaft haben?
Russland ging schon mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen in den aktuellen Konflikt, das Wachstum dort hatte sich bereits im vergangenen Jahr drastisch verlangsamt. Die Sanktionen, aber auch die Kosten des Konflikts dürften das Wachstum weiter dämpfen. Eine andere Frage ist, was wir davon mitbekommen werden. Denn Russland wird wohl so lange wie möglich nicht zugeben, dass die westlichen Sanktionen seine Wirtschaft beeinträchtigen.
Wird die Ukraine-Krise deutliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft insgesamt haben?
Unmittelbar wohl nur geringe. Dazu ist der weltwirtschaftliche Einfluss Russlands und erst recht der Ukraine zu klein. Mittelbar können die Folgen groß sein, falls sich weltwirtschaftliche Gewichte verschieben, etwa weil Russland sich nach neuen Handelspartnern umsieht oder weil ausländische Investoren Europa als einen zu unsicheren Standort ansehen.
Für welche große Volkswirtschaft sind die konjunkturellen Aussichten derzeit am besten?
Großbritannien befindet sich derzeit wohl in einem kräftigen Aufschwung, und auch die Konjunktur in den USA scheint robust.
Was sind derzeit die größten Risiken für die Weltkonjunktur (jenseits der Ukraine-Krise)?
Die Probleme im Euro-Raum sind noch nicht gelöst, und auch in vielen Schwellenländern läuft es nicht mehr rund.
Droht durch die Probleme ein Wiederaufflammen der Euro-Krise angesichts der Schwäche in Frankreich und Italien?
Ich tue mich etwas schwer, von „der“ Euro-Krise zu sprechen. Jedes Land hat andere Probleme, die andere Lösungen erfordern. In einigen Ländern sind Kreditblasen geplatzt, mit negativen Folgen für die Lage der Banken. Diese wurde bisher vor allem durch die EZB stabilisiert, und die Politik folgte nur langsam, etwa bei der Bankenregulierung. Im Fall Frankreichs und Italiens hat die Finanzkrise eine schon seit längerem bestehende strukturelle Wachstumsschwäche aufgedeckt, und die Länder tun sich schwer, die erforderlichen Strukturreformen umzusetzen.
Was ist bei der Zinspolitik der EZB mittelfristig zu erwarten?
Die EZB wird wohl noch für längere Zeit die Zinsen niedrig lassen, und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie zu weiteren unkonventionellen Maßnahmen greift, was man durchaus kritisch sehen kann.