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Thema Draghis Paukenschlag

Damit hat kaum einer gerechnet: Die Europäische Zentralbank senkt die Leitzinsen auf 0,25 Prozent. Der Schritt wird überwiegend begrüßt. Ein Überblick über den Zinsentscheid.
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EZB-Chef Mario Draghi

Wie begründet EZB-Chef Draghi den Zinsschritt?

Der Notenbankchef beobachtet die niedrige Teuerungsrate in der Eurozone mit Sorge. Im Oktober waren die Preise nur noch um 0,7 Prozent gestiegen, die EZB-Zielmarke liegt bei zwei Prozent. Dazu Draghi:

„..inflation expectations for the euro area over the medium to long term continue to be firmly anchored in line with our aim of maintaining inflation rates below, but close to, 2%. Such a constellation suggests that we may experience a prolonged period of low inflation, to be followed by a gradual upward movement towards inflation rates below, but close to, 2% later on. Accordingly, our monetary policy stance will remain accommodative for as long as necessary. It will thereby also continue to assist the gradual economic recovery as reflected in confidence indicators up to October.“

Zwar spricht der EZB-Präsident nicht von Deflation, doch die Angst vor sinkenden Preisen bildet die Begleitmusik zum Zinsentscheid. Die Angst vor japanischen Verhältnissen geht um: Seit den 1990er-Jahren litt das Land unter sinkenden Preisen und einer lahmenden Wirtschaftsentwicklung.

Die Zinssenkung ist aber auch der Versuch, die schwache Kreditvergabe in der Eurozone anzukurbeln. Zwar hat sich die Wirtschaft aus der Rezession befreit, die Erholung bleibt jedoch schwach.

Wie kommt die Zinssenkung an?

Der EZB-Schritt traf bei deutschen Bankenvolkswirten überwiegend auf Zustimmung. Auch Tony Barber von der Financial Times findet die Zinssenkung richtig und er sieht die Zentralbank auf dem richtigen Weg.

„...the ECB has now shown beyond any doubt that it is not just an old-style inflation-fighting central bank, but an institution that takes seriously the notion that price stability can be threatened by deflation as well as inflation.“

Indirekt ist das auch eine Kritik an der bisherigen Ausrichtung, die angelehnt an die frühere Bundesbankpolitik vor allem Preisstabilität im Blick hatte.

Wie wird das Deflationsrisiko eingeschätzt?

Vor allem in den südlichen Krisenländern droht eine Deflation. Mark Schieritz hält in einem Kommentar auf Zeit-Online den Zinsschritt für notwendig:

„Schon um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, musste die EZB die Zinsen daher noch einmal senken. Das hilft der Wirtschaft, weil unter anderem die Aufwertung des Euro gedämpft würde. Die Stärke der Währung macht derzeit vor allem den Exporteuren im Süden ihr Geschäft kaputt.“

Der deutsche Bankenverband BdB sieht dagegen kein großes Deflationsrisiko. Dazu Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer:

„Die Wirtschaft im Euro-Raum hat sich in den Sommermonaten stabilisiert und wird in den kommenden Monaten auf einem moderaten Wachstumskurs bleiben. Zudem wird sich die Aufwertung des Euro, die die Importpreise zuletzt stark gebremst hat, kaum fortsetzen, denn die Erholung in den USA sollte auch im nächsten Jahr etwas robuster ausfallen als in Europa.“

Welche Kritik gibt es an der EZB-Entscheidung?

Volkswirte fragen sich, welche Instrumente der Zentralbank zur Ankurbelung der Wirtschaft, wenn auch diese Zinssenkung nicht den gewünschten Erfolg bringt. Doch Draghi wird mit den Worten zitiert: „Wir haben die Untergrenze noch nicht erreicht und könnten den Zins grundsätzlich weiter senken.“ Der EZB stehe theoretisch ihr volles Instrumentarium zur Verfügung.

Der BdB warnt vor den Risiken der Niedrigzinspolitik, „insbesondere die Gefahr von falschen Risikoeinschätzungen, verzerrten Investitionsentscheidungen und Vermögenspreisblasen“.

Und die Märkte?

Der DAX schoss nach Bekanntgabe der Entscheidung auf mehr als 9100 Punkte. Auch andere europäische Indizes legten zu. Der Euro verlor dagegen stark – was vor allem in den Krisenländern mit Genugtuung beobachtet werden dürfte.

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