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TTIP und CETA Freihandel wird zum Haftungsrisiko

Der geplante Investitionsschutz mit Kanada kann eine EU-Haftung bei Staatspleiten nach sich ziehen. Berlin will das verhindern. Von Timo Pache
Der Freihandel soll Wachstum bringen, er birgt aber auch Risiken
Der Freihandel soll Wachstum bringen, er birgt aber auch Risiken

Schon das Wort klingt unangenehm: „scrubbing“. Ausbürsten, scheuern, säubern. Das machen gerade Juristen in Brüssel und Berlin mit einem 1600 Seiten dicken Konvolut - dem über Jahre ausgehandelten Entwurf für ein Freihandelsabkommen mit Kanada, kurz CETA genannt. Seite für Seite bürsten sie durch, suchen Fehler und versteckte Fallen. Der englische Begriff „legal scrubbing“ beschreibt die Arbeit auch viel besser als die harmlos klingende deutsche „Rechtsförmlichkeitsprüfung“. Denn was die Beamten beim „scrubbing“ mitunter finden, kann ebenfalls sehr unangenehm sein.

Zum Beispiel auf S.184 der Anhang 10, Überschrift „Public debt“ – öffentliche Schulden. Darin ist geregelt, was passiert, wenn ein Staat unter dem CETA-Regime seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedient. Demnach soll ein Investor im Fall einer Staatspleite keine Klage vor einem Schiedsgericht anstrengen dürfen, wenn die Verhandlungen über eine Umschuldung noch laufen oder wenn mindestens 75 Prozent der Gläubiger der Umschuldung schon zugestimmt haben. So oder so ist eine Frist von 270 Tagen abzuwarten, und geklagt werden kann nur, wenn das Gebot der Nicht-Diskriminierung verletzt wurde. Vieles davon steht in eckigen Klammern: Das bedeutet, der Passus ist noch umstritten.

Was passiert, wenn ein Staat pleitegeht?

Das Bizarre an so komplexen Vertragswerken wie Freihandelsabkommen ist, dass solche Regelungen, die als Einschränkung gedacht sind, die wirklich brisanten Fragen erst aufwerfen: Wie werden Staatsanleihen denn überhaupt in Freihandelsabkommen behandelt? Was passiert, wenn ein Staat pleitegeht? Wer haftet dann? Und war die erste große Umschuldung Griechenlands 2012, bei der nur die privaten, nicht aber die öffentlichen Gläubiger auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichten mussten, genau so ein Verstoß gegen das Nicht-Diskriminierungsgebot?

Heikle Fragen in einer Zeit, in der mit Griechenland immer noch ein EU-Staat hart an der Staatspleite entlangschrammt und bei einigen weiteren zumindest ernsthafte Zweifel an deren dauerhafter Solvenz bestehen. Da kommen auch die qua Amt größten Befürworter des Freihandels in der Regierung ins Grübeln.

So waren selbst führende Regierungsvertreter im vergangenen Herbst schwer erstaunt als sie hörten, Investitionen in Staatsanleihen fielen unter den speziellen Investitionsschutz des geplanten Abkommens mit Kanada (das wiederum als Vorbild für das Abkommen mit den USA gilt) – mit allem was dazu gehört, Klagerecht vor Schiedsgerichten inklusive. Mehr noch, kurz vor Abschluss der Verhandlungen mit Kanada im vergangenen Sommer, brachte die Kommission in Brüssel noch eine Verordnung auf den Weg, die die Vertretung der EU und ihrer Mitgliedstaaten bei künftigen Schiedsgerichtsverfahren regelt.

Proteste gegen das Freihandelsabkommen gibt es in Kanada und in Europa
Proteste gegen das Freihandelsabkommen gibt es in Kanada und in Europa

Die Verordnung 912/2014 sieht vor, dass bei Schiedsgerichtsverfahren gegen ein EU-Land künftig die EU als Ganzes – vertreten durch die Kommission – als Beklagte vor Gericht auftreten kann. Verhängt das Gericht eine Strafe, müsste diese zunächst aus dem EU-Haushalt beglichen werden. Zwar sieht die Verordnung genaue Mechanismen vor, wie der eigentlich verantwortliche Mitgliedstaat diese Strafe dann gegenüber der EU wieder auszugleichen hat. Doch der Text enthält keine Vorgaben für den Fall einer Staatspleite, wenn der betroffene Staat also gar nicht zahlen kann.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), für den der Freihandel in der SPD ohnehin kein Gewinnerthema ist, beauftragte einen der wenigen deutschsprachigen Kenner der Materie, den Rechtswissenschaftler Stephan Schill, damals noch am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, heute Professor an der Uni Amsterdam. Schills Fazit ließ in der Bundesregierung alle Alarmglocken läuten: „Im Falle eines Zahlungsausfalls eines EU-Mitgliedstaates kann es durch CETA zu einer Haftungserweiterung kommen, von der auch alle anderen EU-Staaten indirekt betroffen sein könnten“, sagt Schill heute Capital. Eine Gemeinschaftshaftung in der EU quasi durch die Hintertür – genau das, was die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel all die Jahre in der Eurokrise verhindert hatte.

Dieser Fall könne dann eintreten, wenn die EU-Kommission aufgrund Verordnung 912/2014 vor Schiedsgerichten als Beklagte auftrete und im Falle einer Verurteilung auch Schuldnerin eines Schiedsspruches werde, selbst dann, wenn für den Schaden eigentlich ein Mitgliedstaat verantwortlich sei. „Wenn dieser Staat seine Verpflichtungen gegenüber der EU etwa wegen Zahlungsschwierigkeiten nicht leistet, könnte dies den Haushalt der Union belasten. Lücken im EU-Haushalt müssten dann notfalls andere Mitgliedstaaten ausgleichen“, sagt Schill. Das wäre zwar keine rechtliche Haftung, „faktisch würden die anderen EU-Staaten aber finanzielle Verpflichtungen anderer Mitgliedstaaten übernehmen müssen“, so Schill. Da es bei Staatsinsolvenzen schnell um extrem hohe Forderungen von zig Milliarden geht, drohe hier „ein Problem“ mit der No-Bail-out-Klausel in den EU-Verträgen und der verfassungsrechtlich gesicherten Haushaltsautonomie des Bundestags.

Das Abkommen steht weitgehend

Bisher belächelte man in der Bundesregierung Warnungen von Kritikern der geplanten Abkommen gern: Chlorhühnchen, Nürnberger Rostbratwürste, Hormonfleisch und die angeblich intransparenten Schiedsgerichte – werde schon alles halb so wild, hieß es. Aber jetzt, da es um solide deutsche Staatsfinanzen geht, wird die Regierung selbst ganz argwöhnisch. „Schadensersatzklagen bei Umschuldungen von Staatsanleihen sollten ausgeschlossen sein“, heißt es etwa im Berliner Bundesfinanzministerium. Die Regelungen zum Investitionsschutz in den geplanten Abkommen müssten entsprechend ausgestaltet sein. „Dafür setzen wir uns in den laufenden Verhandlungen zum Freihandelsabkommen CETA ein. Gleiches gilt für die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP.“ Eventuell gebe es sogar die Chance, Staatsanleihen noch komplett vom Investitionsschutz in CETA auszuklammern, heißt es an anderer Stelle in Berliner Regierungskreisen.

Allerdings steckt die Bundesregierung in einem Dilemma: Das Abkommen ist bereits weitgehend fertig, viele Interventionsmöglichkeiten gibt es nicht mehr. Größere Nachverhandlungen sind nicht mehr vorgesehen und erfordern ohnehin, dass Berlin zunächst die EU-Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten für sein Anliegen gewinnt. Gut möglich aber, dass die ganze andere Interessen haben als Berlin. Deshalb richten sich die Berliner Hoffnungen jetzt direkt auf die Kanadier: Wenn die bereit wären, Staatsanleihen ganz aus dem Abkommen herauszunehmen, dann sei auch die Frage der EU-Gemeinschaftshaftung obsolet.

Zerknirscht räumen Regierungsbeamte ein, es wäre besser gewesen, man hätte diese ganze Sache früher bemerkt. Immerhin, im Fall der USA will man jetzt schärfer aufpassen: Staatsanleihen sollen hier von vornherein von einem möglichen Investitionsschutzabkommen ausgenommen sein. Es wäre aber nicht das erste Mal, wenn die Bundesregierung mit ihren Vorbehalten auch hier weitgehend allein bliebe.

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