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Gastbeitrag Das alte System in Frage stellen

Sanft oder hart: Der Führungsstil eines Vorgesetzten ist entscheiden für das Betriebsklima
Sanft oder hart: Der Führungsstil eines Vorgesetzten ist entscheiden für das Betriebsklima
© Pixabay
Die Top 40 unter 40 von Capital sind die nächste Generation der Entscheider und Gestalter in Deutschland. In unserer Gastbeitrags-Serie verleihen wir ihnen eine Stimme zur Corona-Krise. Diesmal: Maria Meiler zur neuen Führungskultur in Zeiten von Corona

Maria Meiler hat die Virtual Academy gegründet. Zuvor hat sie unter anderem bei BCG und Google gearbeitet. Capital hat sie unter Deutschlands Top 40 unter 40 gewählt.

Jeder spricht vom New Normal , doch was verstehen wir darunter? Sobald sich Führungsteams in den komplexen Aufarbeitungsprozess der COVID-19 Geschehnisse vertiefen, ist eine Wahrheit überdeutlich: Wir können es uns nicht leisten, zur alten Vorgehensweise der Unternehmensführung zurückzukehren. Das betrifft im Kern, hinter den Abläufen entlang der Wertschöpfungskette, umfassend die Aspekte Arbeitsweise und Führungskultur.

„Jede Zusammenarbeit ist schwierig, solange den Menschen das Glück ihrer Mitmenschen gleichgültig ist“, postulierte der Dalai Lama. In Zeiten der Industrialisierung mussten wir erkennen, dass der Aspekt des Füreinander in einem krassen Kontrast zur Lebenswirklichkeit in Unternehmen und ihrer Produktivitätsziele stehen kann. Dem haben wir gesellschaftlich, als Folge von Arbeiterrevolten, Einhalt geboten, und eine neue Sozialordnungen bahnte sich im 20. Jahrhundert den Weg.

Heute erleben wir eine Zeit der „stillen Revolte“. Diese drückt sich anders aus, denn die Abhängigkeit zwischen Arbeitskräfteangebot und -nachfrage gestaltet sich oft zu Ungunsten der Unternehmen. Viele haben erkannt, dass der Schlüssel zu Prosperität und sicherer Marktposition stetige, teils radikale Innovation von Produkt und Business ist. Hierzu sind neue Skills nötig, die eine neue Generation an Mitarbeitern mit sich bringt. Selbstverwirklichung, Gestaltungsfreiheit, und Nachhaltigkeit sind Aspekte, die diese Menschen als klare Entscheidungskriterien für oder wider einen Job ansetzen. Laut Gallup erachteten beispielsweise 53% der Arbeitnehmer eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sowie das persönliche Wohlbefinden als „sehr wichtiges“ Kriterium bei der Berufswahl.

Oft scheint sich hier ein Diskrepanz zu öffnen, die auf der einen Seite das Unternehmensziel der Produktivität, auf der anderen die kostenintensive Investition in moderne Arbeitskraft aufwirft. Diese Betrachtung missachtet die Tatsache, dass eine Brücke geschlagen werden kann: satte 21% Produktivitätsvorteile ermittelte Gallup in einer prominenten, weit angelegten Studie bei Unternehmen, die eine hohe Mitarbeiterbindung schaffen. Die meisten Diskussionen und Entscheidungen werden oberflächlich geführt und es gibt den Kicker, die Obstschale und den Meditationsraum. Doch die eigentliche Frage, was das Bedürfnisse dieser wertvollen Ressourcen, der Mitarbeiter ist, wird selten hinterfragt: Wann fühlen sich Menschen gebunden an ihren Arbeitgeber?

Um dem Ganzen Praktikabilität zu verleihen, haben wir den Begriff der Mitarbeiterbindung auf fünf Kernbereiche heruntergebrochen, die auch hinsichtlich Arbeiten in verstreuten Teams, virtuell und auf Distanz, eine sinnvolle Betrachtungsgrundlage bieten: Zugehörigkeit, individueller Beitrag, Transparenz, Autonomie, Gesundheit.

Was muss ein Unternehmen also tun, um die genannten Bereiche erfolgreich zu bespielen? Wie so oft heißt die Antwort: es bedarf der richtigen Führung. Vier Aspekte möchte ich beleuchten.

Vision und Purpose mutig definieren und „anfassbar“ machen

„Wer keine Vision hat, hat keine Wirklichkeit.“, schreibt der deutsch-russische Denker Leon R. Tsvasman. In der Tat: aus meinem Arbeitsalltag bei Google kann ich berichten, welch vorteilhafte Wirkung eine hehre, werte-geladene Vision auf Mitarbeiter hat. Ein gemeinsames Verständnis von Ziel und Purpose schafft Vertrauen (sofern ich als Mitarbeiter an diese glaube und mich identifiziere). Die Übersetzung in den Arbeitsalltag eines jeden Einzelnen ist die zweite, nicht minder wichtige Aufgabe für das Führungsteam. Hierzu gehört auch, was konkret gemessen und belohnt wird. Dieses Vorgehen zahlt auf Zugehörigkeit und individuellen Beitrag ein, schafft Transparenz und fördert damit die Autonomie der Mitarbeiter.

Die Balance zu halten zwischen Autonomie vs. Kontrolle ist gerade jetzt, in Zeiten des „forcierten Home Office“ (laut der jüngsten Gallup-Studie hat sich die Zahl der Personen, die aus dem Home Office arbeiten, innerhalb von drei Wochen verdoppelt (USA)) eine enorme Herausforderung für ein Management, das über Generationen selbstverständlich damit lebte, die Schar der Mitarbeiter vor sich zu sehen . Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beschreibt dies als Anwesenheitskultur und ermittelte , dass 66% der befragten Personen empfänden, ihre Anwesenheit sei durch den Vorgesetzten gewollt. So gesehen ist es verständlich, dass die Wochen der „Steuerung auf Distanz“ für viele Führungskräfte zum empfundenen Kontrollverlust und Unsicherheit führten.

Der Startpunkt für eine veränderte Führungskultur für mehr „produktiv gelebte Autonomie“ ist die innere Haltung einer jeden Führungskraft. Dazu gehört ein Grundvertrauen in den Willen und die Schaffenskraft der Mitarbeiter, vorausgesetzt, dass jeder passend, also entsprechend Fähigkeiten und Vorlieben, eingesetzt ist. Fragen, die es sich jetzt lohnt zu stellen, sind: Was verunsichert mich konkret? Wie viele Momente von „echter“ Minderleistung erlebe ich, wenn ich ehrlich zähle? Wo fehlte die klare Beschreibung der Erwartungen an ein Ergebnis? Welche Hilfestellung kann ich meinem Mitarbeiter geben, damit das nächste Mal das erhoffte Resultat erfolgt? Mehr Autonomie schafft Bindung und erhöhten individuellen Beitrag. COVID-19 hat uns die Chance eröffnet, diese Möglichkeiten ausschöpfen zu lernen.

Strukturen weitblickend definieren und pragmatisch im Alltag umsetzen

Eine jüngste Analyse von Bain zeigt, dass mehr als 80% der Unternehmen die Automatisierung von Abläufen durch IT-Systeme als Reaktion auf Covid-19 vorantreiben. Um blinden Aktionismus zu verhindern, der unter Umständen langwierige Aufarbeitungsprozesse nach sich ziehen kann, ist es jetzt wichtig, szenarienhaft eine klare Vision des zukünftigen Business Modells und der internen Strukturen im Unternehmen zu entwickeln. Nur so können die Maßnahmen wie beispielsweise eine neue IT Infrastruktur sinnvoll entwickelt werden. Kurzfristig ist es wichtig, klare Prozedere zu etablieren, die den Umstand Home Office für Teams gut regeln und bereichsübergreifenden Austausch weiterhin fördern. Einfache Maßnahmen wie tägliche kurze Team Check-Ins können bereits viel Transparenz schaffen, das Zugehörigkeits- und Zusammenhaltsgefühl stärken und Silobildung vermeiden.

Offene, innovationsfördernde Unternehmenskultur etablieren

Moderne Führungskulturen leben verstärkt nach dem Prinzip „Sharing is Caring“ und fordern Selbstorganisation der Mitarbeiter - auf allen Hierarchiestufen. Innovation auf Micro-Level, also außerhalb der strukturiert ablaufenden großen Innovationsprozesse, findet durch informellen, damit oft unstrukturierten Austausch statt. Ein Teamleiter beispielsweise, der das Teilen von Informationen - ob direkt relevant für die Adressaten oder geteilt als „Good Read“ - auch über Abteilungsgrenzen hinweg fördert und belohnt, wird auf Dauer mehr Kreativität, Eigeninitiative und innovative Ansätze im Tagesgeschäft ernten. Dabei lohnt es sich an dieser Stelle, kritisch die oft vorrangig gelebten Effizienzziele zu hinterfragen und stärker auf qualitativ gestaltete Ergebnisvorgaben zu setzen. So entsteht Transparenz, Autonomie wird gelebte Praxis und jeder versteht, welchen Beitrag er durch seine Arbeit leistet.

Abschließend möchte ich konstatieren, dass es nicht darum gehen sollte, einen Wandel zu vollziehen, weil Wandel en vogue ist. Es geht um mehr Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen der aktuellen Gemengelage. Und um ein tieferes Verständnis darüber, welch starker Treiber Mitarbeiterbindung und -orientierung für den Unternehmenserfolg ist. Mut und Vertrauen sind zwei Eigenschaften, die ein Management braucht, um danach konsequent zu handeln. Denn: Ergebnisse unter diesem Aspekt benötigen Ihre Zeit.

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