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Kolumne Ach was? Reflexionen in Corona-Zeiten

Lars Vollmer
Lars Vollmer
© André Bakker
Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. Wir erleben eine Unsicherheit, deren Komplexität uns überfordert. Lars Vollmer über abstrakte Ratschläge für konkrete Probleme

Ich bin schon wieder in Köln. Auch wenn ich die Stadt ein bisschen mag, bin ich nicht da, wo ich im Moment sein wollte. Ich bin nur eben nicht mehr nach Barcelona gekommen nach meinem Skiurlaub in Österreich. Ich war übrigens nicht in Tirol und fühle mich auch sonst noch pudelwohl. Nur dass mir nach drei Tagen in Köln schon die Decke auf den Kopf fällt – aber gut, das wird sich irgendwie machen lassen.

Ich bin ja beileibe nicht der einzige, bei dem dank Corona vieles nicht so läuft wie geplant. Deshalb will ich auch nicht jammern. Ich betrachte die Situation eher mit einer Mischung aus Sorge und Zuversicht. Und auch mit einem gewissen Maß an Demut und Neugier.

Denn eines ist sicher: Die Situation, wie wir sie jetzt haben, ist nicht nur ungewohnt, sie ist auch hochkomplex. Deshalb verbietet sich aus meiner Sicht die Form von Kolumne, wie Sie sie von mir gewohnt sind: In solchen Zeiten lässt sich einfach nichts Vernünftiges über den Fortschritt von Wirtschaft, Organisation und Gesellschaft schreiben. Es ist der falsche Zeitpunkt, um so etwas aufzuarbeiten. Später gerne wieder.

Auf der anderen Seite eröffnet Corona uns allen ganz unmittelbar den Blick auf das, was Komplexität wirklich bedeutet.

Nicht wirklich neu, aber irgendwie schon

Seit ich für Capital Kolumnen schreibe, rede ich davon, dass die Welt immer komplexer wird, und welche ganz alltäglichen Phänomen das hervorbringt. Zum Beispiel: Kontingenz, also dass ein Zustand so sein kann, wie er ist (war, sein wird), aber auch gänzlich anders. Oder weniger verschwurbelt: dass Sie heute nicht wissen können, was morgen ist. Beziehungsweise dass ein Wirtschaftsunternehmen nicht wissen kann, ob es morgen noch so produzieren kann, wie es das möchte, und ob es das überhaupt noch darf.

Kontingent war die Welt schon vor Corona. Doch im Unterschied zu „normalen“ Zeiten trifft die Unsicherheit, die Abwesenheit von kausalen Ursache-Wirkungsketten aktuell jeden und mit ziemlicher Wucht.

Um so spannender ist es, wenn Sie die Reaktionen auf diese Situation verfolgen.

„Die Null muss stehen“

Jeder selbst ernannte Experte meint ja, er müsse gerade jetzt in Artikeln oder in den sozialen Netzen etwas Kluges zum Besten geben, weil er ja schließlich ein Experte ist. Das Blöde ist nur: Das Merkmal von komplexen Entwicklungen ist nun mal, dass keiner weiß, wie es genau weitergeht. Die Experten sitzen also in der Expertenfalle, was sie nicht daran hindert, ungeniert weiter zu schreiben.

Wenn Sie heute auf Twitter alle Einträge löschen würden, die nur Banalitäten enthalten, blieben vielleicht zwei oder drei Tweets übrig. Und Twitter würde pleite gehen. Na gut, die sind es ja eh schon.

Dabei kann ich es keinem Experten übelnehmen, der sich so äußert. Die aktuelle Situation bringt sie in eine ähnliche Lage wie Fußballexperten, die abstrakte Fragen beantworten sollen. Was sollen die denn sagen, wenn sie zum Beispiel gefragt werden: „Sagen Sie, wie gewinnt man denn ein Fußballspiel?“ Wenn sie sich überhaupt auf so eine Frage einlassen, können sie nur in Plattitüden antworten wie „Die Null muss stehen.“ oder „Da muss man aggressiv verteidigen und die eigenen Chancen nutzen.“

Bei solchen Sätzen kommt mir seit jeher der unnachahmliche Loriot und sein „Ach was?“ in den Sinn.

Ich glaube, so oft wie in den letzten Tagen habe ich schon lange nicht mehr an eben dieses Loriot‘sche Bonmot gedacht. Oder was fällt Ihnen als Kommentar ein zu Sätzen wie „Jetzt müssen wir den Verstand walten lassen“ oder „Wir sollten jetzt umsichtig handeln“?

Ach was?

Unfassbar lächerlich

Überall, wo es komplex zugeht, können bei einer abstrakten Betrachtung nichts als Plattitüden herauskommen. Sie können Komplexität nicht abstrakt bereden, sondern nur konkret. Und natürlich können und sollen Sie über konkrete Dinge reden, wenn es erforderlich ist: Wie stellen Sie mit Ihrer Familie in Ihrer Konstellation in Ihrer Region sicher, dass Ihre Nahrungsmittelversorgung gesichert ist? Oder Sie überlegen für Ihr Unternehmen: Wie können wir, die wir in dieser Branche sind und die wir konkret von diesen Auswirkungen betroffen sind, die nächsten Monate überstehen?

Auf dieser konkreten Ebene lässt sich über alles reden. Auf der abstrakten Ebene kommt nur etwas unfassbar Lächerliches heraus. Ich wusste deshalb auch nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, als ich Christian Sewing, dem Deutsche-Bank-Chef, lauschte. Er verkündete noch vor wenigen Tagen, dass er sein Haus für die Krise gut gerüstet sehe.

Ich deute seine Äußerung als eine Mischung aus Hybris und Ignoranz, denn er kann das natürlich gar nicht wissen. Es ist mir schon klar, dass er damit Stärke zeigen will, in der Hoffnung, Vertrauen zu schüren. Aber meinem Eindruck nach bewirken Sie genau das Gegenteil, wenn Sie heute als Top Executive so tun, als könnten Sie komplexe Ereignisse vorhersehen. Damit bauen Sie eher Vertrauen ab!

Und überhaupt ist es ja auch typisch für komplexe Situationen, dass Sie die Wirkung Ihrer Handlungen nicht mehr vorhersagen können.

Aufruhr statt Beruhigung

Schauen Sie sich die amerikanische Zentralbank an: Sie hat die Zinsen deutlich gesenkt, in der Erwartung, dass sich die Märkte daraufhin stabilisieren. Und wenige Stunden später kollabieren die Kurse, weil jeder denkt: Wenn die Fed an einem Sonntagabend einen Schritt in diesem Ausmaß verkündet, dann muss die Lage ja wirklich schlimm sein.

Wer weiß: Vielleicht hat genau die gleiche Handlung in acht Wochen wieder den erwünschten stabilisierenden Effekt. Das kann keiner sagen!

Die ganzen Ursache-Wirkungs-Mechanismen, die wir im Kopf haben, fallen angesichts komplexer Situation in sich zusammen. Da helfen auch die aufmunternd gemeinten Aufrufe wie „Es wird schon weitergehen“ nicht mehr, denn auch die sind nichts als Platitüde. Ich weiß wirklich nicht, wen die beruhigen sollen.

Loriot'scher Ratschlag

Meine Strategie nicht nur in komplexen Situationen ist, an das schlimmste mögliche Szenario zu denken und daran, wie ich dies möglichst verhindern kann. Und alles andere löse ich von Tag zu Tag.

Und wenn Sie mir darauf treffend antworten: „Ach was, Herr Vollmer?“, dann gebe ich Ihnen recht: Auch dieser Rat ist wie alle abstrakten Ratschläge in komplexen Zeiten ein Loriot‘scher. Aber wir haben nun mal keine besseren. Außer vielleicht: Bleiben Sie gesund und kümmern Sie sich um die konkreten Probleme!

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem Buch „ Der Führerfluch – Wie wir unseren fatalen Hang zum Autoritären überwinden “ stellt er den Krisen in unserem Land Ideen von Selbstorganisation und Eigenverantwortung gegenüber. Hier finden Sie weitere Kolumnen von Lars Vollmer

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