Wer heute durch deutsche Stadtzentren läuft, kommt an vielen leerstehenden Geschäften vorbei. Vor allem große Einkaufszentren drohen zu verwaisen, seit immer mehr Menschen lieber im Internet auf Shoppingtour gehen. Wie in vielen Bereichen der Wirtschaft hat die Coronakrise auch hier einen bestehenden Trend beschleunigt. So will Deutschlands größte Parfümeriekette Douglas krisenbedingt fast jede siebte Filiale schließen. Der angeschlagene Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof muss sich vom Staat retten lassen. Und viele kleine Einzelhändler haben ihre Läden für immer geschlossen.
Was wird aus leeren Ladenflächen in besten Lagen? „Die Frage, wie die Zukunft unserer Innenstädte aussehen könnte, steht nicht erst seit Corona im Raum. Sie ist nur drängender geworden“, sagt Michael Held, Chef des Bauprojektentwicklers Terragon. Eine klare Antwort darauf gibt es bisher nicht. Wohl aber einige Ideen.
Auf der Hand liegt eine Umwidmung von Gewerbe- in Wohnraum. Vor allem in Metropolen sind Wohnungen knapp. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wird der Bedarf an Neubauwohnungen in Köln seit 2016 nicht mehr gedeckt. Auch in Stuttgart, Frankfurt, München und Berlin mangelt es an Wohnraum. Vor allem Ladenflächen oberhalb des Erdgeschosses könnten gut in Wohnungen umgewandelt werden.
Ausbau des betreuten Wohnens
Eine besonders soziale Variante, Wohnraum in Stadtzentren zu schaffen, wäre das Einrichten sogenannten Service-Wohnens, auch als betreutes Wohnen bezeichnet. Entsprechende Angebote richten sich vor allem an Senioren, die in gemieteten oder gekauften vier Wänden Services wie einen Hausnotruf, einen Hausmeister- und im Notfall auch einen Reinigungsdienst in Anspruch nehmen können. „Innerstädtische Standorte sind für ältere Menschen attraktiv, weil sie fußläufig die Dinge des alltäglichen Bedarfs erreichen können und dafür kein Auto brauchen“, sagt Held. Der demografische Wandel macht einen Ausbau des betreuten Wohnens besonders interessant.
Durch die Dominanz des Einzelhandels hat sich über Jahre hinweg in zahlreichen Innenstädten eine Monokultur herausgebildet. Jetzt sei es an der Zeit für eine vielseitigere Nutzung, sagt Iris Schöberl, Geschäftsführerin der Immobilienfondsgesellschaft BMO Real Estate Partners Germany. „Gute Konzepte verbinden eine Büro- oder Wohnnutzung in den oberen Stockwerken mit Einzelhandel, Gastronomie oder Kultur im Erdgeschoss“, erklärt sie. Auch Arztpraxen und andere Dienstleister aus dem Gesundheitsbereich können zu einem bunteren Bild in den Innenstädten beitragen.
Um neue Konzepte umsetzen zu können, brauchen Immobilienbesitzer und Investoren die Unterstützung der Kommunen. „Um Leerstand zu vermeiden, müssen Städte auf Dauer flexibler werden, ihre Baugenehmigungen lockern und auch mal Interimsnutzungen zulassen“, fordert Schöberl. Letzteres meint die Zwischennutzung von Gebäuden und Flächen über einen begrenzten Zeitraum hinweg. Die Idee dahinter: Junge Projekte sollen für eine begrenzte Zeit die Möglichkeit bekommen, günstig ein Objekt in guter Lage zu mieten. Eigentümer profitieren, weil keine Leerstandskosten anfallen. Kritiker befürchten allerdings, dass allzu hippe Nutzungskonzepte für innerstädtische Immobilien die Gentrifizierung der Stadtkerne beschleunigen.
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