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Jan Peter Hinrichs „Mit diesem Sanierungstempo bräuchten wir für den gesamten Bestand 100 Jahre“

Altbausanierung in Berlin
Altbausanierung in Berlin
© IMAGO / photothek
Die Quote bei energetischen Sanierungen liegt aktuell bei unter einem Prozent. Zu wenig, um die Klimaziele zu erreichen. Jan Peter Hinrichs vom Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle erklärt, warum eine Sanierung nur Vorteile hat und die Kosten beherrschbar sind

Woran erkennt man den energetischen Zustand eines Gebäudes?
JAN PETER HINRICHS: Man kann an der Gebäudehülle und an den Fensterlaibungen abschätzen, wie stark die Dämmstärke ist und an den Fenstern schauen, ob man zwei oder drei Scheiben Verglasung hat. Davon kann man den Zustand ungefähr ableiten.

Wird so auch festgestellt, ob ein Haus saniert werden muss?
Nein, das ist nur ein erster Blick. Wenn Sie eine genaue Einschätzung brauchen, sollten Sie einen Energieberater verständigen. Der kommt vorbei, schaut sich das Haus genau an und rechnet mit spitzem Bleistift aus, wo man dieses oder jenes tun kann.

Und der stellt dann auch den Energieausweis aus, der für die Sanierung entscheidend ist? Oder muss der bereits vorliegen, wenn man überlegt, eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen?
Den kann ein Energieberater ausstellen, aber beim Kauf muss der natürlich vorliegen - außer, es handelt sich um ein historisches Gebäude. Aber wenn das Haus unter Denkmalschutz steht, kann man von energetischen Schwierigkeiten ausgehen. Es gibt aber auch einen Verbrauchsausweis. Den können Sie online kaufen, Sie müssen nur Ihre Rahmendaten eingeben. Aber das ist gefährlich, weil das Nutzerverhalten sehr stark einfließt. Falls Sie vor der Erstellung längere Zeit im Urlaub waren, hat dieser Ausweis keine große Aussagekraft.

Jan Peter Hinrichs
Jan Peter Hinrichs ist Geschäftsführer des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle. Der BuVEG setzt sich dafür ein, „dass die Gebäudehülle politisch in Berlin vertreten ist“.
© BuVEG

Oder wenn man die Heizung im vergangenen Winter heruntergedreht hat?
Auf jeden Fall. Ganz sollte man sie aber nur in neueren Gebäuden abstellen. Sehr alte neigen gerade bei schlechten Fenstern zu Schimmelpilz. Dann haben Sie feuchte Kondensation an den Oberflächen.

Das Interesse an energetischen Sanierungen ist erst in den letzten Monaten gestiegen. Warum hat sich vor der Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz niemand dafür interessiert?
Das ist offensichtlich abhängig von den Energiekosten. Als die durch den Ukraine-Krieg stark gestiegen sind, hat das Bewusstsein für den Energieverbrauch zugenommen, denn alle haben gemerkt: Das geht direkt ans Portemonnaie. Auch Mieter gucken sich jetzt ihre „zweite Miete“, also die Nebenkosten an, und überlegen: Steigen die an? Kann ich mir die Wohnung in dem Zustand, in dem sie sich jetzt befindet, in Zukunft noch leisten?

Steht denn bei Ihren Abwägungen als Verband das Energiesparen im Vordergrund oder doch die Tatsache, dass wir Klimaziele erreichen wollen und müssen?
Der große Vorteil beim Energiesparen ist, dass es überall hilft. Sobald man investiert hat, spart man Geld, tut was für den Klimaschutz und - ein großer Vorteil, der leider häufig vergessen wird - die Behaglichkeit steigt. Sie können jeden Quadratmeter Wohnraum nutzen und müssen im Winter nicht die Fenster meiden, weil es zieht. Mit einer guten Gebäudehülle lässt sich dieses Problem beseitigen.

Gegenwind ist also nur noch von den Energielieferanten zu fürchten?
Nein, da schreit niemand, nur weil die Menschen ihre Gebäudehülle verbessern. Das liegt aber auch daran, dass wir beim Sanieren sehr langsam vorankommen.

Tatsächlich haben ja Sie geschrien. Besser gesagt, alle Verbände, die im Bereich der Wärmewende aktiv sind. Denn Sie haben das langsame Tempo und einen Einbruch der Sanierungsrate im Juli in einem Brandbrief an die Bundesregierung kritisiert. Gab es einen konkreten Anlass?
Die Sanierungsquote liegt aktuell bei unter einem Prozent. Das ist bereits ein niedriges Niveau, das durch das Gebäudeenergiegesetz weiter gesunken ist. Die abwartende Haltung wird immer stärker. Das ist natürlich ein Nachteil, wenn man bis 2030 Klimaziele erreichen möchte.

Sie meinen die Diskussionen um die Wärmepumpe?
Genau. Wenn man mehr als Überschriften gelesen und wirklich hingeschaut hat, was das Bundeswirtschaftsministerium machen wollte, war das Gesetz nicht so schlecht vorbereitet, wie immer behauptet wird.

Eine ungewöhnliche Perspektive – mit Blick auf die Gebäudesanierung?
Mit Blick darauf, dass wir bis 2030 bei der Klimaneutralität Fortschritte machen wollen, aber die vorgeschlagene Geschwindigkeit nicht angenommen wird. Allerdings wird es mit der Zeit immer schwieriger, diese Ziele zu erreichen. Welchen Preis muss man zahlen, wenn man erst in ein paar Jahren anfängt? Ist er höher als heute?

Je länger wir warten, desto teurer wird es, weil wir in kürzerer Zeit mehr leisten müssen.
Ja. Der Berg wird immer steiler. Das ist das Problem. Denn die Ziele ändern sich nicht.

Hat die Bundesregierung den Prozess kommunikativ verbockt?
Das ist der Punkt, denn das Gesetz ist ja nicht neu. Man muss immer wieder sagen, dass es bereits 1976 entstanden ist. Der Vorgänger war das Wärmeschutzgesetz, dann die Energieeinsparverordnung. Daraus ist das Gebäudeenergiegesetz entstanden, das fälschlicherweise Heizungsgesetz genannt wurde, obwohl so viel mehr drinsteht als Heizungen. Das Ding hat insgesamt 114 Paragrafen. Davon will das Ministerium zwei anpassen. Aber diese beiden waren in der Hinsicht ein starker Eingriff, als dass zum ersten Mal der Bestand adressiert wurde. Das war vorher nie wirklich der Fall. Und selbst wenn dazu verpflichtet wurde, die oberste Geschossdecke zu dämmen, wurde es nicht kontrolliert. Bei Heizungen ist das anders, da kommt der Schornsteinfeger.

Wie schlimm ist denn der Rückgang bei den Sanierungsanträgen? Muss man von einem Einbruch sprechen?
Wir sehen eine gewisse Zurückhaltung oder sogar einen Rückgang der Förderanträge. Aber wie gesagt, wir befinden uns bei den Förderzahlen schon auf einem niedrigen Niveau. Allerdings lässt sich schwer beziffern, wie viele genau es sind, weil Sanierungszahlen nicht exakt erhoben werden. Wir wissen ungefähr, wie viele Quadratmeter es sind. Das könnte man zurückrechnen, aber diese Zahl würde niemandem etwas sagen.

Und diese Sanierungsquote besagt, dass wir im Bestand aktuell ein Prozent der Gebäude pro Jahr schaffen?
Das schätzt man. Mit diesem Tempo bräuchten wir für den gesamten Bestand 100 Jahre. Ein bisschen lang, wenn man sich Ziele für 2045 gesteckt hat.

Was wäre denn nötig und theoretisch auch möglich?
In einer Leitstudie der Deutschen Energieagentur haben wir ungefähr berechnet, dass zwei Prozent pro Jahr nötig wären, also quasi eine Verdopplung. Das Problem ist: In den vergangenen Jahren gab es immer zu wenig Kapazitäten für Sanierungen, weil der Neubau sehr stark lief. Jetzt gibt es einen Einbruch im Neubau und die Kapazitäten für Sanierungen stünden zur Verfügung, sie starten aber trotzdem nicht.

Und woran liegt das?
Das ist eine gute Frage, auf die ich leider keine gute Antwort habe. Vielleicht sind die steigenden Zinsen schuld, obwohl man bei den Sanierungen immer sukzessiv was machen kann. Auch, um die Immobilie weiterzuentwickeln. Denn wenn nicht saniert wird, sehen wir inzwischen eine krasse Immobilienabwertung – in ländlichen Regionen sind es 20 bis 30 Prozent. In der Vergangenheit hat man Haus oder Wohnung nur nach Lage ausgesucht und gekauft. Das ist vorbei.

Trotzdem sinkt die Zahl der Förderanträge?
Vielleicht sind die Fördermöglichkeiten noch nicht bekannt genug. Im vergangenen Jahr wurden auch die Fördersätze gesenkt. Wer seine Gebäudehülle sanieren wollte, hat früher eine 20-prozentige Förderung bekommen. Jetzt sind es nur noch 15 Prozent. Das ist in dieser schwierigen Situation natürlich ein Nachteil, der rückgängig gemacht werden muss.

Viele Menschen lassen die Finger von so einer energetischen Sanierung aus Angst, dass alles viel zu teuer wird. Womit muss man denn bei diesen Maßnahmen rechnen?
Eine grobe Hausnummer zu nennen, ist schwierig, weil manche Gebäude aus den 90er-Jahren stammen und andere aus den 70ern. Auch die Quadratmeter sind sehr unterschiedlich. Aber das kann man gut mit einem individuellen Sanierungsfahrplan kalkulieren. Wenn der Energieberater kommt, gibt er eine Empfehlung ab, was man zuerst machen sollte: Die Gebäudehülle? Die Heizung? Was ist sinnvoll? Dann kann man immer genau so viel machen, wie man sich leisten kann. Das ist der Vorteil, man kann alle Maßnahmen stückeln.

Und jede einzelne lohnt sich?
Immer. Ganz einfach aus drei Gründen: Mit jeder Maßnahme steigt die Behaglichkeit. Zweitens, jede spart Energie. Und drittens, erhält jede den Wert der Immobilie. Das steht bei Privatbesitzern nicht im Fokus, aber gerade, wenn man seinen Kindern etwas vererben möchte, ist es wichtig, dass die Immobilie ihren Wert behält und nicht kontinuierlich verliert.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen

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