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Lieferketten Wie die Ampel um das EU-Lieferkettengesetz ringt

Containerhafen in Hamburg: Ein großer Teil der ausländischen Waren kommt über den Seeweg nach Deutschland. Importierende Unternehmen sollen aber dazu verpflichtet werden, in Zukunft noch mehr über ihre Lieferanten zu wissen – was zusätzliche Bürokratie bedeutet
Containerhafen in Hamburg: Ein großer Teil der ausländischen Waren kommt über den Seeweg nach Deutschland. Importierende Unternehmen sollen aber dazu verpflichtet werden, in Zukunft noch mehr über ihre Lieferanten zu wissen – was zusätzliche Bürokratie bedeutet
© Markus Tischler / IMAGO
Die FDP-Minister Christian Lindner und Marco Buschmann lehnen das EU-Lieferkettengesetz ab, unter anderem wegen Belastungen für Unternehmen. In der Koalition wird schon über Alternativen diskutiert

Dieser Artikel liegt Capital.de im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Europe.Table am 2. Februar 2024.

In der Ampelkoalition gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie sich die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) für die Unternehmen in Deutschland auswirken wird und wie sich die Regierung bei der Abstimmung im Rat verhalten sollte. Protagonisten sind der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der die Federführung bei der europäischen Richtlinie hat, sowie die beiden FDP-Minister Christian Lindner und Marco Buschmann.

Die von ihnen geführten Ministerien der Finanzen und Justiz wollen das Trilog-Ergebnis zum Entwurf einer EU-Lieferkettenrichtlinie „nicht mittragen“. Dies teilten sie am gestrigen Donnerstag in einem Schreiben mit. Im Rat der EU habe dies eine Enthaltung Deutschlands zur Folge, „die im Ergebnis wie eine Nein-Stimme wirkt“, schreiben sie.

Scholz nimmt zur Kenntnis, dass es keinen Konsens gibt

Laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ist die CSDDD „in deutschem Interesse“. Er werbe eindrücklich für die Zustimmung. Dazu habe er einen Vorschlag gemacht, der jetzt in der Regierung diskutiert werde. Dabei gehe es unter anderem um den Abbau bürokratischer Lasten und keine weiteren Berichtspflichten.

„Wir können und sollten es uns in Europa zutrauen, uns auf den Weg hin zu fairen globalen Lieferketten zu machen“, warb auch Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze für die Richtlinie. „Ich biete den Unternehmen an, unsere Unterstützungsangebote für die Umsetzung der neuen Regeln in Deutschland und im Ausland künftig weiter auszubauen“, sagte sie Table.Media. Aber auf Seiten der FDP herrscht große Skepsis. „Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass es keinen Konsens in der Regierung gibt“, fasste Bundeskanzler Olaf Scholz beim EU-Sondergipfel in Brüssel die Lage zusammen. 

Mehrheitsverhältnisse im Rat noch unklar

Unterschiedliche Einschätzungen gibt es auch dazu, welche Folgen eine deutsche Enthaltung im Rat hätte. Auf Seiten der FDP und ihrer Unterstützer, besonders den großen Verbänden, ist die Hoffnung groß, dass auf diese Weise die CSDDD auf europäischer Ebene verhindert werden könnte. Dagegen sind Befürworter im Regierungslager aus SPD und Grünen überzeugt, die Richtlinie werde auch bei Stimmenthaltung Deutschlands verabschiedet.

Wie die Mehrheitsverhältnisse im Rat tatsächlich sind, ist noch schwer abzusehen. Nach Informationen von Table.Media haben bislang lediglich Spanien, Portugal, die Niederlande und Malta angekündigt, dem Text zuzustimmen. Sechs weitere Mitgliedstaaten, darunter Irland, Polen und Griechenland, haben sich während eines Treffens der Ratsarbeitsgruppe positiv geäußert.

Schweden hingegen werde das Gesetz ablehnen; Tschechien, Estland, Litauen und die Slowakei werden voraussichtlich „nicht zustimmen“. Alle anderen erklärten, sie prüften das Trilogergebnis zurzeit noch. Beim Start der Überlegungen für die CSDDD unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft hatten sich noch alle Staaten einstimmig für eine solche Regelung ausgesprochen.

Unterschiedliche Einschätzungen innerhalb beteiligter Ressorts

Zwar ist die CSDDD eng zwischen den beteiligten Ressorts abgestimmt worden. Trotzdem gibt es bei wichtigen Punkten aktuell sehr unterschiedliche Einschätzungen.

Beispiel Haftung: Lindner und Buschmann räumen ein, dass die deutsche Seite bei den Trilogverhandlungen in puncto Haftung einiges erreicht habe. So werde die „Haftung mit Hilfe von bewährten Grundsätzen des deutschen Haftungsrechts beschränkt, wie in der Notwendigkeit, dass die verletzte Norm drittschützend wirkt“, schreiben sie.

Außerdem könnten Unternehmen Audits teilen und Sorgfaltspflichten gemeinsam in Brancheninitiativen erfüllen. Darauf hatte etwa der Verband der Chemischen Industrie (VCI) gedrängt. „Gleichwohl bedeutet die Haftungsregelung eine stärkere Belastung im Vergleich zum LkSG. Anders als das LkSG soll die CSDDD eine zivilrechtliche Haftung umfassen.“ Diese hatte die SPD in der großen Koalition mit der CDU/CSU nicht durchsetzen können.

Haftung ist umfassender als im deutschen Gesetz

In Regierungskreisen wird nicht bestritten, dass die Haftung der CSDDD etwas umfassender sei als im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Aber die deutsche Seite habe verhindert, dass sich die Franzosen mit ihren noch sehr viel weitgehenderen Vorstellungen einer Haftung durchgesetzt hätten, wie sie im französischen Sorgfaltspflichtengesetz verankert seien.

Zudem hafteten Unternehmen laut der CSDDD nur „bei eigenem Verschulden und vermeidbaren Schäden“, heißt es. Unternehmen, die sich bemüht hätten, „hafteten nicht“. Eine solche Bemühenspflicht entspricht der Regelung des LkSG. Übrigens hat das Justizministerium wesentlich an den Haftungsregeln der CSDDD mitgearbeitet. Allerdings hatte Justizminister Buschmann bereits im Sommer vergangenen Jahres Bedenken gegen die CSDDD angemeldet.

Erleichtert werden soll Opfern von Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten europäischer Unternehmen der Zugang zu Gericht. Der ist bislang so kompliziert, dass es de facto kaum zu Verfahren kommt. Diesen Betroffenen den Zugang zu europäischen Gerichten zu erleichtern, war von Anfang an ein Anliegen der meisten EU-Regierungen gewesen.

Buschmann lehnt ab, was er zuvor befürwortete

Beispiel Anwendungsbereich: Lindner und Buschmann kritisieren den weiteren Anwendungsbereich auf Unternehmen mit 500 Mitarbeitenden und in Risikosektoren auf Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden. Diese Regelung hatten Buschmann, Habeck und Heil bislang aber gemeinsam befürwortet, heißt es in Regierungskreisen. Zudem werde auf europäischer Ebene eine Umsatzschwelle eingeführt, die es im deutschen Gesetz nicht gebe. Unter dem Strich dürften in Deutschland durch die Neuregelung einige hundert Unternehmen mehr durch die CSDDD erfasst werden. Die EU-Kommission geht von europaweit 13.000 Unternehmen aus. Das deutsche Gesetz erfasst 5.200 Unternehmen.

Beispiel Umwelt: Nach Ansicht der beiden FDP-Minister enthält das Trilogergebnis zudem „eine verdeckte umweltfreundliche Generalklausel“. Sie führe zu einer „weitreichenden unternehmerischen Verantwortung für Umweltschäden, und zwar unabhängig von einer konkreten Auswirkung auf die Menschen“. Andere Regierungskreise erklären hingegen: Es gebe „keine offene oder verdeckte Generalklausel für Umwelt“. Entsprechende Versuche habe die Bundesregierung bei den Trilog-Verhandlungen abgewehrt. Im Menschenrechtsanhang gebe es lediglich den Hinweis, dass schwere Umweltschäden auch eine menschenrechtliche Relevanz haben. Eine solche Vorschrift findet sich allerdings auch im deutschen LkSG.

Beispiel Berichtspflichten: Die beiden FDP-Ministerien sehen auf die deutschen Unternehmen erhebliche finanzielle, personelle und auch „bürokratische Mehrbelastungen“ zukommen. So sollten etwa größere Unternehmen „einen Plan zur Sicherstellung der Vereinbarkeit ihrer Unternehmensstrategie mit dem Pariser Abkommen unter Aufnahme konkreter Reduktionsziele aufstellen.“ Allerdings müssen Unternehmen dies sowieso schon im Rahmen ihrer Berichtspflichten tun, heißt es in anderen Regierungskreisen. Durch die CSDDD komme es hier zu keiner Mehrbelastung.

„Fatales Signal an deutsche Unternehmen“

Die Reaktionen auf den Ampelkrach bei der CSDDD fallen unterschiedlich aus. „Die Kehrtwende der FDP ist ein Schlag ins Gesicht für all jene Menschen, die in den Lieferketten europäischer Unternehmen unter Zwangsarbeit und Hungerlöhnen leiden“, sagte Michelle Trimborn, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz. Die Haltung der beiden FDP-Minister sei ein Affront gegen alle Unternehmen, die sich seit Jahren für nachhaltiges Wirtschaften einsetzten.

Sollte die CSDDD nicht kommen, wäre dies das fatale Signal an deutsche Unternehmen, „dass professionelles Lieferkettenmanagement unnötig ist“, sagt Vaude-Chefin Antje von Dewitz. „Zugunsten einer kurzfristig geschaffenen Entlastung wird der Aufbau von unternehmerischer Zukunftsfähigkeit aktiv verhindert.“

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall begrüßte die Entscheidung der FDP. „In der vorliegenden Form würde diese Richtlinie weit über die deutsche Regelung hinausgehen und rechtssicheren Außenhandel so gut wie unmöglich machen.“ Es sei gut, dass die FDP zur Vernunft gekommen sei und dem „europäischen Lieferkettengesetz jetzt den Stecker zieht“, sagte Angelika Niebler, Vorsitzende der CSU-Europagruppe.

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Allerdings gilt es als ausgeschlossen, dass die CSDDD noch in der laufenden Legislaturperiode nachverhandelt werden könnte. Befürworter der Richtlinie befürchten zudem, dass es nach den Europawahlen keine Mehrheiten mehr für die CSDDD geben könnte.

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