Bleibt er oder fällt er weg? Am Dienstag prüft das Bundesverfassungsgericht, ob der Solidaritätszuschlag (Soli) noch verfassungsgemäß ist. Die entsprechende Verfassungsbeschwerde hatten sechs FDP-Abgeordnete schon 2020 eingereicht. Die Liberalen argumentieren darin, dass die Ergänzungsabgabe ihren ursprünglichen Zweck verloren habe, seit der Solidarpakt 2019 ausgelaufen sei. Außerdem bemängeln die Beschwerdeführer die Ungleichbehandlung verschiedener Einkommensbezieher, da nur noch ein Teil der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler den Soli zahlt.
Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags könnte die Wirtschaft deutlich entlasten. Unternehmen in Deutschland könnten knapp 65 Mrd. Euro einsparen, wie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelt hat. Die aktuelle Wirtschaftslage sei Grund genug, den Soli zu hinterfragen, sagte IW-Ökonom Tobias Hentze. „Vom Soli abzulassen, würde die Unternehmen endlich etwas entlasten und ihnen dringend benötigten Spielraum für neue Investitionen geben.“
Soli könnte Milliardenloch in Haushalt reißen
Andererseits könnte eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags deutlich den Bundeshaushalt belasten: 12,75 Mrd. Euro Einnahmen aus der Zusatzabgabe hat die Bundesregierung schon fest für das kommende Jahr im Haushalt verplant. Die dürften wegfallen, wenn das Bundesverfassungsgericht den Soli kippt. Sollte das Gericht sogar entscheiden, dass der Staat ungerechtfertigte Soli-Einnahmen aus den vergangenen Jahren zurückzahlen muss, würde sich im Etat ein noch größeres Loch auftun: Seit 2020 sind etwa 65 Mrd. Euro zusammengekommen. Zudem würden die vom Bund bis 2028 erwarteten Einnahmen ausbleiben. Diese Summe dürfte auch für eine zukünftige Regierung zum Problem werden, nachdem schon die Ampelkoalition an einer milliardenschweren Haushaltslücke zerbrochen ist.
Die Zusatzabgabe war bereits ein Zankapfel in der geplatzten Ampel: Während SPD und Grüne den Solidaritätszuschlag für gerecht halten, fordert die FDP, die zusätzliche Belastung vollständig zu beseitigen. Schon im Frühjahr hatte FDP-Chef Christian Lindner – damals noch Bundesfinanzminister – die Streichung des Solidaritätszuschlags für Unternehmen gefordert. In seinem kürzlich veröffentlichten Grundsatzpapier wiederholte er die Forderung: Der Soli solle erst weiter gesenkt und ab 2027 ganz abgeschafft werden.
Ähnlich sieht es Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU). Der Kanzlerkandidat will den Solidaritätsbeitrag abschaffen, sollte die CDU/CSU bei bevorstehenden Neuwahlen stärkste Kraft werden. „Der Soli ist zum politischen Kampfinstrument der Sozialdemokraten gegen ‚die Reichen‘ geworden“, sagte Merz in einem Interview mit dem Stern, der wie Capital zu RTL Deutschland gehört. „Das hat mit einer leistungsgerechten Besteuerung nichts mehr zu tun und mit Sozialneid dagegen sehr viel.“
Bundesfinanzhof: Soli „noch“ verfassungsgemäß
Zumindest vor dem obersten deutschen Gericht für Steuersachen – dem Bundesfinanzhof (BFH) – hat der Solidaritätsvorschlag bislang allen Beschwerden und Klagen standgehalten. Zuletzt im Jahr 2023: Ein Ehepaar hatte geklagt und argumentiert, dass der Bund die Ergänzungsabgabe nur erheben dürfe, um einen konkreten Sonderbedarf zu decken. Da die Ausnahmesituation der Wiedervereinigung bewältigt sei, gehöre die Zusatzsteuer mittlerweile abgeschafft. Das Gericht urteilte allerdings, dass der Soli in seiner seit 2020 bestehenden Form „noch“ verfassungsgemäß sei (BFH, Az. IX R 15/20). Die „Generationenaufgabe“ der Wiedervereinigung sei nicht abgeschlossen und die Zusatzsteuer deshalb angemessen.
Der Solidaritätszuschlag, dessen Einnahmen ohne Zweckbindung direkt in den Bundeshaushalt fließen, wurde zunächst 1991 für ein Jahr eingeführt und ab 1995 unbefristet erhoben, um die Mehrkosten der deutschen Einheit aufzufangen. Bis einschließlich 2020 mussten alle Bürgerinnen und Bürger in den neuen und den alten Bundesländern den Soli zahlen – fünfeinhalb Prozent der Einkommens- und Körperschaftssteuer kamen auf die restliche Steuerschuld obendrauf.
Weniger Zahler, weniger Einnahmen
Obwohl 2019 der sogenannte Solidarpakt II auslief und die Förderung Ostdeutschlands endete, wird der Soli weiterhin erhoben. Seit 2021 bittet der Staat allerdings nur noch Spitzenverdiener und Unternehmen zur Kasse. Dem IW zufolge zahlten zuletzt noch rund sechs Millionen Menschen den Soli sowie etwa 600.000 Kapitalgesellschaften. Unverändert zahlen nur Kapitalanleger den Solidaritätszuschlag. Bei Zinseinkünften und Co. führen die Kreditinstitute den fälligen Betrag zusammen mit der Abgeltungssteuer an das Finanzamt ab, bevor sie Kapitalerträge auszahlen.
Weil weniger Menschen den Soli zahlen müssen, schrumpfen die Einnahmen: 2018 brachten sie dem Bund noch 19 Mrd. Euro, 2025 voraussichtlich nur noch 12,5 Mrd. Euro. Die Kosten, die die Wiedervereinigung auch heute noch mit sich bringe, werden laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht ganz gedeckt: Das Institut veranschlagt die vereinigungsbedingten Belastungen des Bundeshaushalts für das Jahr 2025 mit 12,7 Mrd. Euro.
Trotzdem könnte die Beschwerde der FDP-Abgeordneten, die nun vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wird, Erfolg haben. Zum einen liegt die Wiedervereinigung mehr als eine Generation zurück. Zum anderen stellt eine „Ergänzungsabgabe“ eine zusätzliche und grundsätzlich temporäre Besteuerungsoption des Bundes dar, um finanzielle Engpässe zu überwinden – unabhängig vom üblichen Steueraufkommen und ohne Zustimmung des Bundesrats. Deshalb ist es strittig, ob der Solidaritätszuschlag, der für einen bestimmten Zweck eingeführt wurde, unbefristet sein und für andere Bedarfe verwendet werden kann. Ein Urteil des Gerichts wird erst in einigen Monaten erwartet.