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Steuerurteil Wem die Steuerzinsen künftig fehlen – und wer profitiert

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
© Nicolaj Zownir / IMAGO
Das Bundesverfassungsgericht hat den auf ausstehende Steuern zu zahlenden Zins von sechs Prozent gekippt. Das Bundesfinanzministerium hat nun bis Sommer 2022 Zeit, eine Neuregelung zu finden. Capital erklärt, wie sie aussehen kann und was das Urteil bedeutet

Wer zahlt eigentlich Steuerzinsen?

Der Fiskus erhebt auf offene Forderungen einen Zins über 0,5 Prozent monatlich, das sind kumuliert sechs Prozent jährlich. Der Zins greift allerdings erst nach 15 Monaten. Das hat der Bund bereits 1961 in der Abgabenverordnung verankert. Sie gilt für Steuerschulden in allen Bereichen: Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Vermögensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer. Aber vor allem trifft es kleine und mittelständige Unternehmen: Sie geben ihre Steuererklärungen oft spät ab und müssen alle vier bis fünf Jahre mit einer Betriebsprüfung rechnen. Die kann sich schon mal bis zu zehn Jahre ziehen. Kommt die Finanzverwaltung schließlich darauf, dass die Firma zu wenig Gewerbesteuer abgeführt hat, schlägt die Behörde den Zins rückwirkend auf den ausstehenden Betrag. Sollte das Unternehmen im Vorfeld zu viel Steuern abgegeben haben, bekommt es auf die Erstattung ebenfalls den üppigen Zins von sechs Prozent.

Und was ist daran jetzt nicht verfassungsgemäß?

Zwei Unternehmer haben sich beim Verfassungsgericht in Karlsruhe beschwert, weil der Fiskus ihnen jeweils Zinsen in sechsstelliger Höhe in Rechnung gestellt hatte. Die Richter bestätigten nun, dass die Zinszahlungen weder verfassungsgemäß noch realitätsnah seien. Sie argumentieren zum einen, dass Steuerzahler nichts dafürkönnen, wenn das Finanzamt sich mit der Prüfung Zeit lässt und deshalb Zinsen fällig werden. Sie würden im Verhältnis zu Steuerzahlern, deren Erklärung zügig von der Finanzverwaltung abgesegnet und die deshalb keine Zinsen zahlen müssen, ungleich behandelt. Das widerspricht dem Grundgesetz. Daneben sind die Verfassungsrichter auch über die Höhe des Zinses gestolpert. „Es kann ja nicht sein, dass am Ende die Zinslast höher ist als die Steuerlast“, erläutert Rechtsanwalt Matthias Geurts von der auf Kapitalanlage und Steuerrecht spezialisierten Kanzlei Schalast.

Warum ist der Zins so irre hoch?

Blöderweise hat der Gesetzgeber 1961 nicht begründet, wie er auf die sechs Prozent gekommen ist. Geurts kann nur mutmaßen: „Damals galten vier Prozent Verzinsung von Kapitalanlagen als goldene Regel.“ Das konnte der Steuerzahler mit dem Geld, dass er eigentlich dem Fiskus schuldet, demnach erwirtschaften. Die Finanzverwaltung schöpft über den Zins diesen Ertrag ab. „Der Steuerpflichtige darf schließlich keinen Benefit davon haben, wenn er erst mal nichts zahlt“, sagt Geurts. Damit der säumige Zahler schnell überweist, sei es durchaus im allgemeinen Interesse, den Steuerzins etwas über den vier Prozent anzusiedeln. Es sei aber auch möglich, dass der Gesetzgeber damals den Satz übernommen hat, mit dem Verbindlichkeiten abgezinst worden sind. Weil man es nicht genau weiß, haben sich die Karlsruher Richter eingehend damit beschäftigt, welcher Zinssatz die geeignete Referenzgröße ist. Der Gewinner heißt Basiszinssatz, der bei der Einführung des Gesetzes 1961 zwischen drei und vier Prozent gelegen hat.

Was ist der Basiszinssatz?

Der Basiszinssatz wird halbjährlich von der Bundesbank nach Anleitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs berechnet. Damit lassen sich etwa Verzugszinsen festsetzen oder Kapitaldienstleistungen bewerten. Ein Beispiel: Vermieter müssen eine aufbewahrte Kaution mit dem Basiszinssatz verzinsen. Dieser liegt allerdings aktuell bei minus 0,88 Prozent. Im Januar 2013 rutschte der früher als Diskontsatz bezeichnete Zins erstmals unter null.

Und was heißt das jetzt für Steuerzahler?

Der negative Basiszins schaffe ein Umfeld, in dem Steuerzahler nie und nimmer vier oder gar sechs Prozent Rendite erwirtschaften könne, finden die Verfassungsrichter in Karlsruhe. Der Zins von sechs Prozent ist somit mehr Strafe als Abschöpfung von Kapitalerträgen. Und das soll nicht sein. Vor allem, weil auch das Verfassungsgericht davon ausgeht, dass die Zinsen noch lange niedrig bleiben werden, weil sie durch die Geldpolitik der EZB kleingehalten werden – unabhängig vom Konjunkturzyklus. „Ich rechne damit, dass sich das neue Gesetz am nach Ablauf der Karenzfrist geltenden Basiszinssatz orientieren wird, der Gesetzgeber jedoch ein paar Basispunkte addieren wird“, sagt Geurts. Der Steuerzins wird jedenfalls radikal zusammengestrichen. Das Bundesfinanzministerium hat bis zum 31. Juli 2022 Zeit, sich etwas auszudenken.

Oha, das Finanzministerium! Hat Olaf Scholz etwa gepennt, indem er den Steuerzins nicht schon früher gesenkt hat?

Das sieht zumindest die Opposition so: „Das Urteil ist nicht überraschend - der Bundesfinanzhof hatte bereits 2018 erste Zweifel angemeldet“, sagte die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus der Nachrichtenagentur Reuters. Die Bundesregierung und allen voran Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hätten es verschlafen, hier frühzeitig aktiv zu werden. Tatsächlich hat das Finanzministerium vor drei Jahren die Finanzämter angewiesen, den Zins vom Vollzug auszusetzen. Angetastet worden ist er aber nicht. Vielleicht hat Scholz aber auch den Haushalt schützen wollen.

Was hat der Steuerzins mit dem Haushalt zu tun?

Die jährlichen Einnahmen aus dem Steuerzins haben sich in den vergangenen Jahren auf 1 bis 2 Mrd. Euro belaufen. Einnahmen, die nun fehlen werden. Im Falle der Gewerbesteuer fehlen sie vor allem den ohnehin klammen Gemeinden, die Kindergärten, Straßen und andere Infrastrukturen damit finanzieren. „Deshalb haben die Verfassungsrichter wohl auch dem Staatshaushalt keine Rückzahlungen in Milliardenhöhe zumuten wollen und eine Fortgeltung des Rechts bis Ende 2018 als zulässig beurteilt“, sagt Geurts.

Wie jetzt? Darf der Staat die Zinszahlungen behalten, obwohl sie nicht verfassungsgemäß sind?

Ja, genau. Die noch auszuarbeitende Neuregelung gilt erst ab 2019, obwohl das Bundesverfassungsgericht den sechsprozentigen Zinssatz bereits ab 2014 für gesetzeswidrig erklärt hat. Die beiden Beschwerdeführer werden ihre sechsstellige Zinsschuld also berappen müssen. Profitieren werden lediglich die Steuerzahler, die vom Finanzamt noch eine Erstattung für einen älteren Bescheid erwarten. Sechs Prozent Zinsen, das gibt es nur noch vom Finanzamt. Und das auch nicht mehr lange.

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