Wenn der Steuerbescheid ins Haus flattert und das Finanzamt eine Nachzahlung fordert, ist das ärgerlich. Noch frustrierender wird es, wenn sich Steuerpflichtige mit einem Einspruch gegen die Steuerberechnung wehren und trotzdem erstmal ihre Schuld begleichen sollen – obwohl die Sache noch ungeklärt ist.
Mit einem Trick lässt sich die Steuerzahlung – zumindest bis zur Klärung des Rechtsstreits – verhindern. Dafür muss man beim zuständigen Finanzamt einen Antrag auf „Aussetzung der Vollziehung“ stellen. Das Warten aufs Geld lässt sich das Finanzamt jedoch ordentlich vergüten, sollte der Steuerpflichtige später im Einspruchsverfahren unterliegen: Neben dem strittigen Steuerbetrag müsste er dann auch noch Aussetzungszinsen zahlen – für jeden vollen Monat 0,5 Prozent der Steuerschuld, sechs Prozent im Jahr. Ganz schön viel, findet der Bundesfinanzhof, und fragt jetzt das Bundesverfassungsgericht, ob der Zinssatz so rechtens ist.
Einspruch schützt nicht vor Zahlung
Ein Einspruch oder eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, Steuerpflichtige müssen die festgesetzte Steuer erstmal zum vorgeschriebenen Zeitpunkt ans Finanzamt überweisen, auch wenn sie sich noch über den Inhalt ihres Bescheids streiten.
Im Fall, der den Bundesfinanzhof beschäftigt hat, wollte ein Steuerzahler genau das nicht tun. Das Finanzamt forderte den Mann mit dem Steuerbescheid für das Jahr 2012 auf, 22.600 Euro Steuern plus 1350 Euro Solidaritätszuschlag nachzuzahlen. Mit einem Einspruch und einer Klage wehrte er sich gegen die Veranlagung. Seine Pflicht, die Steuern nachzuzahlen, verhinderte der Mann zunächst mit dem Antrag auf „Aussetzung der Vollziehung“.
Erst im Jahr 2021 wurde der Rechtstreit vor Gericht geklärt – der Mann verlor. Nun musste er seine Steuern doch begleichen inklusive Zinsen: Für die 78 Monate, die der Mann um die Steuerzahlung herumgekommen war, sollte er noch zusätzlich Aussetzungszinsen zahlen in Höhe von insgesamt 9340 Euro. Der Mann klagte erneut, diesmal gegen die Höhe der Zinsen.
Bundesfinanzhof hält Zinssatz für verfassungswidrig
Der Bundesfinanzhof konnte dem Kläger folgen, auch die Richterinnen und Richter halten 0,5 Prozent Zinsen pro Monat für die Aussetzung der Steuerzahlung für zu hoch – und den Zinssatz folglich für verfassungswidrig (BFH, Az. VIII R 9/23). Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase sei der gesetzliche Zinssatz überzogen, „um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen“ – das betreffe die Zeit ab 2019. Im Falle des Klägers geht es so um etwa 3230 Euro seiner Aussetzungzinsen. Endgültig über den Zinssatz entscheiden muss nun das Bundesverfassungsgericht.
Verspätungszinsen waren ebenfalls rechtswidrig
Die Chancen, dass auch die Karlsruher Verfassungshüter den Zinssatz ab 2019 für zu hoch erachten, stehen ziemlich gut: Schon bei einer anderen Art von Finanzamtszinsen – die für eine verspätete Steuerfestsetzung– haben die Richterinnen und Richter so entschieden: Lange schlug das Finanzamt auch auf Steuernachzahlungen sechs Prozent Zinsen pro Jahr auf, wenn der Bescheid mehr als 15 Monate nach der Steuerentstehung erging.
Dann entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Zinssatz realitätsfern und deshalb verfassungswidrig sei (Az. 1 BvR 2237/14 und Az. 1 BvR 2422/17). Die Bundesregierung musste den Zinssatz für Steuernachzahlungen und Steuererstattungen neu regeln und senkte ihr deutlich. Für Zeiträume ab 2019 gilt seither nur noch ein Zinssatz von 0,15 Prozent pro Monat, 1,8 Prozent im Jahr.
Das Bundesfinanzministerium stellte damals klar, dass sich der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nur auf Erstattungs- und Nachzahlungszinsen auswirke. Bei Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen blieb es beim alten Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat beziehungsweise sechs Prozent pro Jahr. Zumindest für die Aussetzungszinsen könnte sich das nun bald ändern.
In seinem aktuellen Beschluss zu den Aussetzungszinsen betonte der Münchner Bundesfinanzhof, dass Steuerpflichtige, die ebensolche Zinsen zahlen, stärker belastet werden im Vergleich zu Steuerpflichtigen, die Nachzahlungszinsen in Höhe von nur 1,8 Prozent pro Jahr leisten müssen. Auch diese „Zinssatzspreizung“ sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.