Mitten im US-Wahlkampf zwischen Donald Trump und Kamala Harris gewinnen Prognosemärkte (English: Prediction Markets) wie Kalshi, Manifold und Polymarket, zunehmend an Aufmerksamkeit. Prognosemärkte erlauben Investoren und Spekulanten das Wetten auf gesellschaftlich interessante Ereignisse und sind dadurch in den vergangenen Monaten Teil des öffentlichen Diskurses geworden.
Die Bandbreite an Themen, auf die gewettet werden kann, reicht von: „Welcher Film ist der größte Kassenschlager 2024?“ über „Wird China Taiwan bis Ende des Jahres angreifen?“ und natürlich: „Wer gewinnt den US-Wahlkampf?“ Während die Antworten auf diese Fragen sehr unsicher sind, steht eines fest: Prognosemärkte mischen derzeit nicht nur die traditionelle Medienlandschaft auf, sondern erschließen gleichzeitig neue, kreative und risikoreiche Anlagemöglichkeiten, die den täglichen Diskurs in Online-Medien mit Investments verbinden. Doch was steckt hinter dem Hype und wie genau soll durch Prognosemärkte die Berichterstattung beeinflusst oder gar verbessert werden?
Der größte und bekannteste Prognosemarkt ist Polymarket und wird unter anderem von Peter Thiel finanziert, der in seiner Laufbahn zunächst Paypal gründete und anschließend frühzeitig in Facebook investierte. Spätestens seit 2016 ist er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, weil er damals im US-Wahlkampf den Republikaner Donald Trump und weitere rechte Politiker unterstützte.
Um zu verstehen, wie Prognosemärkte im Detail funktionieren, hilft ein Beispiel: Aktuell (Stand: 25. September) hat ein Sieg von Kamala Harris in der US-Präsidentschaftswahl eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf Polymarket. In diesem Fall kann ein Nutzer Anteile für 50 US-Cent pro Stück kaufen. Sollte Harris die Wahl gewinnen, wird jeder Anteil 1 Dollar wert sein; falls sie verliert, sind die Anteile wertlos. Das Besondere an Polymarket ist, dass die Anteile jederzeit verkauft werden können. Steigt die Wahrscheinlichkeit eines Wahlsiegs von Harris auf 60 Prozent, weil viele Nutzer Anteile kaufen, kann man diese beispielsweise mit 10 Cent Gewinn pro Anteil wieder verkaufen.
Prognosemärkte als Ergänzung zu klassischen Wahl-Umfragen?
Was auf den ersten Blick wie ein reines Spekulations- und Wettvergnügen erscheint, ist bei näherer Betrachtung ein interessantes Konzept, das tatsächlich einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen kann. In der traditionellen Medienlandschaft kommen bei zukünftigen, unsicheren Ereignissen – besonders bei Wahlen – vor allem Umfragen zum Einsatz. Allerdings ist ein großes Problem von Umfragen, dass die Teilnehmer keinen Anreiz haben, die Wahrheit zu sagen. „Lügen“ kostet nichts und wird auch nicht bestraft. Umgekehrt wird „die Wahrheit sagen“ nicht belohnt.
Ein Grund in Umfragen nicht ehrlich zu antworten, könnte sein, dass Menschen aus Angst vor sozialer Ausgrenzung oder Anfeindungen es vorziehen, die sozial akzeptierte Meinung zu äußern. Ein Beispiel dafür sind die US-Wahlen 2016 zwischen Hillary Clinton und Donald Trump. In nahezu allen Umfragen galt Clinton als klare Favoritin und lag teils deutlich vor Trump. Der Wahlabend im November 2016 brachte jedoch eine große, für viele schockierende Überraschung: Donald Trump gewann die Wahl – die Umfragen lagen weit daneben.
Genau dieses Problem von Umfragen wollen Prognosemärkte wie Polymarket lösen. Sie bieten Investoren und Spekulanten die Möglichkeit, mit ihren Einschätzungen zu öffentlichen Ereignissen Geld zu verdienen. Wer an einem Prognosemarkt teilnimmt, hat keinen Anreiz, eine falsche Einschätzung abzugeben, weil man im Zweifel schnell Geld verlieren kann. Im Gegenteil: Marktteilnehmer, die glauben, ein tieferes Verständnis von einem Ereignis haben als die Allgemeinheit, können dadurch nun Geld verdienen – aber auch verlieren. Durch das ständige Kaufen und Verkaufen von Meinungen entstehen jedenfalls Echtzeit-Daten, die ein neues Werkzeug auch für Berichterstattung darstellen können. Im Gegensatz zu Umfragen, die im luftleeren Raum stattfinden, sind die Wahrscheinlichkeiten auf Prognosemärkten mit Kapital gedeckt.
Auf Bidens Rückzug spekuliert
Polymarket hat sich mit diesem Ansatz innerhalb weniger Monate als Teil des öffentlichen Diskurses in den USA etabliert. Der Prognosemarkt zur Frage, ob Joe Biden aus dem Präsidentschaftskampf austreten würde, hat sehr früh die unterschwellige Skepsis der amerikanischen Gesellschaft gegenüber der erneuten Kandidatur Bidens ausgedrückt. Bereits vor dem desaströsen Auftritt Bidens in der Wahlkampfdebatte am 27. Juni 2024 lag die Wahrscheinlichkeit für seinen Rückzug aus dem Präsidentschaftsrennen auf Polymarket bei 20 Prozent – erstaunlich hoch für ein Ereignis, das es in dieser Form noch nie in der amerikanischen Geschichte gegeben hat.
Kurz nach der Debatte kletterte die Wahrscheinlichkeit bereits auf 35 Prozent. In den folgenden Wochen bis zu Bidens Rückzug schwankte der Kurs und somit die Wahrscheinlichkeit, ähnlich wie ein Aktienkurs, minütlich. Was einerseits als Spekulation vieler individueller Nutzer angesehen werden kann, ist andererseits möglicherweise ein gesundes Korrektiv für Umfragen, Experten-Meinungen und eine Flut an Twitter-Posts, die ohne eigenes Risiko im öffentlichen Diskurs zirkulieren.
Keine Regulierung
Selbstverständlich sind Prognosemärkte keine zuverlässige Vorhersage und kein Allheilmittel für treffsichere Umfragen-Berichterstattung. Zum einen ist das Wetten auf beispielsweise den US-Wahlkampf in den USA selbst illegal. Polymarket umgeht dies, indem es als Offshore-Plattform agiert und somit zumindest derzeit nicht den US-Regulierungen unterliegt. Zum anderen gibt es eine Reihe von ethischen Fragestellungen, die im Zusammenhang mit Prognosemärkten relevant sind: Sollte auf Ereignisse wie Kriegsangriffe spekuliert werden können? Kann ein Prognosemarkt mit sehr hoher Liquidität zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden, weil ein Marktteilnehmer den finanziellen Anreiz hat, ein bestimmtes Ergebnis zu erzwingen?
Nicht nur in diesem US-Wahlkampf, sondern auch darüber hinaus, werden Prognosemärkte ein spannendes Werkzeug für alle sein, die sich mit gesellschaftlichen Zukunftsfragen auseinandersetzen. Inwiefern der Hype um Prognosemärkte auch nach Deutschland schwappt, ist noch nicht abzusehen. Ob Progonosemärkte wie Polymarket in Deutschland legal sind, ist eine komplexe Frage, die Stand heute nicht eindeutig beantworten ist.
Da es sich im Beispiel von Polymarket jedoch um einen dezentralen Krypto-Markt handelt, kann die Plattform bereits heute von Deutschland aus genutzt werden. Es ist möglich auf Ereignisse mit deutschem Bezug zu wetten – beispielsweise ob Olaf Scholz bis Ende des Jahres noch Kanzler bleibt. Unabhängig davon muss jeder für sich selbst entscheiden, ob spekulative Prognosemärkte wirklich eine passende Investmentstrategie darstellen.
Der Autor ist Berater bei der TLGG Consulting GmbH, die andere Firmen bei ihrem digitalen Geschäft berät.