Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen
Goldanleger haben es besser: Während die Nerven von Aktienanhängern erst im Oktober mit einem kräftigen Kursrutsch auf eine harte Probe gestellt wurden, sind fallende Goldkurse für den geneigten Edelmetallfan stets gute Nachrichten – zumindest, wenn man den Leserbriefen, Online-Kommentaren oder auch den Diskussionen auf der Facebook-Seite von Capital folgt. Weil man bei sinkenden Preisen günstiger kaufen kann. Weil sinkende Preise den Goldpreis immer weiter in Richtung oder gar unter die Förderkosten drückt, was wiederum zu Pleiten und bald sinkendem Angebot führen wird.
Weil sinkende Preise der Beleg sind, dass der Goldpreis künstlich gedrückt wird von interessierter Seite. Weil sinkende Preise die unsicheren Hände herausschütteln sollen, aber man auf den Trick ja nicht hereinfalle. Weil sinkende Preise von den Lieferschwierigkeiten bei Barren und Münzen ablenken sollen. Überhaupt, diese Lieferschwierigkeiten. Google findet dreimal so viele Treffer für Lieferschwierigkeiten bei Gold als für Apples iPhone!
Lassen wir einfach mal die mythischen Überhöhungen und Verschwörungstheorien beiseite und nähern wir uns der Frage, warum der Goldpreis so tief gefallen ist und wohin die Reise gehen könnte.
Opportunitätskosten für Goldkauf sinken
Die Gründe für den Rutsch des Goldpreises von 1900 Dollar je Unze auf zuletzt 1150 Dollar sind so banal, dass man sie im ganzen verschwörungstheoretischen Kuddelmuddel glatt übersehen könnte: Erstens die Entwicklung der Realzinsen und zweitens die damit eng verwobene Tatsache, dass es trotz der dramatischen Notenbankmaßnahmen weltweit bislang noch keinen inflationären Schub gegeben hat.
Von einer Investition in Gold versprechen sich die meisten kurzfristigen Anleger Spekulationsgewinne und die meisten langfristigen Anleger den Erhalt ihrer Kaufkraft. Ein wesentlicher Treiber für die letzte, exponentielle Phase des Goldpreisanstiegs war daher die Tatsache, dass die Realzinsen – gemessen an der Differenz zwischen zehnjährigen US-Staatsanleihen und der Inflation - in den USA ab 2008 im freien Fall waren und im Jahr 2011 gar unter Null rutschten. Eines der Hauptargumente gegen eine Investition in Gold – die Tatsache, dass es keine Zinsen einbringt – fällt im Umfeld von negativen Realzinsen weg, weil konkurrierende Anleihen eben auch keine sicheren Realerträge liefern.
Im Klartext: Die Opportunitätskosten für den Kauf und das Halten von Gold sinken. Die tatsächlichen Kosten ebenfalls, denn mussten Anleger früher Barren und Münzen kaufen, transportieren, lagern und versichern, haben Gold-Indexfonds die Goldinvestition auch für kleinere Anlagebeträge revolutioniert.
Wo bleibt der Teuerungsschub?
Nun aber haben sich die realen US-Zinsen wieder in positives Terrain vorgearbeitet, die Differenz zwischen der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen und der US-Inflation beträgt wieder knapp ein Prozent. Gold zu halten wird also wieder mit einem Zinsverlust bestraft – was Großanleger ins Grübeln bringt. Schließlich ist es derzeit weniger eine Frage ob, sondern eher wann die US-Notenbank mit einem Zinserhöhungszyklus beginnt.
Der zweite Grund für den Goldpreisrutsch ist ebenso einfach erklärt: Von dem Teuerungsschub, der viele Investoren aufgrund der Notenbankpolitik in Gold gelockt hat, ist weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen dominieren Ängste vor einer Deflation der Eurozone und auch die US-Teuerung blieb zuletzt 29 Monate in Folge unter dem Notenbankziel.
Gold ist in der Lage, langfristig die Kaufkraft zu erhalten – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Die populäre Theorie der Goldanhänger, nach der man sich mit einer Unze Gold seit Jahrhunderten einen guten Anzug oder eine Menge Lebensmittel kaufen kann, hat einen statistisch fundierten Kern: Die langfristige reale Rendite von Gold beträgt über die letzten zwei Jahrhunderte hinweg ziemlich genau 0,1 Prozent. Zwischenzeitlich entfernt sich der Goldpreis immer wieder nach oben oder unten von diesem Renditepfad. Doch selbst wenn man die gut 20 Jahre Stagnation zuvor und die jüngste Korrektur berücksichtigt, impliziert der Preisschub des Goldpreises seit den frühen Nuller Jahren einen Teuerungsschub, den es schlicht bis heute noch nicht gegeben hat.
Gefährliche Goldpolitik der Notenbanken
Ein Stück für die Börsenlehrbücher in Sachen Timing ist auf lange Sicht nicht nur die Tatsache, dass Deutschlands größte Tageszeitung „Bild“ mit einer komplett in Gold gestalteten Titelseite („krisensicher“ / „besser als Bargeld“) das Rekordhoch im Spätsommer 2011 um ganze elf Handelstage verfehlt hat. Ein Schenkelklopfer ist auch das Verhalten der Notenbanken in Sachen Gold. Zu Preisen zwischen 270 und 700 US-Dollar haben die Notenbanken weltweit netto massenhaft Gold auf den Markt geworfen, alleine in den Jahren 2004 bis 2008 jeweils zwischen 200 und 600 Tonnen pro Jahr. Seit 2011 sind Notenbanken hingegen Nettokäufer von rund 400 bis 500 Tonnen pro Jahr – allerdings zu Preisen zwischen 1400 und 1900 Dollar. Ein derart prozyklisches Anlageverhalten lässt Schlimmes erahnen, sollte der Preisrutsch weitergehen – und ist auch nicht sonderlich beruhigend für Goldbullen, die große Hoffnung auf das Referendum in der Schweiz Ende November setzen: Dann stimmen die Eidgenossen darüber ab, ob die Schweizer Notenbank künftig ein Fünftel ihrer Reserven in Gold halten soll.
Für Goldanhänger mögen all dies eine Menge schlechte Nachrichten gewesen sein, doch es gibt auch eine zentrale, gute: Denn Gold hat zwar langfristig in inflationären Zeiten die Kaufkraft erhalten. Die höchsten Realrenditen hat Gold indes in Zeiten einer Deflation erzielt. Überzeugte Goldanhänger sind zwar ohnehin schon engagiert – wer aber bislang dem Treiben am Goldmarkt staunend zuschaut, erwischt nach dem Preisrutsch der letzten drei Jahre und der Teuerungsrate irgendwo im Niemandsland nun vermutlich nicht den schlechtesten Zeitpunkt, um sich mit einer kleinen Beimischung von Gold für ein Extremszenario bei der Teuerung auf Sicht der kommenden drei bis fünf Jahre abzusichern. Und gehobene Unterhaltung im ewigen Kampf zwischen den Goldbullen und Goldhassern gibt es obendrein gratis dazu!