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Versicherung Wechselbad für Privatversicherte

Private Krankenversicherer wollen ihren Kunden den Wechsel in einen günstigeren Tarif erleichtern. Worauf Versicherte achten sollten
Damit Privatversicherte nicht zum Notfall werden, sollen Tarifwechsel künftig erleichtert werden
Damit Privatversicherte nicht zum Notfall werden, sollen Tarifwechsel künftig erleichtert werden
© Johannes Mink

Als Daniel Bahr am 3. November seinen Dienst antrat, strahlte die Fassade der Allianz in Unterföhring weiß vor blauem Himmel. München statt Berlin. Einen Tag vor seinem 38. Geburtstag startete der Ex-Banker, Ex-Parlamentarier und Ex-Gesundheitsminister Bahr seine nächste Karriere. Jetzt wacht er als Generalbevollmächtigter der Allianz Kranken über Vertrieb und Leistungs­management.

Bahr steigt in die private Krankenversicherung (PKV) zur geschäftigsten Zeit ein: Jahresendspurt im Vertrieb, Bilanzstichtag – noch vor der Verkündung von Beitragserhöhungen. Ab November versenden die meisten Krankenversicherer ihre Briefe mit „Beitragsanpassungen“, gemeint sind damit meist Preis­erhöhungen. Sie rüsten sich für die Konfrontation mit Kunden – und die ewige Frage: Wie komme ich von ­meiner hohen Prämie runter

In diesem Jahr bleiben die meisten Privatversicherten wohl von Prämiensprüngen von zehn Prozent und mehr verschont. Die Beiträge im Neugeschäft sind laut dem Analysehaus Morgen & Morgen bislang stabil oder steigen nur moderat. Das liegt vor allem an der Umstellung auf Unisex-Angebote, die die Branche vor zwei Jahren vollziehen musste.

Anders sieht es für diejenigen unter den 8,9 Millionen Kunden aus, die schon länger dabei sind. Bei vielen von ihnen summieren sich mittlerweile selbst übliche Beitragssteigerungen von vier bis fünf Prozent pro Jahr gewaltig. Wer einmal mit 300 Euro Monatsbeitrag gestartet ist, berappt nach 20 Jahren bis zu 796 Euro – unabhängig vom Einkommen. Zu viel für manchen.

„Die Richtung stimmt, aber der Schritt kommt Jahre zu spät“

Einen Tarifwechsel innerhalb der Gesellschaft, bei der Versicherte ihr Alterspolster mitnehmen dürfen, blockten viele Anbieter jedoch bisher ab. Auf Druck der Politik gelobt die Branche nun endlich Besserung: Sieben Leitlinien sollen einen „transparenten und kundenorientierten Tarifwechsel“ ermöglichen. So verpflichten sich die Unternehmen unter anderem dazu, Kunden auf günstigere Angebote hinzuweisen – allerdings erst ab 2016.

„Die Richtung stimmt, aber der Schritt kommt Jahre zu spät“, sagt Timo Voss vom Bund der Versicherten (BdV). Viel Neues bietet das Manifest ohnehin nicht: Das Kundenrecht auf einen Tarifwechsel bei der eigenen Gesellschaft ist seit 1996 gesetzlich verbrieft. Mehr als ein Jahr lang verhandelte die Branche über das leidige Thema. Heraus kam letztlich ein Bekenntnis zu geltendem Recht.

So wollen die 25 Unternehmen, die dem Sieben-Punkte-Plan des PKV-Verbands bislang beitraten, künftig individuell beraten und den „Bedarf und die Wünsche des Versicherten“ berücksichtigen. Das fordert längst das Gesetz. Überdies wollen sie einen verständlichen Überblick über „das gesamte Spek­trum“ an Tarif­alternativen aufzeigen – die Voraussetzung dafür, dass ­Kunden ihr Recht überhaupt wahrnehmen können.

Am Erfolg zweifeln Krankenversicherungsexperten schon heute. „Die Idee ist gut, aber in der Praxis kaum umzusetzen“, sagt Versicherungsberater Stefan Albers. Zu groß sei die Zahl der Tarife, zu unüberschaubar die Kombinationen. Wohl wahr. Morgen & Morgen zählt in seiner Rechensoftware marktweit rund 2 700 mögliche Tarifkombinationen. Wer soll da durchblicken?

Viele große oder alte Gesellschaften wie Central, Gothaer oder Signal haben im Laufe der Jahre einen wahren Tarif-Irrgarten angelegt. Nahezu jede Fünfte muss inzwischen mehr als zehn Parallelangebote für Angestellte und Selbstständige managen, beim Kölner Marktriesen DKV sind es sogar 30.

Zermürbende Hinhaltetaktik: Die Versicherer lassen ihre Kunden lange warten
Zermürbende Hinhaltetaktik: Die Versicherer lassen ihre Kunden lange warten
© Johannes Mink

Das Wirrwarr ist zumeist eine Folge der früheren Geschäftspolitik. Immer wieder wurden Alttarife geschlossen, wenn deren Prämien zu stark stiegen, um noch Interessenten zu locken – und stattdessen neue, günstigere Angebote auf den Markt geworfen.

Für die Versicherten in den geschlossenen Tarifen ist das misslich, weil keine jungen Kunden nachrücken, die kaum Leistungen in Anspruch nehmen. Die Folge sind oft stark steigende Prämien und eine Zunahme an Wechselwünschen. Allein bei der DKV rückten im vorigen Jahr 59 000 Kunden in einen anderen Tarif – rund sieben Prozent der Vollversicherten. Beim Konkurrenten Central wechselte fast jeder Zehnte haus­intern in einen neuen Vertrag.

Vielen Vorständen graust davor, sämtliche Tarife inklusive Leistungen übersichtlich aufzulisten. Die PKV-Initiative lässt ihnen denn auch ein Schlupfloch: So ist es den Gesellschaften erlaubt, eine Auswahl von Tarifen zu präsentieren – wenn zuvor ein Wirtschaftsprüfer das Selektionsverfahren ab­gesegnet hat.

Doch Wirtschaftsprüfer können die Prozesse nur formal testieren, das inhaltliche Ergebnis hingegen kaum. „Die Versicherer werden heraussuchen, was sie selbst für sinnvoll halten“, erwartet Versicherungsberater Rüdiger Falken. Ob Kunden wirklich die besten Alternativen präsentiert werden, ist fraglich. Sanktionen, falls dies nicht geschieht? Sind nicht geplant.

Immerhin sind von der Selbstverpflichtung der Branche neun von zehn Vollversicherte erfasst. Lediglich drei der zwölf größten Versicherer machen nicht mit: Central, Hansemerkur – und Continentale. Deren Vorstand Christoph Helmich hält den Vorstoß für wenig zweckdienlich: Stets die komplette Produktpalette aufzuzeigen sei nicht sinnvoll und das Angebot auf bestimmte Tarife zu beschränken „nicht im Sinne einer individuellen Beratung“, so der Versicherungsmanager.

Umsieger verursachen hohen Verwaltungsaufwand

Zwei Neuerungen sind unumstritten eine Verbesserung: Die Gesellschaften informieren Kunden ab 55 Jahren ungefragt über günstige Wechsel­optionen, fünf Jahre früher als gesetzlich vorgeschrieben. Zudem sollen Anfragen zum Tarifwechsel binnen 15 Arbeitstagen beantwortet werden.

Selbstverständlich ist das nicht. Verbraucherschützer beklagen seit Jahren, dass Wechselwillige über Monate hingehalten werden. Taktik: abwiegeln und abwehren. Auch wenn die Beschwerden über unwillige Versicherer etwas nachließen, sagt BdV-Mann Voss, müssten Kunden hartnäckig bleiben.

In schwierigen Fällen müssen selbst Profis viel Geduld aufbringen – etwa bei Kunden mit Vorerkrankungen. Ein ganzes Jahr brauchte etwa Berater Albers, um den Tarif eines 70-jährigen Herzkranken bei der DKV umzustellen. Der Kunde spart jetzt 200 Euro im Monat.

Gerade wegen der möglichen hohen Ersparnis sträubten sich Versicherer bislang oft gegen Umstellungen. Die Gesellschaften verlieren Prämien­einnahmen – und obendrein verursachen Umsteiger einen hohen Verwaltungsaufwand.

Den grundsätzlichen Interessenkonflikt lösen die Leitlinien somit nicht auf. „Viele Gesellschaften werden die Wechselhürden vorne beiseite­räumen und hinten neu aufstellen“, erwartet Albers. Selbst wenn günstigere Alternativen aufgezeigt würden, könnten die Gesellschaften ihre Versicherten ausbremsen – zum Beispiel, indem sie mit angeblich ­hohen Risikozuschlägen drohten.

Spätestens 2016 werden sich die Versicherer daran messen lassen müssen, ob sie Kunden beim Tarifwechsel wirklich beistehen und den Beitragsanstieg im Alter dämpfen helfen. In dem Punkt müsse die Branche „ihre Hausaufgaben machen“, mahnte Daniel Bahr als Gesundheitsminister. Jetzt ist das auch seine Sache.

Fünf Fallen, in die Sie nicht tappen sollten

Die privaten Krankenversicherer wollen Kunden ab 2016 beim Tarifwechsel besser unterstützen. Das sollten Versicherte ruhig schon jetzt einfordern. Ein Umstieg im selben Haus bietet beste Chancen, wirksam die Beiträge zu senken – wenn der Versicherer mitspielt.

FALLE 1: EIGENANTEIL

Wenn es um günstigere Beiträge geht, machen es sich die Versicherer gern einfach – und empfehlen hohe Selbstbehalte. Optisch macht das was her, der Beitrag sinkt. Nur: Der Versicherte kann den Selbstbehalt später nicht mehr ohne Gesundheitsprüfung senken. Zudem beteiligen sich Arbeitgeber nicht an den Kosten. Angestellten empfiehlt der Bund der Versicherten maximal 600 Euro Eigenbeteiligung, Selbstständigen bis zu 1 000 Euro.

FALLE 2: MANGELNDE AUSWAHL

Weder Vermittler noch Versicherer haben einen echten Anreiz, den besten Alternativtarif zu suchen. Das ist aufwendig, bringt nichts ein – und die Gesellschaft mindert ihren Umsatz. Das erste Angebot ist für Kunden daher nicht unbedingt optimal. Lassen Sie sich möglichst zwei Zieltarife vorlegen: einen, der aktuell verkauft wird, und einen älteren mit vielen Versicherten. Als Erste ermöglichen DKV und Huk-Coburg umfassende Onlinetarifvergleiche.

FALLE 3: SCHRUMPFSCHUTZ

Kommerzielle Dienstleister bieten oft Hilfe beim Tarifwechsel. Als Honorar verlangen sie einen Teil der Ersparnis. Unseriöse Anbieter dampfen daher Leistungen teils massiv ein, um die Ersparnis zu erhöhen. Das ist riskant, denn der Schutz lässt sich später kaum aufstocken. Zudem ist es unnötig: Kunden sparen laut Berater Albers oft auch ohne Leistungsverzicht 30 Prozent und mehr. Die Sozialtarife der PKV sind nur die letzte Wahl.

FALLE 4: RISIKOBLUFF

Um Tarifwechsel abzuwehren, verweisen Versicherer gern darauf, dass sie für Mehrleistungen im Zieltarif einen Risikozuschlag verlangen können. Das ist selten so schlimm, wie es sich anhört. Oft fallen Zuschläge gering aus (Betrag nennen lassen!). Und falls nicht: Kunden können auf die Mehrleistung im Zieltarif verzichten – und Aufpreise so völlig umgehen.

FALLE 5: SELBST WURSTELN

Das Interesse der PKV am Tarifwechsel bleibt begrenzt. Als Laien haben Kunden kaum eine Chance, Abwehrstrategien zu durchschauen und die bestmögliche Alternative zu finden. Am einfachsten geht das mithilfe von Experten – etwa dem Bund der Versicherten, Verbraucherzentralen oder unabhängigen Beratern (bvvb.de), die nach Stundensatz bezahlt werden.

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Britta Langenberg schreibt hauptsächlich über Finanzthemen, insbesondere Vorsorge und Versicherungen.

Der Artikel erschien zuerst unter dem Titel "Wildwechsel" in der Printausgabe 12/2014

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