Bisher schien die Schuldfrage eindeutig geklärt: Die tiefen Zinsen waren das große Übel für Sparer, Geldbesitzer und alle, die ihr Kapital bis zur Rente irgendwie vermehren müssen. Klar, denn wenn die Bürger Milliarden Euro auf ihren Sparkonten und in klassischen Altersvorsorgeverträgen von Versicherern horten, die Zinsen fürs Ersparte aber so tief sind wie nie, dann lässt sich Geld natürlich schwer vermehren. Nun steigen die Zinsen, zwar noch nicht merklich hierzulande, aber immerhin stark in Amerika, dort liegt der Leitzins jetzt bei 2,25 Prozent. Wovon ja normalerweise irgendwann auch ein Signal für die europäischen Märkte ausgehen soll. Hierzulande haben sich die Tagesgeldzinsen inzwischen wieder in der Spitze auf 1,0 bis 0,66 Prozent berappelt, das Festgeld kann für 1,3 Prozent angelegt werden. Doch anstatt sich über die steigenden Zinsen zu freuen, sind sie nun auch wieder nicht recht. Denn die vergangenen Tage zeigten klar: Der Zinsanstieg würgt den Aktienmarkt ab. Und zwar mächtig.
Mitte der Woche ging der Dow Jones auf Tauchkurs, er sank um 3,15 Prozent an nur einem Tag, das war der größte Kurssturz in diesem Jahr. Und er zog den Technologieindex Nasdaq gleich mit in die Tiefe, der sogar über vier Prozent abtauchte. Nach Handelsschluss in Amerika setzte sich der Kurssturz rund um die Welt fort: Auch die asiatischen Börsen sackten ab um 4 bis 5, mancherorts sogar 6,5 Prozent. Der deutsche Aktienindex Dax machte auch keine Ausnahme: Innerhalb einer Woche hat er fast 800 Punkte verloren, von 12.350 auf 11.550 Punkte, das sind immerhin 6,5 Prozent. Der Eurostoxx büßte 5,2 Prozent ein. Es geht abwärts und etliche Analysten glauben, dass dies nicht nur ein kleiner Schwächeanfall war.
Wie weit fällt der Dax?
Die Charttechniker warnen besonders laut, denn sie sehen den langfristigen Aufwärtstrend, der beim Dax seit 2009 anhielt, mit diesem Kurssturz erstmals gebrochen. Aktuell ergebe das Kursbild die berüchtigte „Schulter-Kopf-Schulter“-Formation, die mit dem Wegsacken der Kurse nun darauf hindeutet, dass der weitere Weg sich nach unten fortsetzen wird. Natürlich sind das alles theoretische Überlegungen und Prognosen, die rein auf Werten der Vergangenheit beruhen. Es könnte auch sein, dass es sich hier nur um eine Marktkorrektur handelt, die bereits nach wenigen Tagen oder Wochen ausgestanden ist. Dennoch sollten sich Anleger darauf vorbereiten, dass die großen Indizes in den kommenden Wochen und Monaten einen veritablen Anteil ihres Werts verlieren könnten. Mit einem Dax-Rückgang von 1800 Punkten sei durchaus zu rechnen, sagen etwa Analysten von Großbanken. Er würde dann wieder unter 10.000 Punkten liegen, also auf dem Niveau, auf dem er sich zuletzt im Sommer 2016 bewegte.
Alle Augen werden in den nächsten Tagen auf amerikanischen Unternehmen liegen, die maßgeblich darüber mitentscheiden werden, ob sich die Märkte wieder beruhigen oder nicht. Die neue Berichtssaison steht dort an. Aktuell sehen die Gewinne der Unternehmen gut aus. Laut Analystenschätzungen konnten US-Firmen im dritten Quartal ihre Gewinne um 20 Prozent steigern, auch wegen des Sondereffekts der Steuerreform von US-Präsident Donald Trump. Europäische Firmen sollen immerhin auf gut 10 Prozent Gewinnplus kommen. Aber werden die Aussichten auch noch fürs nächste Quartal gut ausfallen? Genau davon hängt es nun ab, ob Anleger beruhigt wieder investieren oder sich weiter aus dem Markt zurückziehen, womit der Ausverkauf an den Börsen seine Fortsetzung finden würde.
Sehr optimistisch sind etliche Ökonomen zurzeit nicht gestimmt. Der Internationale Währungsfonds korrigierte seine Wachstumszahlen nach unten, auch die deutsche Bundesregierung geht nicht mehr von einem Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent in diesem und 2,1 Prozent im kommenden Jahr aus, sondern nur noch von jeweils 1,8 Prozent. Sie hat also ihren Ausblick fast um einen halben Punkt nach unten korrigiert. Etliche Beobachter warnen bereits seit längerer Zeit, der amerikanische Markt drohe zu überhitzen. Deshalb sei es nur konsequent, dass die Notenbank Fed die Leitzinsen weiter anhebt, um das Heißlaufen nicht noch mit weiterem, billigem Geld zu unterstützen. Genau das ist auch die Aufgabe der Notenbank in so einer Situation. Die Kritik des US-Präsidenten, der meint, die Fed sei „verrückt geworden“, geht deshalb auch weit an der Realität vorbei.
Hoffnung für Zinssparer?
Aber was heißt das nun für Anleger? Zunächst einmal, dass es wieder höhere Zinserträge gibt. Allerdings nur, sofern man sein Geld in US-Staatsanleihen anlegt, die auf Zehnjahressicht zurzeit über 3,2 Prozent Rendite abwerfen. So viel wie seit sieben Jahren nicht mehr. Hierzulande sind rund 0,55 Prozent mit Bundesanleihen zu erzielen. Deutsche Staatsanleihen mit einer Laufzeit von weniger als sieben Jahren lohnen sich nach wie vor nicht.
Und wie sieht es mit der beliebtesten deutschen Geldanlage aus, den Spareinlagen? Dort hat sich im Grunde nichts geändert. Diese Aussage bezieht sich aber nicht nur auf die vergangenen Monate oder auf die letzten Jahre seit der großen Finanzkrise, also auch nicht erst auf die Zeit seit dem Beginn der Niedrigzinsen – sondern auf die gesamten letzten 30 Jahre. Und genau diese Aussage wird diejenigen überraschen, die bisher immer behauptet haben: Früher war mehr Zins. Sobald die Zinsen wieder steigen würden, ginge es den Sparern auch wieder besser. Denn wie sah es in den Jahren aus, in denen die Zinsen auf Spareinlagen noch hoch waren? 2008 etwa gab es noch 4 Prozent fürs Tagesgeld, bis zu 4,5 Prozent sogar. Daran werden sich noch viele erinnern. Aber: Damals betrug auch die Inflationsrate gerundet 2,6 Prozent. Das heißt, dass der Ertrag von Spareinlagen auch bloß bei 1,4 bis 1,9 Prozent lag.
Das sei immerhin mehr als heutzutage, werden viele argumentieren. Stimmt. Aber man muss sich einmal das Gesamtbild ansehen, das sich auf 30 Jahre ergibt: Ermittelt man das Renditedreieck für Spareinlagen seit 1987, wie es die Sutorbank getan hat, dann gab es nur einen sehr kurzen Zeitraum, in dem es Anlegern gelang, mit Tages- und Festgeld oder anderen Geldmarkteinlagen tatsächlich überhaupt eine positive Rendite zu erzielen, also eine reale Rendite nach Abzug der Inflation. Lediglich in der Zeit zwischen 1998 und 2004, also für sechs Jahre, warfen Spareinlagen mehr ab, als die Inflation den Anlegern wieder weg fraß. Ganze 1,4 Prozent pro Jahr im Schnitt nämlich. Das heißt: Wer 20.000 Euro anlegte, hatte am Ende 21.500 Euro. Bei 50.000 Euro Kapital kamen am Ende 53.721 Euro heraus. Allerdings auch nur, wenn die Sparer pünktlich 2008 ihre Konten aufgelöst haben.
Anleger brauchen einen langen Atem
Die allermeisten jedoch legen ihr Geld auf solche Konten, um es dort länger liegen zu lassen. Wer es also 1998 zu Zeiten guter Zinsen parkte und bis heute nicht vom Tagesgeldkonto genommen hat, der erzielte in der Gesamtzeit minus 0,7 Prozent Rendite pro Jahr, er verlor also bares Geld. In den vergangenen Jahren, also bei kürzeren Sparzeiten war das Minus noch höher mit rund zwei Prozent. Am besten erwischten es noch diejenigen, die bereits seit 1987 Geld horten. Sie kommen bis jetzt auf eine Jahresrendite von minus 0,2 Prozent. Sie machten also aus 20.000 Euro inklusive Zinseszins und nach Abzug der Inflation bis heute einen Gegenwert von 18.834 Euro. Bei 50.000 Euro Kapital sind es heute umgerechnet 47.085 Euro. So viel zum Thema, die Zinsen müssten wieder steigen. Die Inflation tut es dann nämlich auch.
Zudem fallen auch noch die Aktienkurse, wenn die Notenbanken die Leitzinsen in die Höhe schrauben. Doch wie schlimm ist das? Auch darauf gibt das Renditedreieck Antwort, diesmal nicht das übliche Dreieck, das nur die Aktienrenditen misst. Sondern dasjenige, das ebenfalls die Inflation von diesen Wertsteigerungen abzieht. Das sieht ebenfalls sehr interessant aus, nämlich folgendermaßen: Natürlich gab es Jahre, in denen der Aktienmarkt tiefrot gefärbt war. Maximalverluste fuhren Anleger zum Beispiel ein, wenn sie 2002 investiert waren – und zwar nur 2002. Wenn sie also im Januar anlegten und im Dezember ihr Geld abzogen. Dann erlitten sie 45 Prozent Verlust. Im Jahr 2008 waren es minus 41,7 Prozent, also ebenfalls herbe Einbußen und 1987 immerhin noch 31,6 Prozent minus.
Schrecken solche Verluste Sie ab? Dann lesen Sie dennoch weiter: Denn es gab seit 1987 auch nur sehr wenige Phasen, in denen diese Verluste tatsächlich über mehrere Jahre anhielten. Nerven brauchte man schon, denn ganze sieben Mal galt es als Anleger in solchen Phasen das Depot eben nicht gleich aufzulösen, sondern die Aktien einfach zu halten. Wer das tat, der war bereits nach sechs, maximal sieben Jahren wieder mit seiner Rendite im Plus – und zwar nach Inflation. Es gab nur eine lange Phase – die ab 2000/2001 begann, bei der Anleger einen noch längeren Atem brauchten, um wieder ins Plus zu kommen.
Aktienanleger fahren besser
Die ist besonders spannend: Am allerschlimmsten nämlich traf es Anleger, die im Jahr 2000 Aktien kauften. Dass jemand 2000 noch kurz vor dem Höhepunkt und dem darauffolgenden Dotcom-Crash einstieg, wird in der Tat nicht selten gewesen sein. Danach stürzte der Markt ab. Angenommen der Anleger hätte die Papiere wieder sieben Jahre gehalten, wäre er danach mit minus 1,6 Prozent realer Jahresrendite aus dem Markt gegangen. Also im Schnitt mit dem, was Sparer heute nach sieben Jahren mit Tagesgeldkonten unterm Strich stehen haben. Nach dramatischen Verlusten klingt das nicht. Ein Gewinn ist es allerdings auch noch nicht.
Wer nun einen noch längeren Atem bewies, aber dennoch im Dezember 2015 sein Aktienpaket verkaufte – warum auch immer, denn da waren die Märkte schon länger wieder satt im Aufschwung – den erwischte es sozusagen am ungünstigsten. Denn er war innerhalb all der Jahre und aller möglichen Zeitspannen seit 1987 jener, der seine Aktien zwar sehr lange hielt und zwei große Crashs erlebte (2001 und 2008), aber dennoch nach Inflation nicht in die Gewinnzone gelangte. Wie groß war also sein Verlust? Er lag bei 0,2 Prozent pro Jahr. Das ist wohlgemerkt das schlechteste Ergebnis, das Langfristanleger am Aktienmarkt in dieser Zeit – also in 15 Jahren – erzielen konnten. Und diese Negativrendite ist exakt genauso hoch wie jene, die Inhaber von Spareinlagen innerhalb der vergangenen 30 Jahre erreichten. In den allerschlimmsten Aktienphasen also kommt am Ende genau das heraus, was bei kontinuierlicher Anlage am Geldmarkt ganz normal ist.
Hätte der Anleger erst einen Monat später seine Aktien gekauft und bereits im Dezember 2013 verkauft, dann wäre sein Verlust bereits kleiner und kaum noch spürbar gewesen. Hätte er sein Depot noch ein weiteres Jahr gehalten, dann hätte er sogar wieder eine Rendite von 0,6 Prozent pro Jahr eingefahren, auf die kein Tagesgeldsparer gekommen wäre, der ebenfalls 2000 sein Geld anlegte und es dauerhaft gehalten hätte. In den letzten 20 bis 25 Jahren waren solche Renditen für langfristige Geldmarktsparer nicht drin.
Und das waren wie gesagt nur die mauesten Realrenditen von Aktienmarktanlegern. Auf Zehnjahresfrist gesehen erzielten sie nach Inflation 2,8 Prozent jährlich, auf 20-Jahressicht 4,2 Prozent und auf 30-Jahressicht trotz aller Crashs noch 3,3 Prozent. Von daher ist es für sie zwar ärgerlich, wenn die Zinsen steigen und die Geldentwertung daher auch. Denn vor Abzug der Inflation bleiben ihnen immerhin rund sieben Prozent Jahresrendite übrig. Es zeigt aber eins deutlich: Egal wie hoch die Zinsen sind – es gibt wenig Anlass, aus dem Markt auszusteigen. Denn die bessere Anlageart wird auch bei steigenden Zinsen sicherlich nicht der Geldmarkt sein.