Im Verhältnis zu den Währungen der wichtigsten Handelspartner der Eurozone ist der Euro so stark wie nie. Der von der Europäischen Zentralbank berechnete Nominale Effektive Wechselkurs (Nominal Effective Exchange Rate, NEER) ist ein Indexwert, der den Wert der Gemeinschaftswährung gegenüber einem nach Handelsvolumen gewichteten Währungskorb darstellt. Aktuell liegt der NEER über 125 Punkten, dem höchsten bisher verzeichneten Wert. Bei Einführung des Euro, zunächst als Buchgeld, 1999, war der NEER bei 100 Punkten gestartet.
Vor einem Jahr hatte der Euro noch mit seiner Schwäche, vor allem gegenüber dem US-Dollar, Schlagzeilen gemacht. Im Sommer und Herbst 2022 notierte der Euro monatelang unter 1,00 Dollar. Im September kostete ein Euro zeitweise nur 95 Cent, der tiefste Stand seit 20 Jahren.
Seitdem hat der Euro gegenüber der US-Währung um mehr als 15 Prozent aufgewertet. Auch gegenüber dem chinesischen Yuan wertete der Euro deutlich auf und erreichte vor wenigen Tagen den höchsten Kurs seit mehr als drei Jahren.
Für die europäische Wirtschaft ist die starke Währung ein zweischneidiges Schwert. Zum einen trug die Aufwertung des Euro in den vergangenen Monaten zur Beruhigung der Inflation bei. Denn importierte Waren aus anderen Währungsräumen, vor allem in Dollar notierte Energierohstoffe wie Öl und Gas, werden so für die Euroländer billiger. Andererseits leidet die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte. In Deutschland oder anderen Euroländern hergestellte Waren sind für Kunden in den USA, China und anderen wichtigen Absatzmärkten außerhalb der Eurozone deutlich teurer geworden. Das spürt insbesondere die exportorientierte deutsche Industrie, die zeitgleich mit gestiegenen Kosten insbesondere für Energie kämpfen muss.
Experten sehen erneute Trendwende
Grund für die Trendwende im Verhältnis des Euro zum Dollar und anderen wichtigen Währungen ist die zeitversetzte Zinspolitik der jeweiligen Notenbanken. Die amerikanische Federal Reserve hatte im Kampf gegen die Inflation deutlich früher als die EZB mit der Anhebung der Leitzinsen begonnen. Das hatte – kombiniert mit einem robusten Wachstum in den USA – den Dollar in dieser Zeit aufwerten lassen. Während die Fed derzeit allerdings wieder pausiert und die Märkte spekulieren, dass in den USA der Höhepunkt der Inflation und auch des Zinsanstiegs überschritten ist, wird in Europa dagegen mit weiteren Zinserhöhungen gerechnet. Höhere Zinsen in einem Währungsraum sorgen tendenziell für eine steigende Nachfrage nach der jeweiligen Währung auf dem Devisenmarkt.
Experten zufolge könnte sich der Trend auf dem Devisenmarkt allerdings bald erneut umkehren. Angesichts zuletzt schwacher Wirtschaftsdaten aus dem Euroraum und auch in der Währungsgemeinschaft abflauender Inflation dürfte auch die EZB ihre Zinsschritte zumindest verlangsamen. Von Bloomberg befragte Experten gehen im Durchschnitt davon aus, dass der Eurokurs kurzfristig auf 1,10 Dollar fallen dürfte.
Der starke Euro dürfte auch am kommenden Donnerstag Thema bei der EZB-Zinssitzung sein. Zwar gilt als sicher, dass die Notenbank den Leitzins erneut anheben wird. Der Wechselkurs und die trüben Konjunkturaussichten könnten aber dazu beitragen, dass sie die Erwartungen für weitere Erhöhungen herunterschrauben.
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen