Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Das größte Lebenshemmnis ist das Warten, das sich an das Morgen klammert und das Heute verliert, so sagen die alten Philosophen. So scheint es derzeit tatsächlich auch an den Börsen zuzugehen. Die warten nun allesamt auf die große Zinswende in Amerika. Und das schon seit Monaten. Schließlich hat Notenbankchefin Janet Yellen sie bereits diverse Male angekündigt und betont, sie werde tatsächlich noch in diesem Jahr erfolgen. Die Wende kommt, die Frage ist nur: wann? Viele hatten auf die Fed-Sitzung von vergangener Woche gehofft, doch Yellen belehrte die Anlegergemeinde wieder einmal eines Besseren. Die Zinsen stiegen nicht, nun warten alle weiter. Inzwischen sagen gewichtige Marktbeobachter wie Goldman Sachs, die Anhebung käme erst im Dezember.
Inzwischen wird die große Wende zur Geduldsprobe. Kommt sie nun, oder kommt sie nicht? Und was sollen die Anleger eigentlich so lange tun, bis sie wissen, ob die Zinsen wieder steigen? Für Anleihenfans ist das schließlich ebenso eine Frage wie für Aktiendepotbesitzer. Erstere könnten bei höheren Leitzinsen endlich auch wieder auf Hochzinsanleihen hoffen – müssten sich aber von den hohen Anleihen-Kursgewinnen der letzten Zeit verabschieden. Aktienbesitzer dagegen müssten sich darauf vorbereiten, dass die Aktienkurse nicht mehr so steigen wie zuletzt, weil das höhere Zinsniveau sie eher belastet. Selbst Cash-Haltende sehen mit höheren Zinsen wieder neue Handlungsmöglichkeiten auf sich zukommen, schließlich dürften auch für Fest- und Tagesgelder die Renditen wieder steigen, wenn deren Verzinsung endlich wieder nennenswert über das Nullniveau hinausgeht. Viele klammern sich derzeit tatsächlich an die Hoffnung auf das Morgen.
Nun fällt das Warten darauf dem Menschen aber nie leicht. Weil er sich dabei zur Untätigkeit verdammt fühlt. Weil er nur Dastehen und Durchhalten kann, mehr nicht, denkt er nämlich. Das macht ihn bestenfalls träge. In schlimmsten Fall reagiert er zunehmend gereizt, nervös und verunsichert wie zurzeit. Das merkte man vergangene Woche daran, dass die Fieberkurve an den Börsen zuerst deutlich anstieg, so lange noch alle mit der Zinsanhebung rechnen konnten. Später aber, als sich die Hoffnung zerschlug, schickten die Börsianer den Deutschen Aktienindex Dax und den amerikanischen Dow Jones abrupt in den Keller – obwohl eigentlich nur eines passiert war: nichts.
Turbulenzen oder Kursfeuerwerk?
Gerade das Untätigkeit der Fed wirkte auf viele enttäuschend. Sie deuteten es so: Bisher hob die Notenbank die Zinsen zuverlässig an, wenn das Umfeld robust genug war. Wenn also die Inflation stark genug und das Wachstum schnell genug war. Denn in dieser Situation könne der Markt leicht höhere Zinsen vertragen. Heißt der erneute Aufschub nun also, dass die wirtschaftliche Erholung noch auf wackligen Füßen steht? Ist der Lage nicht zu trauen? Derzeit liegt die US-Inflationsrate nur bei mickrigen 0,2 Prozent. Das Wachstum könnte in der Tat stärker sein. Außerdem warnen viele Stimmen, dass eine Leitzinsanhebung zum jetzigen Zeitpunkt vor allem die Schwellenländer ins Trudeln bringen könnte, deren Konjunkturmotoren noch längst nicht laufen wie geschmiert. Und was bliebe von der wachsenden Weltwirtschaft, wenn selbst die Schwellenländer schwächeln?
Mittlerweile fragen sich einige Marktbeobachter bang, wie sehr wohl erst die Börsenbarometer ausschlagen werden, wenn es endlich zur ersehnten Zinsanhebung kommt. Denkbar ist inzwischen alles: Entweder kommt es dann zu heftigen Turbulenzen nach unten; oder es brennt ein unerwartetes Kursfeuerwerk ab, weil endlich der herbeibeschworene Punkt erreicht ist; oder die Kurse bewegen sich auch nicht viel mehr als zurzeit, weil die Märkte bis dahin längst jede mögliche Zinsänderung eingepreist haben, als Effekt des langen Wartens.
Bisher, so dachten alle, schienen die Folgen einer Zinsanhebung recht klar: Zwar würden die Renditen für Aktionäre schrumpfen, doch die Aussichten für Anleihenkäufer würden endlich wieder steigen. Inzwischen mahnen warnende Stimmen, dass es nach Leitzinsanhebungen auch schon zweimal den gegenteiligen Effekt gegeben hat: Sowohl 1967/68 als auch 2004/05 sackten die Staatsanleihenzinsen nach Leitzinshebungen unerwartet ab. Denn steigende Zinsen bei Neuanleihen bedeuten auch, dass alte Anleihen weniger wert werden. Das löse gerade bei den Versicherungen und Pensionskassen Abschreibungen aus und damit Liquiditätsprobleme. Sie könnten also unter dem Druck stehen, ihre Papiere verkaufen zu müssen und dadurch könne es zum überraschenden Kurseinbruch kommen. Falls das tatsächlich passiert, reagieren darauf natürlich auch die Aktienkurse. Aber eher in entgegengesetzter Richtung, sie könnten also genauso gut steigen.
Anleger sollten Ruhe bewahren
Bis Anleger wissen, welches Szenario Wahrheit wird, wird es nun vermutlich Dezember werden. So lange bleibt allen gar nichts andere übrig als abzuwarten. Marktbeobachter empfehlen bis dahin: Nicht nervös werden und optimistisch bleiben, in erster Linie aber ruhig. Denn die Richtung, in die es für die Zinsen geht, ist ohnehin bekannt und einen großen, überraschenden Schritt wird die Notenbank Fed eher nicht wagen, um die fragilen Märkte nicht zu gefährden. Sie tastet sich eher wie gewohnt in Trippelschritten voran. Von daher sollten Aktienanleger investiert bleiben, aber überlegen, ob sie eventuell ein paar Gewinne der vergangenen Monate mitnehmen wollen.
Anleihenfans sollten noch die Finger und Füße still halten und nicht kaufen. Und wer Cash hält, kann die paar Wochen jetzt auch noch locker aussitzen. Am Ende bewährt sich vermutlich eine alte Börsenregel, die fast so gescheit klingt wie die der Philosophen: „Wer es aushalten kann zu warten, der gewinnt immer.“