Capital: Herr Clasen, mit dem StaRUG-Verfahren sollen sich Unternehmen präventiv sanieren können, um eine Insolvenz abzuwenden. Beim Batteriehersteller Varta und beim Kabelspezialisten Leoni hat das Verfahren aber einen Totalverlust für Kleinaktionäre zur Folge. Wie kann das rechtlich möglich sein?
GERRIT CLASEN: Das hängt mit dem Kapitalschnitt zusammen. Nach der Kapitalerherabsetzung auf Null wird eine Kapitalerhöhung durchgeführt. Aktionären steht bei Kapitalerhöhungen eigentlich das sogenannte Bezugsrecht zu. Wenn eine AG neue Aktien ausgibt, kann jeder seinem bisherigen Anteil entsprechend neue Aktien verlangen. In den Fällen von Varta und Leoni wollte man aber nicht allen Aktionären Bezugsrechte anbieten, sondern nur einem Großaktionär oder Investor zulassen – und hat dafür das StaRUG-Verfahren genutzt. Damit eine AG so etwas durchbekommt, muss sie aber hohe Anforderungen erfüllen.
Welche Konsequenzen hat das für die Aktionäre?
Die Aktionäre verlieren dadurch alles und sie haben nicht einmal eine Perspektive für die Zukunft, weil das Unternehmen von der Börse genommen wird und damit ein Nacherwerb von Aktien an der Börse mehr möglich ist. Der Großaktionär oder Investor übernimmt das Unternehmen mit dem zusätzlichen netten Nebeneffekt, dass die Gesellschaft nicht mehr an der Börse gelistet ist. Für die Minderheitsaktionäre ist es von da an ein „closed shop“. Man sitzt vor der Tür und kommt nicht mehr rein.
Ist dieses Vorgehen in den Fällen von Varta und Leoni gerechtfertigt?
Die Gründe, die im Einzelfall vorgebracht wurden, kenne ich nicht. Aber es ist denkbar, dass ein Investor sich dem Unternehmen in einem größeren Rahmen verpflichtet als es Kleinanleger überhaupt können. Letztere können nur Bargeld ins Unternehmen geben, aber Großaktionäre oder Investoren können dem Unternehmen darüber hinaus eine langfristige Perspektive bieten. Sie haben strategische Argumente, was zum Beispiel eine zukünftige Zusammenarbeit angeht. Dafür könnten sie verlangen, dass die Bezugsrechte für Kleinaktionäre ausgeschlossen werden.
Wie funktioniert das Bezugsrecht normalerweise?
Laut Aktienrecht können die Aktionäre im Rahmen einer Hauptversammlung jederzeit eine Kapitalerhöhung beschließen. Die Gesellschaft bekommt dann Bargeld und gibt dafür Aktien aus, die sie grundsätzlich all ihren Aktionären anbieten muss. Wenn Sie zum Beispiel 0,5 Prozent an der AG halten, müssen Sie auch von den neuen Aktien 0,5 Prozent angeboten bekommen. Sollen die neuen Aktien nur einem Aktionär oder Investor angeboten werden, muss das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen werden. Die Rechtfertigung dieses Schritts unterliegt nach dem Aktienrecht aber hohen Anforderungen. Das StaRUG ermöglicht es ebenfalls, die Bezugsrechte auszuschließen. Deswegen sind sie eigentlich der Knackpunkt der ganzen Diskussion. Der Bezugsrechtsausschluss im Rahmen des StaRUG ist gewissermaßen ein Tor für Enteignung.
Unternehmen entgehen so auch unangenehmen Fragen auf künftigen Hauptversammlungen, die Kleinaktionäre gerne stellen.
Ja, wenn es nach Abschluss des Restrukturierungsverfahrens nur noch einen oder wenige Eigentümer gibt, macht es das für eine Aktiengesellschaft natürlich vieles einfacher. Im Aktienrecht gibt es sehr viele Schutzmechanismen für Minderheitsaktionäre. Egal, wie klein der Anteil der Minderheitsaktionäre ist, die Gesellschaft muss immer darauf achten, dass sie ihre Rechte nicht verletzt. Auch wer nur eine Aktie hat, kann dem Vorstand zum Beispiel auf der Hauptversammlung Fragen stellen und der muss diese auch beantworten.
Sie meinen, dass Kleinaktionäre kein Mitspracherecht haben?
Genau, weil die Gesellschafter mit Mehrheitsbeschluss alleine entscheiden. Beim StaRUG wird ein Restrukturierungsplan gemacht, über den die drei verschiedenen Gruppen – gesicherte Gläubiger, ungesicherte Gläubiger und Aktionäre – abstimmen. Die Gruppe der Aktionäre kann von den anderen Gruppen da leicht überstimmt werden. Dazu gibt es überhaupt keine Hauptversammlung , wo sie ihre Stimme hätten abgeben können. Das ist so implementiert worden, um Unternehmen schnell sanieren zu können. Das Heikle am StaRUG-Verfahren ist, dass hier einfach an Kleinaktionären vorbei entschieden werden kann.
Hat der Gesetzgeber berücksichtigt, dass dies mögliche Konsequenzen des StaRUG sein können?
Da der Bezugsrechteausschluss im Gesetz vorgesehen ist, ja. Die Frage ist, ob man ihn in der Praxis im individuellen Fall wirklich sachlich rechtfertigen kann.
Inwiefern wird mit dem StaRUG das Aktiengesetz umgangen?
Das StaRUG überlagert das Aktienrecht und ist aus Aktionärssicht sehr weitgehend. Ich verliere als Aktionär ja nicht nur meine Beteiligung, es gibt nicht einmal eine Hauptversammlung, auf der ich Fragen stellen oder meinen Unmut kundtun kann. Kleinaktionäre bekommen ja oft zu hören, dass sie ihr Geld bei einer Insolvenz des Unternehmens sowieso verlieren würden. Aber bei einem Sanierungsverfahren mit Kapitalschnitt außerhalb des StaRUG Verfahrens würde eine Hauptversammlung einberufen, der Kapitalschnitt beschlossen und danach würden neue Aktien ausgegeben, wo man sich als Aktionär beteiligen könnte.

Varta-Aktionäre gehen leer aus: „Die Kritik ist sehr laut daran“
Wenn das StaRUG die Rechte von Aktionären so stark überlagert, sollte man da über eine Änderung des Gesetzes nachdenken?
Eigentlich halte ich das StaRUG für ein gutes Instrument zur Restrukturierung. Wir brauchen es, um Unternehmen schnell sanieren zu können und ihnen eine Zukunft zu geben. Da muss man auch in Kauf nehmen, dass einige zu kurz kommen. Trotzdem darf das StaRUG darf nicht als Übernahmeinstrument missbraucht werden. Die Gerichte sollten deshalb immer genau überprüfen, ob es für den Bezugsrechteausschluss und die alleinige Ausgabe der Aktien an nur einen Investor wirklich einen ausreichend gravierenden Grund gibt.
Anlegerschützer bereiten bei Varta jetzt Klagen vor, um doch noch Bezugsrechte zu erhalten. Wie sind die Aussichten auf Erfolg?
Bei Leoni hat es nicht geklappt und bei Varta werden die Argumente vermutlich ähnliche sein. Man kann davon ausgehen, dass Varta gut vorbereitet ist. Ich bin selbst gespannt, wie es ausgeht.