In den vergangenen Monaten haben mehrere Investmenthäuser börsengehandelte Indexfonds (ETFs) aufgelegt, die auf den ersten Blick eine seltsame Wahl sind. Sie spekulieren nämlich auf eine steigende Inflationsrate. Ein neuer ETF von State Street Global Advisors bildet die Kurse inflationsgesicherter US-Staatsanleihen nach. Kupon und Rückzahlungssumme der Papiere sind an einen Inflationsindex gekoppelt. Steigt der Index, bringen die Anleihen höhere Zinsen.
Der französische Anbieter Lyxor wiederum hat zwei Indexfonds auf den Markt gebracht, mit denen Anleger von steigenden Inflationserwartungen in Europa und in den USA profitieren sollen. Im Gegensatz zu herkömmlichen inflationsindexierten Produkten schützten die Fonds zusätzlich vor Kursverlusten durch steigende Zinsen, wirbt Lyxor.
Angesichts der neuen Produkte muss man sich fragen: Von welcher Inflation sprechen die ETF-Anbieter? In der Eurozone gibt es derzeit überhaupt keine Teuerung. Im Gegenteil: Die Inflationsrate lag im Mai bei minus 0,1 Prozent. Waren und Dienstleistungen kosteten also 0,1 Prozent weniger als im Mai 2015. Dieser Wert ist weit entfernt von den zwei Prozent Preissteigerung, die die Europäische Zentralbank (EZB) anstrebt. Auch die US-Notenbank Fed hat ihre Zielmarke bei zwei Prozent gesetzt. Und auch sie ist von diesem Wert bislang weit entfernt, wenn auch nicht so weit wie die Eurozone. Im Mai lag die Teuerungsrate in den USA im Vergleich zum Vorjahresmonat bei 1,1 Prozent.
Trendwende im zweiten Halbjahr?
Anleger rechnen derzeit nicht damit, dass die Inflation in absehbarer Zeit steigen wird. In den USA haben die längerfristigen Inflationserwartungen zuletzt rapide abgenommen und sind auf den niedrigsten Stand seit 1979 gefallen. „Es lässt sich schon seit geraumer Zeit ein Abwärtstrend erkennen“, sagt Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targo Bank. Auch in Europa gehen Investoren nicht davon aus, dass die Verbraucherpreise bald steigen.
Volkswirte beurteilen die Lage anders. Sie rechnen damit, dass die Inflation im zweiten Halbjahr 2016 anziehen wird, sowohl in Europa als auch in Übersee. „Die Talsohle ist durchschritten. Die Eins vor dem Komma wird bald kommen“, ist Stefan Kreuzkamp überzeugt, Chefanlagestratege beim Investmenthaus Deutsche Asset Management. Auch Luke Bartholomew, Investmentmanager beim Fondsanbieter Aberdeen Asset Management, sagt: „Es ist vernünftig, davon auszugehen, dass die Inflation im zweiten Halbjahr steigen wird.“
Die Marktexperten begründen ihre Einschätzung mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und der Stabilisierung der Rohstoffpreise, die zuletzt die Inflation ausbremsten. Sollten sie Recht behalten, könnten inflationsgesicherte ETFs und ähnliche Produkte in den kommenden Monaten tatsächlich wieder interessant werden. Privatanleger sollten allerdings nicht vorschnell zu inflationsindexierten Produkten greifen. Diese sind nämlich nur dann ein lohnenswertes Investment, wenn die Teuerung die Inflationserwartungen übersteigt.