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Ruhestand Rente - der zähe Kampf gegen die Doppelbesteuerung

Viele Rentner ärgern sich über eine Doppelbesteuerung ihrer Alterseinkünfte
Viele Rentner ärgern sich über eine Doppelbesteuerung ihrer Alterseinkünfte
© dpa
Immer mehr Ruheständler müssen Steuern auf ihre Rente zahlen, viele sogar zweimal. Das hat das Verfassungsgericht zwar verboten – bloß ist der Kampf gegen die Doppelbesteuerung langwierig

Was eine Rentenreform wirklich bedeutet, macht sich erst nach Jahren bemerkbar. Und so beginnen viele Ruheständler erst ganz allmählich zu spüren, wie sich das Alterseinkünftegesetz aus dem Jahr 2005 auswirkt: Immer mehr von ihnen müssen einen Teil der Rente an das Finanzamt durchreichen.

Schon heute ist jeder fünfte Rentner steuerpflichtig. Im Sommer werden es, schätzt das Finanzministerium , knapp fünf Millionen sein – fast doppelt so viele wie bei Einführung des Gesetzes. Tatsächlich trifft es sogar noch mehr Menschen, denn auch zusammen veranlagte Ehepaare zählt die Statistik nur einmal.

Für viele Senioren aber ist diese neue Steuerwelt immer noch eine unangenehme Überraschung. Bis 2004 nämlich waren Renten in aller Regel steuerfrei. Seit 2005 jedoch gilt: Die Zahlungen, die Rentner aus der Rentenkasse bekommen, sollen einkommensteuerpflichtig werden – umgekehrt werden dafür die Beiträge, die Arbeitnehmer ein Leben lang an die Rentenkasse zahlen, stufenweise von der Steuer befreit. Um einen harten Schnitt bei dieser völligen Neuausrichtung der Rentenbesteuerung zu vermeiden, wurde von Anfang an eine schrittweise Anpassung beschlossen: Erst ab 2040 sollen Neurentner ihre Bezüge vollständig versteuern müssen, bis dahin erhöht sich der zu versteuernde Anteil jährlich in Schritten von ein oder zwei Prozent.

Durch diese langsame Erhöhung aber rutschen nun jedes Jahr mehr Alte in die Zahlungspflicht, und längst greifen die Finanzämter nicht mehr nur auf Wohlsituierte zu. Wer etwa 2018 nichts außer einer gesetzlichen Rente von 1200 Euro anzumelden hatte, war schon dabei.

Und als wäre das nicht schon genug, kocht nun alter Streit wieder hoch: Spätestens seit 2015 nämlich müssen Experten zufolge viele Senioren sich plötzlich mit Doppelbesteuerungen herumschlagen: Sie zahlen heute Steuern auf Teile ihrer monatlichen Rente – obwohl doch in der Vergangenheit schon ihre Zahlungen an die Rentenkassen besteuert wurden. Der doppelte Aderlass erhitzt die Gemüter. Steuern zahlen ja – aber doch, bitte schön, nicht zweimal auf denselben Euro.

So sieht es auch das Bundesverfassungsgericht, das 2002 die Neuordnung der Rentensteuer verlangte . Schon damals mahnten die Richter: Die Besteuerung der Renten- und Erwerbsphase sei „so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird“.

Eine saubere Lösung dieses Problems jedoch hat das Alterseinkünftegesetz nach Ansicht namhafter Fachleute nicht gefunden. Die Kritik ist nicht neu. So warnt etwa der frühere Chef der Rentenversicherung Franz Ruland seit über 15 Jahren lautstark vor einer Doppelbesteuerung. Und so sehen es auch renommierte Steuerrechtler wie Johanna Hey von der Uni Köln.

Mittlerweile geht es jedoch ans Eingemachte, eben weil nun die ersten Jahrgänge aus dem Arbeitsleben ausgestiegen sind, denen die Doppelbesteuerung droht. Nach einer Studie des Finanzmathematikers Werner Siepe und seines Bruders Günter Siepe, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, trifft der zweifache Abzug immer mehr Arbeitnehmer und Freiberufler, die zwischen 2015 und 2040 in Rente gehen. Größere Summen stehen dabei vor allem für jene auf dem Spiel, die Höchstbeiträge in die Rentenkassen gezahlt haben.

„Um es klar zu sagen: Es geht nicht um ein paar Einzelfälle, sondern ein Massenphänomen“, sagt Werner Siepe. Zum Höhepunkt der Systemumstellung, im Jahr 2040, werde selbst ein Standardrentner, der 45 Jahre lang durchschnittlich verdient hat, rund 51.000 Euro zu viel versteuern.

Kurioserweise würden dieser Einschätzung wohl nicht mal die Väter der Alterseinkünftegesetzes widersprechen. In einem Schreiben vom Juli 2007, das Capital vorliegt, warnte der Vorsitzende der Sachverständigenkommission, Bert Rürup, die zuständigen Minister, dass die neue Regelung zur Rentensteuer nunmehr „in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung verstößt“. Die Rahmenbedingungen hätten sich verändert, zum Beispiel durch die neu eingeführte Rente mit 67. Es passierte: nichts.

Das Bundesfinanzministerium stellt sich auch heute auf den Standpunkt, mit dem Alterseinkünftegesetz werde „eine Doppelbesteuerung grundsätzlich vermieden“. Eigentlich ist das auch kein Wunder, denn jedes Jahr ohne anderslautendes Urteil bringt dem Finanzminister bares Geld, und vor Gericht konnte bislang niemand mit einer Klage zur Doppelbesteuerung durchdringen. Das Thema ist derart sperrig, dass auch die meisten Steuerberater den Kampf gar nicht erst aufnehmen oder schnell die Waffen strecken – viel Aufwand, wenig Geld.

Zu kurzer Übergang

Um das Problem genauer zu verstehen, lohnt ein Blick auf die umstrittene Übergangsphase, in der bei jedem neuen Rentnerjahrgang ein höherer Teil der Alterseinkommen besteuert wird – und gleichzeitig die Beiträge zur Rente schrittweise steuerfrei gestellt werden. In diesem Jahr etwa können alle Versicherten ihre Beiträge zu gesetzlicher Rente, Rürup-Rente und berufsständischen Versorgungswerken zu 88 Prozent als Sonderausgaben verrechnen, maximal 21.388 Euro (Ehepaare das Doppelte). Dieses Geld ist steuerfrei. Im Gegenzug muss immer mehr von der Rente versteuert werden – je nachdem, in welchem Jahr man in den Ruhestand geht. Bei Neurenten 2019 sind 78 Prozent steuerpflichtig.

Dumm nur, dass die Phase zwischen der vollen Freistellung aller Vorsorgebeiträge (ab 2025) und der vollständigen Besteuerung der Rente (ab 2040) viel zu kurz kalkuliert ist. Es sei „unzweifelhaft, dass es in einer Vielzahl von Fällen zu einer Doppelbesteuerung kommen wird“, urteilt die Kölner Steuerrechtlerin Hey. Wer also im Jahr 2040 in den Ruhestand tritt, versteuert seine Auszahlung zu 100 Prozent – obwohl seine Rentenbeiträge nur 15 Jahre lang vollständig steuerfrei waren. Bei einem Arbeitsleben von 40 Jahren wird auf einen ordentlichen Teil doppelt kassiert.

Die ersten Ruheständler gehen schon jetzt auf die Barrikaden, wie etwa Rita Wally aus Köln. „Ich sehe nicht ein, zweimal zu zahlen: Das ist Raubrittertum“, sagt die Kölnerin, die 2017 in Rente ging. Laut ihrem Berater Siepe müsste die frühere Angestellte im Laufe ihres Lebens rund 22.000 Euro doppelt versteuern.

Natürlich gibt es, wie bei komplexen Berechnungen üblich, auch Kritik an der Methode von Siepe. Anders als die Rürup-Kommission zählen er und sein Bruder zum Beispiel den Grundfreibetrag und die Beiträge der Rentner zur Kranken- und Pflegekasse nicht zum steuerfreien Rentenzufluss hinzu, weil diese Posten allen Steuerzahlern zustehen. So halten es allerdings auch andere Experten.

Jedoch gelangen selbst Fachleute, die anders rechnen, zu ähnlichen Ergebnissen: Bert Rürup warnte in seinem Brief 2007, es werde sich „in keinem Fall vermeiden lassen, die erstmalige volle Besteuerung der Renten über das Jahr 2040 hinaus zu verschieben“. Auch nach seiner Lesart sind viele, die von 2011 bis 2068 in Rente gehen, vom doppelten Fischzug des Fiskus betroffen.

Dabei geht es derzeit noch gar nicht um große Summen, bei Wally sind es gut 300 Euro im Jahr. Ihr geht es ums Prinzip: „Ich will fair behandelt werden.“ Bloß: Um deswegen vor Gericht zu ziehen, müsste sie erst mal Steuerbescheide aus Jahrzehnten vorlegen können. Die Beweislast trägt nämlich der Steuerzahler.

Die Hürden liegen also hoch. Nach dem perfekten Rentner für eine Klage fahnden daher auch Profis wie Hans-Ulrich Liebern vom Bund der Steuerzahler (BdSt) NRW schon länger: „Wir brauchen einen wasserdichten Fall.“ Die besten Chancen sieht er derzeit bei Freiberuflern, die hohe Summen in berufsständische Versorgungswerke eingezahlt haben.

Auf die Hilfe der Finanzverwaltung dürfen Klagewillige nicht hoffen, wenn einzelne Steuerbescheide fehlen. Zwar kann jeder Steuerzahler Einblick in seine Akte beantragen, einen Anspruch darauf hat er aber nicht. „Es ist überaus ärgerlich – aber es ist Ihr Risiko, wenn Sie einen alten Bescheid wegwerfen, den Sie später zu Beweiszwecken brauchen“, sagt Steuerrechtlerin Hey.

Trotz des hohen Aufwands ist Hey aber sicher, dass einige den Gang durch die Instanzen auf sich nehmen werden. Denn der Ärger dürfte in den nächsten Jahren weiter anschwellen, weil immer mehr Rentner in die Steuerpflicht rutschen. Allein die anstehende Rentenerhöhung im Sommer um geschätzte 3,2 Prozent (West) führt laut Finanzministerium dazu, dass weitere 48.000 Senioren erstmals zahlen müssen.

Was viele von ihnen gar nicht wissen: Selbst diejenigen, die zum Beginn des Ruhestands noch unter der Freigrenze liegen, können im Laufe der Jahre noch steuerpflichtig werden. Zuwächse aus den Erhöhungsrunden müssen nämlich immer voll versteuert werden.

Mittlerweile liegt aber nicht nur bei der gesetzlichen Rente manches im Argen, sondern auch bei privaten Rentenpolicen. Dort fließen die Beiträge grundsätzlich aus versteuertem Einkommen, später greift der Fiskus nur auf den sogenannten Ertragsanteil zu – also Zinserträge, die vom Rentenbeginn bis zum (angenommenen) Lebensende anfallen.

Keine drei Prozent

Für die Besteuerung wird ein festgelegter Ertragsanteil angenommen, derzeit von 18 Prozent bei einem Rentenbeginn mit 65. Beim Entwurf des Gesetzes wurde einst mit jährlichen Zinsen von drei Prozent kalkuliert – bloß ist so viel mit einer Sofortrente in der Niedrigzinsphase längst nicht mehr zu holen. „18 Prozent sind heute deutlich überhöht“, sagt daher BdSt-Mann Liebern.

Gert Zimmermann zog gegen die Steuer auf seine private Renten vor Gericht. Der 72-jährige frühere Freiberufler ist, was private Vorsorge angeht, eigentlich ein Traum für die Bundesregierung: Er hat umfangreich vorgesorgt und bezieht heute mehr als 20 private Leibrenten. Nach vierjährigem Kampf gelang es ihm, die Überbesteuerung von neun Verträgen vor dem Hessischen Finanzgericht zu belegen. Abgewiesen wurde die Klage dennoch: Seine Belastung sei mit 20 Euro dermaßen gering, so die Richter, dass sie „für den Kläger hinzunehmen ist“.

„Mich ärgert wahnsinnig, dass keiner an die Doppelbesteuerung ran will“, sagt Zimmermann. Er hat Beschwerde eingelegt. Angesichts der Vorgabe der Verfassungsrichter, die doppelte Steuer zu vermeiden, kann das Urteil auch kaum als vertrauensbildende Maßnahme gelten.

Bei aller Kritik gibt es aber sogar gute Nachrichten für künftige Rentner. Unterm Strich profitieren sie laut Rentenversicherung vom Systemwechsel bei der Steuer. Aber so richtig erst nach der Übergangsphase – also in gut 30 Jahren.

Der Beitrag ist in Capital 04/2019 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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