Capital: Frau Ardelt, in vielen Familie gibt es Personen, die pflegebedürftig werden und rund um die Uhr Betreuung brauchen. Wie finden solche Familien üblicherweise eine 24-Stunden-Pflegekraft?
LENA-MAREI ARDELT: In der Regel über Agenturen. Einige vermitteln Selbstständige, doch oft sind die Pflegekräfte auch bei der Agentur angestellt. Der Vorteil der Agenturlösung ist, dass diese eine passende Hilfe stellt, Familien müssen also nicht selbst suchen. Klingt praktisch, kann aber auch Probleme bereiten, etwa wenn die zugewiesene Pflegekraft häufig wechselt, zum Beispiel wegen Krankheit oder weil sie das Land verlässt. Schließlich ist Pflege – vor allem die häusliche – ein intimer Bereich. Die Hilfe lebt ja mit der pflegebedürftigen Person und gegebenenfalls den Angehörigen in einem Haushalt. Da kommt es auf ein gutes Vertrauensverhältnis an. Eine Agentur dazwischen zu haben, kann da stören.
Wie meinen Sie das?
Klarer Nachteil von einer Agentur ist die mangelnde Transparenz. Natürlich gilt das deutsche Arbeitsrecht, das heißt, die Agentur muss der Pflegekraft deutschen Mindestlohn zahlen und die Hilfe muss deutsche Arbeitszeiten einhalten. Das Problem ist, dass die Verträge oft intransparent sind, beispielsweise bleibt meist offen wie viele Stunden die Person tatsächlich angestellt ist. Die Pflegekraft ist in Theorie zwar 24 Stunden verfügbar, aber ein Großteil ist Bereitschaftszeit. Die Agenturen legen das so aus, dass die Kraft unterm Strich wohl weniger arbeitet als Vollzeit und meldet eine geringere Stundenzahl an. Es wird also Mindestlohn gezahlt, die Pflegekraft bekommt diesen aber nicht für 40, sondern vielleicht nur für 25 Stunden pro Woche, so fällt der Lohn entsprechend gering aus. Das ist nicht fair, schließlich ist die Hilfe vor Ort und könnte jederzeit einspringen, wenn sie mitbekommt, dass ihre pflegebedürftige Person Hilfe braucht.
Gibt es denn eine Alternative?
Ja, es gibt eine sehr gute Alternative: Eine Pflegekraft privat anzustellen, also selbst zum Arbeitgeber zu werden. Dann besteht zum einen direkte Weisungsbefugnis, zum anderen kann ein viel persönlicheres Verhältnis entstehen. Als Arbeitgeber kann ich etwa selbstbestimmt einen Tag frei geben, wenn zuletzt viel zu tun war. Und ich kann die Arbeitszeiten gerechter vereinbaren. Bei Mindestlohn sollte man die Pflegekraft in Vollzeit anstellen, auch wenn sich die Arbeitszeit nicht minuziös feststellen lässt – das ist einfach eine Art Wertschätzung dafür, dass jemand rund um die Uhr einsatzbereit ist.
Aber wird die Privatanstellung dann nicht viel teurer als die Agentur-Pflegekraft?
Nein, in der Regel ist sogar die Anstellung über eine Agentur teurer. Denn ich zahle auf den gesamten Rechnungsbetrag der Agentur Mehrwertsteuer, also fast 20 Prozent, was bei einer privaten Anstellung entfällt. Außerdem kostet es zusätzlich, dass die Agentur zwischengeschaltet ist, denn diese möchte auch Geld für ihre Dienste erhalten. Da wird erfahrungsgemäß einiges für die Verwaltung der Arbeitsverhältnisse verlangt. Am Ende kommt beim Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin aber ein sehr viel geringeres Gehalt an. Also höhere Kosten für die Auftraggeber und ein geringeres Gehalt für die Pflegekraft.
Wie finde ich eine private Pflegekraft?
Wenn ich privat anstelle, dann muss ich natürlich meine Pflegekraft selbst suchen. Da gibt es mittlerweile etliche Online-Portale, die die Suche erleichtern und Pflegekräfte mit Suchenden zusammenbringen. Auch die Bundesagentur für Arbeit vermittelt Hilfen. Unserer Erfahrung nach lernen viele Familien allerdings die Pflegekraft, die sie dann selbst anstellen wollen, zunächst über eine Agentur-Lösung kennen. Wenn sie mit jemandem zufrieden sind und ihm oder ihr vertrauen, kommt meist der Wunsch auf, das Arbeitsverhältnis selbst anständig zu gestalten.
Hat eine Privatanstellung auch Nachteile?
Ja, die sind aber lösbar. Wer als Privatperson Arbeitgeber wird, muss sich auch um die Abrechnung kümmern und Sozialabgaben und Steuern abführen. Wenn man das selbst macht, wäre das ein riesengroßer Aufwand, bei dem sich die Privatanstellung wahrscheinlich nicht mehr lohnen würde. Aber das Administrative lässt sich eben auslagern: Wir bei Quitt können seit Juni 2024 neben Haushaltshilfen und Nannies, auch die Verwaltung von 24-Stunden-Kräften übernehmen, darum hatten uns viele Kundinnen und Kunden gebeten. Aktuell sind wir in Deutschland die einzigen, die diesen Service bieten. Ein anderer Nachteil ist, dass man sich bei der privaten Anstellung einer Rund-um-die-Uhr-Pflegekraft selbstständig um die Urlaubs- und Krankenvertretung kümmern muss. Da gibt es in Deutschland aber gute Angebote, wie zum Beispiel Tagespflege-Einrichtungen.
Übernimmt die Pflegekasse Kosten der häuslichen Pflege?
Je nach Pflegegrad gibt es Pflegegeld – unabhängig davon, ob Angehörige selbst pflegen oder ob eine Hilfe privat oder über eine Agentur beschäftigt wird. Das Pflegegeld reicht von 332 Euro bei Pflegegrad 2 bis 947 Euro bei Pflegegrad 5 und kann mit ambulanten Pflegesachleistungen kombiniert werden. Je nach Bundesland kann es noch zusätzliche kleinere Unterstützungen geben. Weitere Kosten muss man jedoch selbst aufbringen. Sollte die Hauptpflegeperson aber mal ausfallen, können Betroffene auch über die sogenannte Verhinderungspflege Unterstützung beantragen.
Wie viele 24-Stunden-Kräfte sind in Deutschland tätig?
Experten schätzen, dass 700.000 Menschen in der sogenannten 24-Stunden-Betreuung in Privathaushalten arbeiten. Viele von ihnen kommen aus dem Ausland, etwa Polen oder Litauen. Dem gegenüber steht ein riesiger Pflegebedarf: Laut Statistischen Bundesamt gibt es 5,2 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland – über alle Altersgruppen hinweg. Der mit Abstand größte Teil sind alte Menschen. Und davon werden tatsächlich 4,5 Millionen daheim gepflegt, in welcher Form auch immer.
Welche Aufgaben gehören zur häuslichen Pflege?
Bei der 24-Stunden-Betreuung geht es natürlich um Pflegetätigkeiten, also Hilfe beim Essen oder Waschen. Zu den Aufgaben gehört aber auch Unterstützung im Haushalt, etwa Putzen und Kochen. Was die Rund-um-die-Uhr-Pflegekräfte meistens nicht dürfen, sind medizinische Behandlungen. Medikamente verabreichen, Spritzen setzen, da kommen zum Beispiel Pflegedienste ins Spiel, die man zusätzlich dazu nimmt.
Was muss ich einer Vollzeit-Pflegekraft noch zur Verfügung stellen?
Damit eine 24-Stunden-Hilfe jederzeit einspringen kann, lebt sie mit im Haushalt. Sie braucht also ein eigenes, abschließbares Zimmer. Bad und Küche muss sie mitbenutzen können, schließlich soll sich die Person Essen zubereiten können.
Auch wenn die Hilfe mit im Haushalt wohnt, ist die Bezeichnung „24-Stunden-Kraft“ aber etwas irreführend.
Das stimmt, das Modell ist und bleibt ein Graubereich, egal wie man es am Ende gestaltet. In Deutschland sind alle Bereitschaftszeiten – auch nachts – eigentlich Arbeitszeiten, auch wenn die Pflegekraft natürlich nicht rund um die Uhr wirklich arbeitet. Mit einer Privatanstellung kann man wenigstens sicherstellen, dass es so wertschätzend wie möglich zugeht.