Lange Zeit stand das Schwellenland Indien im Schatten von China. Doch allmählich liegt es in vielen Bereichen mindestens gleichauf – oder zieht sogar an China vorbei. Mittlerweile ist Indien zur fünftgrößten Volkswirtschaft avanciert und hat dabei Großbritannien überholt. Die makroökonomischen Aussichten sind vergleichsweise gut: Mit einem Wachstum von durchschnittlich sieben Prozent pro Jahr ist Indien aktuell die am schnellsten wachsende Volkwirtschaft und könnte im Jahr 2050 bereits die zweitgrößte sein. Denn das südasiatische Land verfügt über eine ‚demografische Dividende‘, also eine überwiegend junge Bevölkerung, die den positiven Wandel als Arbeitskräfte von morgen vorantreiben kann.
Rückenwind erhält die indische Wirtschaft zudem durch die rasche Einführung von digitalen Zahlungs- und Kredittechnologien, wie Colin Croft, Emerging-Markets-Experte bei Jupiter Asset Management schon im September vergangenen Jahres betonte: „Rund 40 Prozent aller weltweiten digitalen Transaktionen werden in Indien getätigt, was bedeutet, dass die Steuereinnahmen schneller wachsen, was wiederum zu höheren Investitionen in die Infrastruktur führt.“ Gute Aussichten also, für die weltgrößte Demokratie.
Doch obwohl der Aufstieg des südasiatischen Landes seit längerem gepriesen wird, spielen indische Aktien in den Portfolios vieler heimischer Investoren bisher kaum eine Rolle. Dabei wies der Aktienmarkt im letzten Jahr eine gute Performance auf, während viele andere ins Minus rutschten. Zuletzt hatten ihn viele aber vor allem wegen des Skandals um die Adani Group auf der Agenda, die zu den größten Konzernen des Landes zählt und sich in großem Stil in verschiedenen Bereichen wie Infrastruktur, Mobilität und Erneuerbare Energien engagiert. Nachdem der Leerverkäufer Hindenburg Research Manipulations- und Betrugsvorwürfe gegen einige der Firmen des Konglomerats um Gautam Adani geäußert hatte, verloren die betreffenden Aktien in toto über 120 Mrd. Euro an Wert. Dadurch gerieten auch andere Titel in Sippenhaft.
Chancenreiche Unternehmen
Mittlerweile hat der Trend wieder gedreht und seit Ende Januar zeichnet sich an der Börse Mumbai, an der die 30 größten Unternehmen Indiens gelistet sind (Sensex 30), eine leichte Erholung ab, wie Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank in einer Kapitalmarkteinschätzung schreibt. Allerdings könnten indische Werte wegen der anhaltenden Unsicherheiten rund um die Betrugsvorwürfe in der Konsequenz vorerst volatil bleiben. Gleichzeitig bieten indische Blue Chips langfristig orientierten Anlegern derzeit Gelegenheiten für einen Einstieg, weil sie laut Stratege Stephan „über einen längeren Zeitraum hinweg zweistellige jährliche Wachstumsraten des durchschnittlichen Gewinns pro Aktie versprechen.“
Als Aushängeschilder des Landes, das lange nur als Callcenter der Welt galt, gelten unter anderem die IT-, Kommunikations-, Gesundheits- und die Biotechnologie-/Generika-Branche. Nennenswerte Titel sind hier unter anderem die beiden IT-Unternehmen Infosys und Wipro sowie der Arzneimittelhersteller Dr. Reddys Laboratories.
Ein direktes Investment an der Börse Mumbai ist allerdings schwierig, da hier hohe Auflagen bestehen. Voraussetzung ist zum einen ein indisches Konto. Zudem müssen sich Anleger bei den indischen Steuerbehörden registrieren lassen. Wer hierzulande in den Markt investieren will, kann dies – sofern die Einzeltitel nicht auf deutschem Parkett gehandelt werden – über Fonds oder so genannte American Depositary Receipts (ADRs) machen. Dabei handelt es sich um Hinterlegungsscheine, die US-amerikanische Banken stellvertretend für die Originalaktien ausgeben.
Die langfristigen Wachstumsaussichten sprechen für Indien und damit auch für den Kapitalmarkt des Landes, der parallel zu steigenden Kaufkraft der Bevölkerung zulegen dürfte. Auf der anderen Seite sind Politik und Wirtschaft in Indien eng miteinander verknüpft, einzelne Sektoren stark in einer Hand konzentriert – was zu entsprechend hohen Gewichtungen in Fonds führt. Die Adani-Geschichte könnte noch ein Stresstest für die Finanzbranche werden, da noch unklar ist, wieviel Adani-Beteiligungen bei einzelnen Instituten in den Büchern stehen. All dies sollten interessierte Anleger im Hinterkopf haben.