Capital: Herr Berranger, seit der Gründung im Jahr 1991 La Financiére de l’Echiquier (LFDE) – mit einem derzeit verwalteten Vermögen von rund elf Mrd. Euro als einer der Pioniere für nachhaltigen Geldanlagen. Worauf legen sie besonderen Wert?
OLIVIER DE BERRANGER: Wir suchen seit über 30 Jahren unterbewertete Aktien. Von Anfang an war für uns gute Unternehmensführung, also Governance, ein sehr wichtiger Punkt. Das G in ESG ist also eine Art Gründungspfeiler unseres Unternehmens.
Und wie ging es dann weiter?
Im Jahr 2007, also noch vor der globalen Finanzkrise, ist uns dann klar geworden, dass wir einen weiteren Pfeiler in unserem Investitionsprozess benötigen. Seither wenden wir vor jeder Investition in eine Aktie oder eine Unternehmensanleihe unseren ESG-Ansatz an. Jedes Unternehmen in einem unserer Fonds hat eine E-, eine S- und eine G-Bewertung. Wir führen diesen Prozess immer durch, auch wenn wir einen Fonds nicht eigens als nachhaltig bezeichnen. ESG ist einfach Teil des Risikomanagements und der Bewertung nicht-finanzieller Risiken. Darüber hinaus haben wir für rund 40 Prozent der von uns verwalteten Anlagegelder ein offizielles Siegel für ethisches Investment, so genanntes SRI-Investing. Wir haben für einige Fonds das belgische, deutsche oder französische SRI-Siegel. Vor drei Jahren sind wir noch einen Schritt weiter gegangen und haben einen der ersten Fonds für Impact Investing aufgelegt, dessen Anlagen bestimmte Ziele verfolgt werden wie die Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes.
Wenn sie ohnehin alle Unternehmen nach ESG-Kriterien durchleuchten, wo liegt dann der Unterschied zwischen den verschiedenen Stufen?
Am Anfang stehen Ausschlusskriterien. Alle unsere Fonds legen nicht in sogenannte kontroverse Waffen, Tabak und die Förderung von Kraftwerkskohle an. Wenn es ein SRI-Fonds ist, kommen weitere Ausschlusskriterien dazu wie fossile Treibstoffe, Glücksspiel oder Alkohol. Außerdem investieren wir nicht in Unternehmen, die den UN Global Compact nicht einhalten, also ein Abkommen zwischen Firmen und den Vereinten Nationen zur Globalisierung sozialer und ökologischer Ziele. Im Echiquier Positive Impact Europe-Fonds haben wir auf der dritten Stufe ein Mindest-Rating für das E, das S und das G. Hier müssen die Unternehmen zudem mindestens 20 Prozent ihres Umsatzes mit Produkten und Dienstleistungen erzielen, die den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung dienen.
Tabak schließen sehr viele ESG-Investoren aus. Was ist der Zusammenhang zwischen ESG und dem Rauchen einer Zigarette?
Der Zusammenhang sind die globalen Kosten für die vom Rauchen ausgelösten Krankheiten und die Beeinträchtigung der Gesundheit vieler Menschen. Ohne Tabak wäre der Gesundheitszustand der Menschheit besser – und das ist ein guter Grund für dessen Ausschluss.
Tabak zählt ja zu den so genannten Sündenaktien, also Aktien von Unternehmen, die daran verdienen, dass Menschen im moralischen Sinn Sünden begehen – also Rauchen, Alkohol trinken, beim Glücksspiel wetten oder Pornografie konsumieren. Werden solche Aktien künftig überhaupt gekauft werden?
Dazu müssen diese Unternehmen sich zu Veränderungen verpflichten und sich ihren Kunden gegenüber besser zu verhalten. Ich bin mir sicher, dass in fünf oder zehn Jahren Glücksspielanbieter für jegliche Form von an der Börse aktivem Geld nicht mehr investierbar sein werden. Außerdem werden einige der Unternehmen nicht mehr an der Börse notiert sein, sondern privat gehalten werden.
Wie steht es mit Ölkonzernen?
Es gibt eine Reihe von Ölförderunternehmen, die ihre Aktivitäten bei Erneuerbaren Energien ausbauen. Das ist genau das, was wir erreichen wollen, nämlich sinkende CO2-Emissionen. Wenn eine Firma 70 Prozent ihres Umsatzes mit Öl und Gas erzielt, dann investieren wir nicht in sie. Wenn sie aber einmal ein Wind- oder Solarenergieunternehmen ist, dann kaufen wir auch wieder diese Aktie.
Wenn Sie bei LFDE eine Anlageentscheidung treffen, wie gewichten sie die drei Faktoren E, S und G? Gehen Sie Kompromisse ein, beispielsweise bei einem Unternehmen, das die Technik zur Lösung der globalen Klimaprobleme besitzt, aber ziemlich korrupt ist, also einen hohen E- aber einen miserablen G-Wert hat?
Es ist schwierig für ein korruptes Unternehmen, in die Gruppe der für ESG-Anleger investierbaren Firmen vorzustoßen. Bei uns besitzt Governance das größte Gewicht in der Bewertung mit einem Anteil von 60 Prozent an der ESG-Note, der Rest entfällt grob gesagt jeweils auf Umwelt und Soziales. Unsere Erfahrung zeigt: Wenn ein Unternehmen gut geführt wird und einen hohen Wert für seine Governance erzielt, dann erreicht es auch bei Kriterien wie dem Einfluss auf die Umwelt oder seinen Beziehungen zu Lieferanten und Mitarbeitern bessere Werte. Es kommt sehr selten vor, dass eine gute Governance mit schlechtem Verhalten gegenüber der Umwelt und im sozialen Bereich einher geht.
Werden Unternehmen besser geführt, dann müssten sie ja auch eine bessere Performance haben. Ist das der Grund, warum nachhaltige Geldanlagen in der Regel bessere Erträge abwerfen?
Ein guter G-Wert bedeutet nicht zwangsläufig ein besseres Management, aber in aller Regel eine bessere Ausrichtung auf die Interessen aller Beteiligter. Ein gut geführtes Unternehmen hat meist weniger Probleme mit Umweltthemen oder den Mitarbeitern, es ist meist weniger risikoreich. Um ein Beispiel zu nehmen: In Wirecard waren wir aus Governance-Gründen nicht investiert. Abgesehen davon haben das Geschäftsmodell einfach nicht verstanden.
Sind ESG-Investoren generell etwas vorsichtiger als andere?
Als ESG-Investor ist man sich grundsätzlich bewusster über die Risiken, die man eingeht, auch weil man nicht nur auf die Finanzkennzahlen oder die Rentabilität schaut, sondern auf alle Komponenten des Unternehmens. Wenn die Mitglieder des Aufsichtsrats nicht qualifiziert sind oder die Bezahlung des Top-Managements nicht auch die Interessen der Kleinaktionäre berücksichtigt, dann gibt es eigentlich keine Chance, bei solch einem Unternehmen ein gutes Investment zu tätigen. Das geht vielleicht ein Jahr oder zwei Jahre gut, aber wir sind langfristige Investoren mit einem Horizont von fünf oder zehn Jahren. Wir sehen, dass unsere Arbeit höhere Erträge bei geringem Risiko liefert. Wir arbeiten deshalb gern mit den Unternehmen, in die wir investieren, an deren Verpflichtungen im Hinblick auf ESG und was sie besser machen können – etwa bei der Senkung ihres Kohlendioxid-Fußabdrucks oder dem Anteil von Frauen im Aufsichtsrat.
Große Assetmanager stellen zunehmend ihre ESG-Aktivitäten auf Hauptversammlungen heraus. Wie halten sie es als Boutique, die bei großen Unternehmen quasi ein Kleinaktionär ist?
Wir nehmen zu 100 Prozent an den Hauptversammlungen unserer Unternehmen teil und wir stimmen immer ab. Ich habe mir für das Interview extra eine kleine Statistik bereitgelegt: Im vergangenen Jahr haben wir über rund 5000 Vorlagen in 363 Hauptversammlungen entschieden. In 22 Prozent der Fälle haben wir gegen die Entscheidungsvorlage gestimmt, meist aus den gleichen Gründen: eigenartige Finanztransaktionen oder Übernahmen, Entlohnung des Managements oder die Eignung der Aufsichtsratsmitglieder. Wir treffen uns aber auch mit den Unternehmen und drängen sie beispielsweise zu mehr Datentransparenz oder zur Reduzierung ihres CO2-Ausstoßes.
In den vergangenen Jahren hat sich ESG immer mehr zu einem Standard für Investitionen entwickelt. Fühlen sie sich als Pionier bestätigt?
Das ist eine gute Entwicklung. Je mehr Investoren sich so verhalten, desto besser wird die Welt. Noch ist ESG eine Sache von Nordeuropa und Frankreich, aber gerade bei institutionellen Investoren steigt die Nachfrage deutlich an. In zwei bis drei Jahren wird es nicht mehr möglich sein, einen Fonds ohne ESG-Integration an eine Pensionskasse zu verkaufen. Gerade französische Investoren sind da sehr eifrig. Natürlich besteht auch das Risiko des Green Washing , deshalb hoffen wir auf europäischer Ebene auf einen Standard durch die Taxonomie. Dann wird es keine Diskussionen mehr über die Unterschiede zwischen dem belgischen, deutschen oder französischen ESG-Siegel geben. Derzeit sind sie noch alle sehr verschieden, weil sie unterschiedliche Ansätze verfolgen. Aber das ist ganz natürlich, denn ESG ist keine exakte Wissenschaft.
Die Europäische Union arbeitet an einer ESG-Taxonomie. Ist sie zu bürokratisch?
Nein, keinesfalls. Es ist ein guter erster Schritt. ESG ist immer kompliziert, und Regulierung ist auch nicht immer einfach. Als zweiten Schritt brauchen wir aber ein offizielles europäisches Siegel, auf das wir uns verlassen können.
Was wäre ein gutes Siegel?
Die drei SRI-Siegel aus Belgien, Deutschland und Frankreich sind qualitativ wirklich gut und folgen hohen Standards. Eine Mischung aus den dreien wäre ein gutes europäisches Siegel.
Dann müssen sich Frankreich und Deutschland aber erst mal einig werden, wie sie es mit der Atomenergie handhaben.
Das ist in der Tat ein dicker Brocken. Französische Investoren sehen das Thema anders als deutsche. Wir haben in unseren ESG-Impact-Fonds derzeit keine Unternehmen aus dem Bereich Nuklearenergie, aber es gibt vorläufig auch keinen Ausschluss der Branche. Ich habe da nichts Spektakuläres dazu zu sagen: Wir wissen alle, dass Nuklearenergie gut für die Reduzierung des CO2-Ausstoßes ist, aber langfristige negative Wirkungen hat und das Risiko von Unfällen besteht. Es gibt bessere Wege zur Stromerzeugung mit Wind- und Sonnenenergie, aber die Transformation dahin ist noch ein langer Weg.