Capital: Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins in der Eurozone auf seinem historischen Tief belassen, die US-Notenbank hat ihn in den USA leicht angehoben. Niedrige und steigende Zinsen sind ein doppeltes Problem für Rentenanleger. Viele Investoren weichen jetzt auf Schwellenländer-Bonds aus. Wo sehen Sie Chancen für Renteninvestoren?
Tilmann Galler: Zum Beispiel in Brasilien. Brasilianische Staatsanleihen bieten vergleichsweise hohe Zinsen, vor allem solche Papiere, die in der lokalen Währung, dem Real, notiert sind. Zudem könnte es in Brasilien weitere Zinssenkungen geben. Auch das inflationäre Umfeld verbessert sich allmählich. Wir finden lang laufende brasilianische Anleihen in lokaler Währung interessant. Es gibt nur einen Wermutstropfen…
Welchen?
Der Real hat im vergangenen Jahr deutlich aufgewertet. Er war 2016 eine der stärksten Währungen weltweit und ist inzwischen wieder leicht überbewertet. Dieser Trend könnte im laufenden Jahr drehen. Anleger sollten das Währungsrisiko im Blick behalten.
Viele südamerikanische Länder haben hohe Leitzinsen. Welche Länder sind neben Brasilien interessant?
Wir finden auch Anleihen aus Mexiko attraktiv. Das Land kämpft mit einigen Problemen, nicht nur wegen des neuen politischen Kurses im Nachbarland USA. Auch die fiskalische Situation ist schwierig. Noch vor vier Jahren stammte ein Drittel des mexikanischen Haushaltsbudgets aus den Erdöl-Einnahmen. Der Verfall des Ölpreises hat die mexikanische Wirtschaft unter Druck gesetzt. Hinzu kam der Verfall des Pesos nach der Wahl in den USA.
Moment. Sagten Sie nicht, das Land sei interessant für Investoren?
Genau. Denn nicht zuletzt wegen all dieser Probleme bieten mexikanische Staatsanleihen hohe Zinsen. Außerdem stehen Währungsgewinne in Aussicht, weil der Peso übertrieben stark abgewertet hat. Er ist mittlerweile deutlich günstiger als der Real. Aus Sicht eines Euro-Investors ist Mexiko deshalb noch attraktiver als Brasilien.
"Die Situation in der Türkei erinnert an Russland"
Sind die Risiken für Anleger in den Emerging Markets gesunken?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Die Philippinen sind ein gutes Beispiel dafür, dass politische Risiken in den Schwellenländern immer noch ein Thema sind. Sie waren bei Investoren in den vergangenen Jahren sehr beliebt, vor allem bei Aktienanlegern. Durch den Regierungswechsel hat sich das geändert. Die politischen Risiken haben zugenommen, die Philippinen deutlich an Attraktivität verloren. Anleger müssen abwägen, wie ein Markt bewertet ist und welche Risiken den Renditechancen gegenüberstehen.
Wie können Privatanleger denn feststellen, ob ein politisches Risiko zur Gefahr für ihr Investment wird?
Für Investoren wird es kritisch, wenn sich die Politik in Eigentumsrechte einmischt. Das beste Beispiel dafür ist Venezuela unter dem ehemaligen Staatspräsidenten Hugo Chávez.
Politische Risiken sind zuletzt auch in Ländern aufgeflammt, die lange als politisch stabil gegolten hatten. Zum Beispiel in der Türkei.
Dort hat die Währung so stark abgewertet, dass Investments für uns schon wieder interessant werden. Die türkische Lira ist zusammen mit dem mexikanischen Peso momentan eine der günstigsten Währungen in den Emerging Markets. Die Situation in der Türkei erinnert an Russland im Jahr 2014 und 2015. Auch dort war das politische Risiko hoch und der Rubel stürzte ab. Seitdem hat sich die Lage schon wieder deutlich verbessert.
Russland hat allerdings deutlich geringere Staatsschulden als die Türkei. Wertet der US-Dollar weiter auf, bekommt die türkische Regierung noch größere Probleme, ihre Schulden zu bedienen, oder?
Zurzeit ist ein Investment in die Türkei sicherlich mit erheblichen Risiken verbunden. Das hohe Leistungsbilanzdefizit ist ein Problem. Die Türkei hat nach wie vor einen hohen Finanzierungsbedarf aus dem Ausland und geringere Devisenreserven als andere Länder. Sie ist durch einen starken US-Dollar also durchaus verwundbar. Gerade deshalb bieten türkische Anleihen aber auch hohe Zinsen und Aktien handeln mit einem erheblichen Bewertungsabschlag. Hinsichtlich des Wirtschaftswachstums steht die Türkei vor einer schwierigen Phase, aber wir sehen derzeit keine Wirtschaftskrise heraufziehen.
Tilmann Galler ist Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management