Christoph Bruns ist Fondsmanager, Vorstand und Teilhaber der Fondsgesellschaft Loys AG.
Nach dem einigermaßen wilden Jahresauftakt konnte die Weltleitbörse Wall Street seit Februar ein recht konstruktives Börsenjahr aufs Parkett legen, so dass neue Höchststände in Sichtweite liegen. Ganz im Gegensatz dazu schickt sich der US-Präsidentschaftswahlkampf an, neue Niveautiefstände auszuloten.
Beide Tendenzen kommen nicht überraschend. Die US-Börse legt zu, weil Dauerniedrigzinsen auch in Übersee zur Alternativlosigkeit der Aktienanlage führten, die meisten Unternehmen ihre Profitabilität pro Aktie im Laufe der Zeit steigern konnten und damit immer wertvoller werden.
Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA steuert unterdessen auf Abgründe zu, die vor der Kandidatur Donald Trumps kaum vorstellbar waren. Im Wesentlichen drehen sich die Diskussionen um die Misogynie Trumps und die Verfehlungen Bill Clintons. Der Ex-Präsident und seine libertinöse Vergangenheit werden von Trump mit Vorliebe aufgegriffen. Dabei wird der Ex-Präsident von Trump durchaus als Lustmolch beschrieben, wiewohl dieser gar nicht zur Wahl steht. Daran lässt sich unschwer ablesen, dass inhaltliche Aspekte nicht zu den prägenden Erscheinungen dieses Wahlkampfes gehören. Erfahrene Beobachter der Szenerie halten das Ganze jedoch nur für ein Präludium zum Wahlkampfendspurt und erwarten in den kommenden Wochen weitere spannende Neuigkeiten aus dem Privatleben der Kandidaten; vor allem aus Trumps.
Trump befeuert den Trend zur Boulevardisierung
Bereits jetzt steht fest, dass noch nie in der Historie von US-Präsidentschaftswahlkämpfen ein Kandidat so viel Medienaufmerksamkeit erhielt wie Donald Trump. Ohne Zweifel verfügt der New Yorker Immobilienmogul angesichts seiner Simplizität und Chuzpe über großartiges Medientalent. Niemand vermag den Trend zur Boulevardisierung, den es bereits seit vielen Jahren in den westlichen Demokratien gibt, besser zu befeuern als Donald Trump. Jene Experten, die meinen darin eine Demokratisierung erkennen zu können, berufen sich nicht zu Unrecht auf die Nähe des Wortes „People“ zum französischen „peuple“, so dass die Trumpschen Pöbeleien schließlich in einem volkstümlicheren Licht erscheinen.
Blankes Entsetzen hat freilich jene Amerikaner ergriffen, die sich einbilden, so etwas wie Geschmack oder Taktgefühl zu besitzen. Sie haben sich nicht vorstellen können, wie plebejisch es im Kampf um das Weiße Haus zugehen kann. Keine Beleidigung ist zu niedrig, keine Geschmacklosigkeit zu pervers, keine Vereinfachung zu primitiv, um nicht von Donald Trump in den Ring geworfen zu werden.
Unterdessen spielen politische Themen im Wahlkampf im großen Ganzen eine mediale Nebenrolle. Während man bei Frau Clinton eine Fortsetzung des Status quo erwartet, bleiben Trumps Absichten einigermaßen diffus, radikal und widersprüchlich; aber immerhin anders. Dem Kasinobetreiber ist auf Schritt und Tritt anzumerken, dass er kein Politiker ist. Ihm fehlt ein politischer Apparat und, neben einem Mindestmaß an Diplomatie, vor allem vertiefte Kenntnis in Sachthemen, wenngleich nicht alle seiner Vorschläge abwegig sind.
Zugleich liegt gerade hier die Stärke Trumps, denn er kann füglich behaupten, kein Washington-Insider zu sein. Zu den großen politischen Ritualen amerikanischer Politik gehört es bekanntlich seit Jahrzehnten, auf das dysfunktionale Washington verbal einzudreschen. Es ist sein Status als unpolitischer Außenseiter, der Trump besonders in der weißen Unterschicht Zulauf beschert.
Wall Street spendet für Clinton
Überdies weiden sich die Medien an der illustren Alphagestalt Trumps. Seit über einem Jahr vergeht kein Tag, an dem der 70-Jährige nicht die Hauptschlagzeilen und Aufmacher stellt. Wie zu vermuten war, spielen dabei alte Frauengeschichten die Hauptrolle, weil sie die Aufmerksamkeit und Phantasie des Publikums wie kaum ein zweites Thema fesseln.
Die Wall Street beobachtet das unterhaltsame Hauen und Stechen mal mit Entsetzen, dann mit Belustigung, oft mit Verachtung und immer aus gespannter Distanz. Insgesamt rechnet der Finanzsektor mit einem Wahlsieg Clintons und hat auch entsprechend gespendet, damit größere Börseneruptionen ausbleiben.
Freilich sind es nicht die Stärken Clintons, die dafür den Ausschlag geben. Denn sonderlich populär ist die Kandidatin nicht. Ihr geht – hierin ganz ähnlich Margaret Thatcher und Angela Merkel - das Feminine völlig ab. Stattdessen gilt sie als sachlich und maskulin, aber ohne Esprit und Charisma. Das Kalkül der Wall Street zugunsten der ehemaligen Außenministerin bezieht sich vielmehr auf die weiten offenen Flanken Trumps, namentlich der schlechte Leumund bei Frauen sowie bei Minderheiten, die einen Wahlsieg Clintons aus Sicht der Börsianer wünschenswert und wahrscheinlich erscheinen lassen.
Aus ChicagoIhr
Dr. Christoph Bruns
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