Der vergangene Montag (9. März) dürfte selbst gestandenen Anlageprofis Schweißperlen auf die Stirn getrieben haben. Der Dax verlor zum Wochenstart 7,94 Prozent innerhalb von nur einem Tag – der größte prozentuale Tagesverlust seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. An der Wall Street wurde der Handel sogar vorübergehend eingestellt, weil die Kurse so schnell in den Keller rauschten. An den Gründen für die historisch rasante Talfahrt scheiden sich die Geister: Während die einen an einen kurzfristigen Schock glauben, der ursächlich durch das Coronavirus ausgelöst wurde, vermuten andere tieferliegende Börsenprobleme.
Klaus Kaldemorgen erklärt den raschen Kursverfall tatsächlich mit dem Coronavirus und der damit einhergehenden deutlichen Abschwächung der Weltwirtschaft. Der Ölpreis-Schock habe den Abwärtstrend noch verstärkt, sagt der DWS-Starmanager. Weil sich mehrere Top-Ölfördernationen nicht auf eine Begrenzung der Fördermenge einigen konnten, stürzte der Ölpreis am Montag kurzzeitig um 30 Prozent ab. Institutionelle Anleger, die aufgrund ihrer Risikobudgets ihren Aktienbestand reduzieren mussten, hätten daraufhin schnell reagiert, sagt Kaldemorgen.
Die Corona-Krise falle in eine Zeit, in der die Börsen besonders anfällig für externe Schocks seien, sagt wiederum Eduard Baitinger, Leiter des Bereich Asset Allocation bei Feri Trust. An vielen Märkten, insbesondere in den USA, seien Aktien zuletzt überbewertet gewesen – und damit prädestiniert für überproportional scharfe Korrekturen. Am Schwarzen Montag kam laut dem Feri-Experten darüber hinaus ein weiteres Phänomen zum Tragen: die „Fear of missing out“. „Nach einer ersten Korrektur zu Anfang der Coronavirus-Krise glaubten viele, dass das Schlimmste überwunden sei. Daraufhin zogen die Kurse noch einmal stark an. Viele investierten aus Angst, etwas zu verpassen“, sagt Baitinger. Als sich die Lage wider Erwarten noch verschlimmerte , sei die Flucht aus dem Aktienmarkt deshalb umso heftiger ausgefallen.
Corona führt zur Blitzrezession
Schon an der Frage, ob Aktien zuletzt eigentlich überbewertet waren, scheiden sich die Geister. „Im 15-Jahres-Vergleich zeigt sich, dass die Bewertungen nicht drastisch gestiegen sind“, argumentiert DWS-Manager Kaldemorgen. „Bedenkt man das drastisch gefallene Zinsniveau, könnten die Aktienbewertungen heute schon viel höher sein als sie es tatsächlich sind.“ Auch Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank, hat zuletzt keine Überbewertungen beobachtet. Günstig seien Aktien allerdings nicht mehr gewesen, sagt auch er. „Für uns gab es zwei Szenarien, die der hohen Bewertung von Aktien entgegenwirken könnten: entweder die Zinsen steigen oder die globale Konjunktur bekommt Risse.“ Nun sei durch das Coronavirus Letzteres eingetreten – und habe in eine „Blitzrezession“ gemündet.
Einige Marktbeobachter schreiben ETFs und anderen Indextrackern in Krisenzeiten eine Verstärkerwirkung zu. Sie gehen davon aus, dass passive Produkte Abwärtstrends noch befeuern können. Im vergangenen Jahr verzeichneten Indexfonds in Europa rekordhohe Mittelzuflüsse. Haben ETFs also eine Rolle dabei gespielt, dass die Kurse in den vergangenen drei Wochen besonders rasant gefallen sind? Anlageexperten sagen: nein. Massenhafte ETF-Verkäufe sind bislang nämlich ausgeblieben. Allerdings könne es einen Kursrutsch durchaus verstärken, wenn es im ETF-Bereich sehr starke Rückflüsse gebe, sagt DWS-Mann Kaldemorgen. Auch Feri-Experte Baitinger betrachtet die wachsende Zahl von ETFs in den Händen wenig erfahrener Anleger als potenzielles Risiko.
Die Anlageprofis sind sich noch in einem weiteren Punkt einig: Anleger sollten sich auf eine Rezession einstellen, die womöglich bis Ende des Jahres andauert. Grund für Optimismus gibt es trotzdem. Der jüngste Kursverfall sei nicht mit dem Platzen der Dot-com-Blase oder der Finanzkrise 2008 zu vergleichen, sagt Kaldemorgen. „Die Krisen damals waren strukturell bedingt. Jetzt handelt es sich um eine temporäre Krise, verursacht durch eine Epidemie.“