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Versicherungen Lebensversicherungen: der große Graben

Die Bundesbürger gehen gern auf Nummer sicher. Mehr als 2000 Euro gibt jeder Deutsche statistisch betrachtet pro Jahr für Versicherungen aus.
Die Bundesbürger gehen gern auf Nummer sicher. Mehr als 2000 Euro gibt jeder Deutsche statistisch betrachtet pro Jahr für Versicherungen aus.
© Pixabay
Die Lebensversicherungsbranche spaltet sich immer stärker auf: Die Großen wachsen, die kleinen ächzen. Die Frage ist nur: Nützt das nun den Kunden – oder schadet es ihen sogar?

Die Nachrichten könnten widersprüchlicher nicht sein: Die Aufsichtsbehörde BaFin sorgt sich bereits um ein Viertel der Lebensversicherer hierzulande. Deswegen hat sie inzwischen rund 20 Unternehmen unter „intensive Aufsicht“ gestellt, unter „Manndeckung“ nennt sie das selbst. Die Rating-Agentur Moody´s warnte jüngst davor, dass der Druck auf die Unternehmen weiter wachsen wird. Vor allem jetzt, wo klar ist, dass die Zinsen nicht steigen wie erhofft, sondern weiter sinken werden. Denn vor allem die sinkenden Zinsen in der Kapitalanlage machen es den Lebensversicherern immer schwerer, ihre großen Versprechen einzuhalten, die sie Millionen Kunden in Form von Garantiezinsen gegeben haben – so zumindest stöhnt die Branche seit Jahren. Deshalb zweifeln auch immer mehr Kunden, ob sich Lebens- und Rentenversicherungen als Sparform überhaupt noch lohnen, zumal die Erträge daraus immer weiter sinken. Soweit die schlechten Nachrichten.

Auf der anderen Seite frohlocken Branchenunternehmen über steigende Beitragseinnahmen und der Präsident des Gesamtverbands GdV freute sich vernehmlich, dass die Lebenssparte im ersten Halbjahr um rund neun Prozent gewachsen sei. Er glaubt, das Vertrauen in die Lebensversicherung sei zuletzt wieder gestiegen und findet, die Branche stehe solide da. Wie passt das zusammen?

Tatsächlich kann man einigen Versicherungsunternehmen dieser Tage regelrecht beim Wachsen zusehen – allen voran der Allianz, die mittlerweile unübersehbar den Markt beherrscht. Es kommt eben darauf an, auf welches Ende der Versichererskala man schaut. Denn vor allem eine Entwicklung ist in der Branche mittlerweile unübersehbar: Sie driftet immer weiter auseinander, einigen wenigen geht es gut, vielen anderen dagegen schlecht.

Häufig wird von den großen 12 Anbietern der Branche gesprochen, weil dieses Dutzend rund 63 Prozent des Marktes unter sich aufteilt. Das aber täuscht gewaltig über einen Fakt hinweg: Tatsächlich gibt es nur ein großes Versicherungsunternehmen, nämlich die Allianz. Sie hat es inzwischen geschafft, ihren Marktanteil auf rund 25 Prozent auszubauen. Was ein einzelner Versicherer in einem Feld aus 84 Wettbewerbern erst einmal schaffen muss. Und das in rasender Geschwindigkeit, denn im Jahr 2000 lag ihr Marktanteil noch bei übersichtlichen 9 Prozent. Wie dominant der Branchenprimus inzwischen am Markt ist, zeigt diese Zahl: Man müsste schon die sechs nächstgrößten Lebensversicherer fusionieren, um an ihre Größe heranzukommen. Und selbst die kämen dann zusammen nur auf 22,6 Prozent Marktanteil.

Im Neugeschäft reicht den Münchenern schon jetzt niemand mehr das Wasser: Deutlich mehr als ein Drittel des Neugeschäfts gehen auf ihr Konto, sagen Branchenexperten, in einigen Bereichen ist es fast jeder zweite Vertrag, den sie für sich verbucht. Deshalb ist auch kein Ende ihres Wachstums abzusehen. Man darf im Gegenteil sogar davon ausgehen, dass sie in Zukunft noch ihre Stellung am Markt ausbauen wird. Und daher die berechtigte Frage stellen, wie sehr man da noch von Wettbewerb sprechen kann. Denn auch bei der Beitragssumme im Neugeschäft müssten sich schon die nächsten fünf größten Wettbewerber zusammentun, um die Allianz zu toppen.

Auch die Alte Leipziger hat sich seit dem Jahr 2008 mehr als verdoppelt, sie gilt als das am stärksten gewachsene Lebensversicherungsunternehmen in diesem Zeitraum, wenn man die gebuchten Bruttobeiträge als Maßstab nimmt. Das enorme Wachstum relativiert sich allerdings schnell, wenn man dazu sagt, dass sie insgesamt auf 2,5 Milliarden Bruttobeiträge kommt – also nur auf etwa ein Zehntel der Allianz.

Und es gibt noch ein Feld, in dem der Branchenprimus deutlich dominiert: beim Gesamtüberschuss. Dort buchte die Allianz Leben im vergangenen Jahr einen Überschuss von mehr als 3 Milliarden Euro für sich. Das war ein Wachstum im Vergleich zum Vorjahr von knapp 20 Prozent, hat der Professor für Finanzwirtschaft Hermann Weinmann ermittelt. Der nächstgrößere Konkurrent R+V Leben kam demnach auf 795 Millionen Euro, die Aachen Münchener und Zurich Deutscher Herold immerhin auf über 500 Millionen Euro. Und auch hier wieder das gleiche Bild: Die sechs nächstgrößten Wettbewerber der Allianz kommen gemeinsam auf ebenso viel Gesamtüberschuss wie der Marktführer, auf rund drei Milliarden Euro.

Zumindest um diese Firmen muss man sich also wohl keine Sorgen machen. Und wie steht es nun um die Gesamtbranche? Lassen wir einmal die schwächelnden Unternehmen beiseite, die derzeit damit beschäftigt sind, ihr Neugeschäft einzustellen, das Geld für Rückstellungen zusammenzukratzen, Altverträge abzuwickeln oder mit anderen Gesellschaften zu fusionieren. Denn all das ist ja nur eine logische Konsequenz daraus, dass der Markt mit 84 Unternehmen viel zu zersplittert ist, von denen ein bloßes Dutzend bereits Zweidrittel des Volumens unter sich aufteilen.

Wie es um die Eigenkapitalrendite der Lebensversicherer hierzulande steht, hat der Aktuar Karl Michael Ortmann zusammengetragen, er ist Professor an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin und kommt nach den Zahlen der Finanzaufsicht BaFin zu folgendem Ergebnis: in den Jahren 2009 bis 2017 habe der Jahresüberschuss der Versicherer im Verhältnis zu den verfügbaren Eigenmitteln bei 11,9 Prozent gelegen. Fast 12 Prozent, das darf man erstaunlich finden für eine Branche, die seit Jahren über sinkende Erträge stöhnt, von nicht einzuhaltenden Verpflichtungen spricht und stetig nach Erleichterung von Seiten des Gesetzgebers ruft. Vergleiche man diese Eigenkapitalrendite mit der Umlaufrendite für öffentliche Anleihen, die bei 0 Prozent liege, so sei die Frage berechtigt, findet Ortmann „inwiefern zweistellige Renditen für das unternehmerische Risiko von Versicherern zeitgemäß sind.“

Aber womit fahren die Versicherer diese satten Renditen überhaupt ein? Klagen sie nicht ständig über sinkende Zinserträge aus der Kapitalanlage? Das tun sie und tatsächlich fahren sie branchenweit auch seit 2014 häufiger Verluste mit der Geldanlage ein. Wobei es allerdings Versicherer gibt, die das besonders gut können und zuletzt noch konstant über 4 Prozent bei der Nettoverzinsung erzielten. Während andere es erheblich schlechter machen und kaum noch auf zwei Prozent kamen, so schlüsseln die Daten des branchenweiten Map-Reports auf. Im Branchenschnitt jedoch ist die Verzinsung um fast einen Prozentpunkt gesunken von 4,5 auf 3,6 Prozent, allein von 2017 auf 2018. Was also sorgt dann für de üppigen Erträge?

Es sind die Gewinne, die Versicherer an zwei anderen Stellen einfahren: Es sind die Risiko- und Kostengewinne, die sie machen. Denn von jedem Beitrag, den sie vom Kunden verbuchen, behalten sie einen Teil ein. Zum einen für die Kosten, die sie für Verwaltung und Vertrieb haben. Zum anderen als Risikoabschlag dafür, dass viele Versicherte vielleicht doch älter werden als gedacht und daher erheblich länger Rentenauszahlungen beziehen, wofür die Versicherung ja lebenslang garantieren muss. Und natürlich müssen diese beiden Abschläge betriebswirtschaftlich sein, staunen darf man aber über Folgendes: Ihre Kosten haben viele Versicherer in den vergangenen Jahren erheblich gesenkt. Teilweise wurden sie auch vom Gesetzgeber dazu gezwungen. An ihre Kunden weitergegeben hat die Branche diese Einsparungen aber anscheinend nicht. Deshalb schreibe sie stabil und jährlich Kostengewinne von über einer Milliarde Euro pro Jahr, hat Ortmann errechnet. Die Sterblichkeitsgewinne sind sogar noch höher, so heißen die Überschüsse, die anfallen, wenn viele Kunden dann doch nicht so alt werden, wie von den Aktuaren kalkuliert. Wenn die Renten also doch viel kürzer gezahlt werden müssen als gedacht. Allein an diesen Sterblichkeitsgewinnen verdienen die Lebensversicherer deutlich über 3 Milliarden Euro pro Jahr.

Das verwundert nicht, wenn man sich ansieht, mit welcher Lebenserwartung die Branche rechnet: Das Statistische Bundesamt berechnet zwar regelmäßig das durchschnittliche Alter, das Bundesbürger erreichen, die Aktuare der Versicherungen allerdings rechnen vorsichtshalber zwölf Jahre drauf. Im Klartext: Sie gehen davon aus, dass ein durchschnittlicher Rentenversicherter zwölf Jahre länger lebt als ein Durchschnittsbürger. Entsprechend sind die Verträge und ihre Renditen kalkuliert. Daher ist es auch kein Wunder, wenn sich viele Policen für die Kunden erst rechnen, wenn die tatsächlich steinalt werden. 92 Jahre statt der aktuell durchschnittlichen 80 Jahre müssten es also schon sein.

Das alles führt in Summe dazu, dass sich Verträge heute für Versicherte immer weniger rechnen. Vergleicht man die Auszahlungen im Vergleich zu den Einzahlungen von heute mit jenen vor 20 Jahren, dann müssen Kunden heute für eine garantierte Monatsrente von 100 Euro insgesamt das Dreifache einzahlen, um dasselbe herauszubekommen. Allein die Abschlusskosten hätten sich seitdem ebenfalls verdreifacht, rechnet Ortmann vor. Im Verhältnis zur eingezahlten Beitragssumme hätten sie sich zwar nur marginal erhöht, so argumentiert die Branche gerne, aber setzt man die Abschlusskosten ins Verhältnis zur garantierten Rente, dann betragen sie heute 105 Prozent davon, früher waren es 35 Prozent.

Genau das sind Zahlen, weswegen man sich zwar über das Wachstum der großen Lebensversicherungsunternehmen freuen kann. Weswegen man aber auch fragen darf, auf wessen Kosten sie ihre wachsenden Gewinne erzielen. Und was man als Kunde nun wirklich davon hat.

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