Jedes Jahr sucht Capital aus 1800 Aktien die besten Dividendenpapiere heraus, die alle Krisen der vergangenen 25 Jahre gemeistert haben, und stellt sie als „50 Aktien fürs Leben“ vor. Alle diese Titel sind gelistet im Aktienindex Stoxx Global 1800, der jeweils die nach Marktkapitalisierung größten 600 Unternehmen aus Nordamerika, Europa und dem asiatischen Raum enthält. Doch welche Empfehlungen kommen heraus, wenn statt menschlicher Aktienexperten die KI-Software ChatGPT einen Anlagevorschlag liefert?
Die Capital-Redaktion prüft die insgesamt 1800 Unternehmen händisch für die jährliche Auswahl, und zwar auf ihre Dividendenkontinuität und die Stabilität ihrer Bilanzen. Dafür analysieren Redakteurinnen die Dividendenhistorie und berücksichtigen ausschließlich Aktien, die mindestens 25 Jahre gelistet sind und ihre Dividende in dieser Zeit nie gestrichen oder gekürzt haben. Außerdem geprüft werden die Schulden einer Firma sowie ihr Wachstum bzw. ihre Gewinnaussichten. Gleichzeitig sollen Anlegerinnen und Anleger für die hohe Qualität keinen zu hohen Preis bezahlen, weshalb auch die Bewertung einer Aktie und damit ihr Kurs-Cashflow-Verhältnis eine wichtige Rolle spielt.
Ähnlich gibt auch ChatGPT vor zu verfahren, wenn man die Künstliche Intelligenz (KI) auffordert, 50 Aktien fürs Leben aus dem Stoxx Global 1800 auszuwählen: Für „ein diversifiziertes Portfolio von Blue-Chip-Unternehmen“ suchte die KI nach Unternehmen, „die eine starke finanzielle Performance aufweisen, einschließlich Umsatzwachstum, Rentabilität und Kapitalrendite“, schreibt ChatGPT. „Ich berücksichtigte Unternehmen, die stabile und zuverlässige Dividenden zahlen.“ Auf Nachfrage gibt die KI an, Firmen ausgewählt zu haben, die über eine Dividendenhistorie von mindestens zehn Jahren verfügen. Außerdem nahm ChatGPT Firmen mit großer Marktkapitalisierung, „um Liquidität und Stabilität zu gewährleisten“. Um sicherzustellen, „dass das Portfolio gut diversifiziert ist und Marktschwankungen standhalten kann“, habe sie Unternehmen aus verschiedenen Branchen ausgesucht, die zudem einen Wettbewerbsvorteil haben.
Folgende Liste an Unternehmen spuckt die KI daraufhin aus – samt Hinweis, dass es sich dabei um keine Anlageempfehlung handelt und die Auswahl subjektiv sein könne:
- Alphabet Inc. (GOOGL)
- Amazon.com Inc. (AMZN)
- Apple Inc. (AAPL)
- Microsoft Corporation (MSFT)
- Facebook Inc. (FB)
- Visa Inc. (V)
- Mastercard Inc. (MA)
- JPMorgan Chase & Co. (JPM)
- Bank of America Corporation (BAC)
- Citigroup Inc. (C)
- Wells Fargo & Company (WFC)
- Johnson & Johnson (JNJ)
- Procter & Gamble Co. (PG)
- The Coca-Cola Company (KO)
- PepsiCo Inc. (PEP)
- AT&T Inc. (T)
- Verizon Communications Inc. (VZ)
- Comcast Corporation (CMCSA)
- Walmart Inc. (WMT)
- The Home Depot Inc. (HD)
- McDonald's Corporation (MCD)
- Nike Inc. (NKE)
- International Business Machines Corporation (IBM)
- Cisco Systems Inc. (CSCO)
- General Electric Company (GE)
- Boeing Co. (BA)
- Lockheed Martin Corporation (LMT)
- Raytheon Technologies Corporation (RTX)
- Caterpillar Inc. (CAT)
- Honeywell International Inc. (HON)
- The Procter & Gamble Company (PG)
- The Walt Disney Company (DIS)
- Netflix Inc. (NFLX)
- Goldman Sachs Group Inc. (GS)
- Morgan Stanley (MS)
- American Express Company (AXP)
- UnitedHealth Group Incorporated (UNH)
- Merck & Co. Inc. (MRK)
- Pfizer Inc. (PFE)
- Johnson Controls International plc (JCI)
- AbbVie Inc. (ABBV)
- Bristol-Myers Squibb Company (BMY)
- Eli Lilly and Company (LLY)
- Novo Nordisk A/S (NVO)
- Roche Holding AG (ROG)
- Sanofi SA (SAN)
- Siemens AG (SIE)
- Toyota Motor Corporation (TM)
- Royal Dutch Shell plc (RDS-A)
- Total SE (TOT)
ChatGPT zu sehr auf USA fokussiert
Unter den Firmen sind tatsächlich mehrere, die auch Capital 2022 als Aktien fürs Leben identifizierte – etwa der Rüstungskonzern Lockheed Martin sowie die Pharmaafirmen Roche und Sanofi. Allerdings stammen die von der KI vorgeschlagenen Firmen zum allergrößten Teil aus den USA, einige aus Europa und nur wenige aus Asien. Damit birgt der Vorschlag von ChatGPT ein großes regionales Klumpenrisiko.
Auch kleinere und weniger bekannte Firmen wie den Lebensmittelhersteller Kewpie, die Pharmafirma Recordati oder den Agrarkonzern Archer Daniels Midland hat der Chatbot offenbar nicht auf dem Schirm. Dafür stellt die Künstliche Intelligenz die Big Five – also die fünf führenden US-Techfirmen Alphabet/Google, Apple, Amazon, Microsoft und Facebook/Meta – stark heraus. In die Capital-Auswahl der 50 Aktien fürs Leben schafften es Techkonzerne bisher nicht, weil sie noch über keine lange Dividendenhistorie verfügen. K.-o.-Kriterium ist bei den meisten dieser Firmen aber die teure Bewertung.
Wie ChatGPT in der Finanzwelt angewendet werden kann, untersuchten jüngst zwei Studien: Für die Untersuchungen wurde der Chatbot von OpenAI für marktrelevante Aufgaben eingesetzt, wie der Nachrichtendienst Bloomberg berichtete. Demnach ging es in der ersten Studie darum, zu entschlüsseln, ob die Aussagen der US-Notenbank Fed im Falken- oder im Taubenlager verortet waren. Die zweite Untersuchung versuchte festzustellen, ob ChatGPT erkennen kann, inwiefern Schlagzeilen gut oder schlecht für eine Aktie waren. In beiden Fällen lag ChatGPT in seinen Aussagen und Einschätzungen oft richtig.
„Dies ist einer der seltenen Fälle, in denen der Hype echt ist“, zitiert Bloomberg Slavi Marinov, Leiter der Abteilung für maschinelles Lernen beim Spezialist für datenbasierte Anlagestrategien Man AHL. Denn die KI kann offenbar auch dann Nachrichten größtenteils korrekt interpretieren und daraus Aktienbewertungen ableiten, wenn die Nachrichten nach Ende 2021 veröffentlicht wurden und damit in einen Zeitraum fallen, der in den Trainingsdaten des Chatbots nicht enthalten war.
Dass künstliche Intelligenz bei der Geldanlage zum Einsatz kommt, ist für die Börsenwelt nichts Neues. Quants – also Mathematikerinnen und Physiker – nutzen sie seit Jahren, um damit neue Handelsstrategien zu entwickeln. Einige Vermögensverwalter setzen KI bei der Zusammenstellung ihrer Portfolios ein. Dafür analysieren die Algorithmen riesige Datenmengen von Fonds und anderen Finanzprodukten. Die Branche hofft damit nicht nur auf Einsparungen von Geld und Zeit, sondern auch auf Gewinnsteigerungen.
Die KI Iris beispielsweise kam bereits bei der Deutschen Bank zum Einsatz. Dort unterstützte sie während einer Pilotphase im Cash-Operations-Team bei der Zahlungsabwicklung für deutsche Großunternehmen. Auch die Commerzbank testete verschiedene Anwendungen.
KI soll außerdem bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität wie etwa Geldwäsche helfen. Die Deutschen Bank nutzt dafür seit 2019 das KI-Modell „Black Forest“, analysiert Transaktionen und notiert Verdachtsfälle. Es habe bereits diverse Fälle aufgedeckt: „einen mit Bezug zur organisierten Kriminalität, Geldwäsche und Steuerhinterziehung“, schreibt die Deutsch Bank. Bei jeder Kapitalbewegung werden verschiedene Kriterien begutachtet, darunter der Geldbetrag, die Währung, das Zielland und ob die Transaktion online oder am Schalter gemacht wurde. Sofern etwas verdächtig erscheint, erhält die Kundenbetreuerin oder der Kundenbetreuer eine Meldung. Am Ende braucht es also doch noch einen Menschen, um die finale Entscheidung zu treffen.