Alles begann mit einem harmlosen Tweet von Elon Musk am 1. Oktober vergangenen Jahres. Damals reagierte der Tesla-Chef auf die Frage einer Aktionärin bei X, damals noch Twitter, warum er so „großartig, fit, durchtrainiert und gesund“ sei, mit zwei sparsamen Worten: „Fasten und Wegovy.“ Niemand ahnte damals, welchen Stein er damit an der Börse ins Rollen bringen würde. Schnell war klar, nicht nur Musk, auch andere Promis wie Kim Kardashian setzten in Sachen Speckrollen auf Helferlein aus der Pharmabranche.
In diesem Fall auf Wegovy, eine Abnehmspritze, die in den USA bereits Mitte 2021 auf den Markt und kürzlich auch in Deutschland in den Verkauf kam. Dem dänischen Pharmaunternehmen Novo Nordisk, das hinter dem Produkt steht, hat Wegovy zu Rekordumsätzen verholfen. Der Aktienkurs zog mit. Seit damals legte er bereits um satte 170 Prozent zu. Allein in diesem Jahr waren es 32 Prozent. Der Marktwert von rund 400 Mrd. Dollar an der Börse ist bereits jetzt höher als die jährliche Wirtschaftsleistung des Heimatlandes. Damit ist Novo Nordisk mit Turbogeschwindigkeit zum zweitwertvollsten börsennotierten Unternehmen in Europa nach dem Luxusgüterkonzern LVMH aufgestiegen. Und der Thron von LVMH wackelt bereits.
Novo Nordisk ist damit eine absolute Ausnahmeerscheinung. „Denkt man an Dänemark, dann sicher nicht zuerst an Novo Nordisk. Dieses Unternehmen macht aber mittlerweile 50 Prozent des gesamten dänischen Aktienmarktes aus“, sagt Konstantin Oldenburger, Marktanalyst von CMC Markets ntv.de. „Ozempic von Novo Nordisk ist wahrscheinlich das bekannteste Adipositas-Medikament. Die gesamte Gesundheitsbranche steht Kopf. Das Plus bei Novo Nordisk seit der großen Finanzkrise liegt bei rund 3000 Prozent“, so Oldenburger. Ozempic kam bereits 2018 auf den Markt, es wurde zur Behandlung von Diabetes entwickelt, wird aber von Patienten ebenfalls zur Behandlung von Fettleibigkeit eingesetzt.
Der größte Blockbuster der Pharmageschichte?
Erst am Mittwoch erhielt der Hype um die Diätspritzen des Unternehmens weitere Nahrung. Wegovy senkt einer Studie zufolge zusätzlich das Risiko von Schlaganfällen und Herzinfarkten bei übergewichtigen Menschen um 20 Prozent. Dass es neben dem Gewichtsverlust einen weiteren medizinischen Nutzen des Präparats gibt, befeuert Hoffnungen, dass Wegovy nun auch noch das Image eines Lifestyle-Präparats abstreifen kann – und sich zu einem richtigen Medikament entwickelt. Ein besseres Ergebnis hätte man sich nicht erhoffen können, kommentierte die Analystin Emily Field von der britischen Bank Barclays. Es sei ein regelrechtet „Homerun“. Die Aussicht, dass Novo Nordisk weiteres Wachstumspotenzial besitzt, katapultierte die Aktien noch einmal 17 Prozent nach oben.
Immer mehr Patienten reißen sich inzwischen um das Wundermittel. Die Lieferkapazitäten des Unternehmens sind bereits am Limit. Um die Nachfrage der Bestandskunden bedienen zu können – das Medikament muss einmal monatlich gespritzt werden –, soll der Zugang zu Wegovy für Neupatienten in den USA noch weiter eingeschränkt werden als bisher. Auch hierzulande rennen Übergewichtige ihren Ärzten für das verschreibungspflichtige Medikament offenbar die Türen ein, wie der stellvertretende Leiter der Sektion für Adipositas und Metabolische Chirurgie an der Universität Freiburg, Jodok Fink, im Interview mit RTL bestätigt. „Immer mehr meiner Patienten haben sich nach Wegovy erkundigt“, berichtet er. Die Kassen übernehmen die Kosten nicht. Fink geht davon aus, dass viele Patienten bereit sein werden, das Medikament aus eigener Tasche zu bezahlen.
Selten erleben Marktteilnehmer jedoch gleichzeitig einen so kometenhaften Anstieg einer Aktie. Auch Marktbeobachter hat das Fieber gepackt. Die Analysten von Jefferies beziffern den jährlichen Weltmarkt für Injektionspräparate wie Wegovy oder Ozempic auf bis zu 150 Mrd. Dollar. Andere prognostizieren, dass die Medikamentenklasse alle bisherigen Schallmauern in der Pharmabranche durchbrechen wird. Wegen der rasant steigenden Nachfrage hob Novo Nordisk am Donnerstag seine Prognose für das Gesamtjahr an. Das Unternehmen erwartet nun für 2023 ein Umsatzwachstum von 27 bis 33 Prozent statt 24 bis 30 Prozent. Das Betriebsergebnis soll um 31 bis 37 Prozent statt nur um 28 bis 34 Prozent zulegen.
„Novo Nordisk könnte Dänemarks Börse in die Depression stürzen“
Auch wenn Luft nach oben scheint vorhanden scheint, machen sich Sorgen breit, dass die Luft auch schnell dünner werden könnte. Ist Wegovy und der Hype um Abnehmspritzen die nächste Blase? „Wenn Novo Nordisk unter einem Schnupfen leidet, könnte das Aktienbarometer eines ganzen Landes in eine monatelange Depression stürzen“, sagt CMC-Markets-Analyst Oldenburger. Gleichzeitig beschwichtigt er: „Derzeit sieht es jedoch nicht so aus, als ob Novo Nordisk dieses Schicksal ereilt, da es mit seinen Medikamenten genau den Nerv der Zeit trifft.“ Was künstliche Intelligenz für die Technologiebranche ist, sind aus seiner Sicht Medikamente zur Gewichtsreduzierung für die Pharmaindustrie. „Etwas weniger Hype, aber ein ähnlicher Verlauf.“
Trends ändern sich. Wie immer in der Pharmabranche ist es laut Oldenburger wichtig, langfristig auf das Auslaufen von möglichen Patenten zu achten, die aktuell gut laufende Medikamente betreffen. „Haben Unternehmen keine weiteren Blockbuster im Programm, könnte die Erfolgsstory an der Börse schneller zu Ende sein als es Anleger auch nur erahnen können.“ Zudem könnte sich das Thema Gewichtsreduzierung als Modeerscheinung entpuppen. Auch die Nebenwirkungen des Medikamentes müssten beachtet werden. Diese könnten sich in der Zukunft ebenfalls auf die Umsätze und damit auf die Bilanz des Unternehmens auswirken, so Oldenburger. Der Arzt Christoph Spec bestätigt schon heute: „Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Probleme, Durchfall, Krämpfe und Verstopfung sind sehr häufig.“
Trotz der Risiken sieht Oldenburger den Trend in der Aktie vorerst aufwärtsgerichtet. Er empfiehlt das Juli-Tief bei 1008 dänischen Kronen zu beachten. „Fällt der Wert darunter, könnte sich das Sentiment schnell abkühlen und weitere Kursverluste in Richtung 750 Kronen drohen.“ Dann wäre an der Börse viel Speck weg.
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen