Der September hat unter Anlegern den Ruf, ein besonders kritischer Börsenmonat zu sein. Viele Lieblinge wie Tesla weisen prozentual dreistellige Zuwächse seit Jahresbeginn auf und sind anfällig. Bei Apple und Nvidia waren die ersten September-Tage aufgrund mauer Nachrichten aus China und Spekulationen über frisierte Zahlen bei Nvidia wenig verlockend. Die Technologiebörse Nasdaq musste ihre Rallye unterbrechen und manch einer erwartet mindestens einen Test der Tiefs vom August. Es gibt statistisch aber auch spannende Gründe dagegen.
Anleihen wie Kaugummi gegen die Aktienrallye
Wer in den USA derzeit fünf Prozent Zinsen mit sicheren Anleihen erhält, wird es sich gut überlegen, am Aktienmarkt zu investieren. Ähnlich sieht die Rechnung für deutsche Kleinanleger aus. Es gibt wieder Alternativen zu Dividendenwerten und dies ist grundsätzlich eine gute Nachricht. Gerade wer bisher seine Ersparnisse auf dem Girokonto liegen hatte, sollte aktiv werden und seine Finanzen in die Hand nehmen.
Aktien bleiben aber statistisch unter Renditegesichtspunkten auch bei drei Prozent Zinsalternative erste Wahl, auch wenn derzeit die Skeptiker wieder Hochkonjunktur haben. Zugegeben: Der Spätsommer ist aus taktischer Sicht eher ungünstig, um mit viel Risiko einzusteigen. Kein anderer Monat weist an der Wall Street über die vergangenen zehn Jahre eine so negative Bilanz auf, dies gilt auch für Vorwahljahre. Auch der deutsche Aktienindex Dax ist davon betroffen: „Seit dem Jahr 2000 liegt die Erfolgswahrscheinlichkeit für den September bei weniger als 50 Prozent. Das Vorjahr ist hier ebenfalls keine Ausnahme: Wer Mitte September den Dax kaufte, lag am Monatsende bereits zwölf Prozent im Minus“, rechnet Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets vor.
September-Performance nicht nur schwach
„Durchschnittsangaben haben aber so ihre Tücken und zeigen oft kein klares Bild“, erklärt Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung der Börse München/Gettex. Besser sei es, die aktuelle markttechnische Verfassung stärker zu berücksichtigen, meint Betz. So notierte der S&P 500 Ende August rund 17 Prozent im Plus, verlor allerdings im Vormonat 1,7 Prozent. Eine ähnliche Ausgangslage mit mindestens zehn Prozent Gewinn bis Ende August und einer negativen Bilanz in den folgenden vier Wochen gab es seit 1950 bisher zehn Mal. In acht Fällen verlief der September positiv und der Markt stieg um gut zwei Prozent. Klingt also recht ausgeglichen.
„Dies bedeutet natürlich nicht, dass auch 2023 weiter steigende Kurse ausgemachte Sache sind“, so Betz. Zwischenzeitlich kam es immer zu Rückschlägen, die Börse ist schließlich keine Einbahnstraße. Vor allem das letzte Septemberdrittel, das dieses Jahr mit der Fed-Sitzung am 20. September eingeläutet wird, hat eine negative Bilanz.
Auf den Schlussspurt achten
„Den möglichen Sommerschlussverkauf an der Börse kann man aber auch als langfristige Chance sehen“, meint Salah-Eddine Bouhmidi, Head of Markets beim Online Broker IG Europe. Denn mit dem November und Dezember kommen noch im Durchschnitt gute Börsenmonate, so Bouhmidi. Auch die Statistik bis zum Jahresende kann sich sehen lassen mit einer Trefferquote von 100 Prozent und der Aussicht auf weitere neun Prozent Zuwachs beim S&P 500, das ergab eine Auswertung der Börsenstatistiker von Index-Radar.
Selbst der Dax könnte aus seiner Lethargie der vergangenen Monate noch ausbrechen. Notierte der Index Anfang September mehr als zehn Prozent im Plus, ging es seit dem Jahr 2000 bis zum Jahresende immer weiter nach oben. Im Schnitt verdienten Anleger gut neun Prozent.
Statistik ist biegsam
Klar ist aber auch: Nur darauf zu setzen, dass es in den USA dieses Jahr auch wieder so kommen wird wie in den zehn anderen Fällen seit 1950, es also nach unten geht, ist natürlich ein Spiel mit dem Feuer. Gerade jetzt, wo wieder Sorglosigkeit dominiert und Vola-Barometer wie der Vix mit 14 Punkten nur knapp über dem Jahrestief stehen, bieten sich kurzfristig für aktive Anleger Versicherungen mit Put-Optionsscheinen an – sie sind aktuell günstig zu haben. Und für Freunde der Statistik gilt obendrein immer: Wenn zwei Menschen in einem Raum sind und einer ein ganzes Hähnchen isst, dann haben statistisch beide eine Hälfte gegessen aber nur einer ist satt.