Capital: Herr Brühl, war die Übernahme der Credit Suisse für die UBS ein schlauer Deal?
VOLKER BRÜHL: Nein, eine geordnete Abwicklung der Credit Suisse wäre viel sinnvoller gewesen. So infiziert man die kerngesunde UBS durch eine seit Jahren kränkelnde Credit Suisse, von der niemand weiß, welche Risiken sich noch in ihr verbergen.
Aber die Schweizer Behörden wollten doch gerade dadurch für Stabilität sorgen. Ist das nicht gelungen?
Ich bezweifle das. Ich kann die Notsituation verstehen, in der sich die Schweizer befanden. Ich verstehe auch, dass sie übers Wochenende eine Lösung herbeiführen wollten. Aber man hat die UBS faktisch zu der Übernahme gedrängt, die weder im Sinne der Aktionäre noch der Mitarbeitenden und Kunden ist. Die Kursreaktionen bei Ankündigung der Übernahme veranschaulichen ja die Unsicherheit der Anleger.
Was bedeutet der Deal für die UBS?
Die UBS ist inzwischen wieder eine ausgezeichnet aufgestellte Bank. Die erfolgreiche Transformation wird durch die Übernahme der Credit Suisse gefährdet. Zwischen beiden Häusern bestehen erhebliche Überlappungen. Es ist zu erwarten, dass durch die Fusion Erträge verloren gehen, weil Kunden, die bislang bei beiden Banken sind, ihre Kundenbeziehungen überdenken werden. Hohe Integrationskosten in Verbindung mit dem Abbau tausender Stellen werden die Folge sein. Die Sanierung wird mindestens fünf bis zehn Jahre dauern. Allein die Zusammenführung der IT ist eine Herkulesaufgabe. Ob diese Lösung dauerhaft trägt – da mache ich ein Fragezeichen dahinter. Wir haben bei der Commerzbank und der Dresdner Bank gesehen, dass eine Übernahme selbst bei kleineren Banken Jahre dauern kann.
Wäre eine Abwicklung der Credit Suisse nicht chaotisch geworden?
Die Schweizer Behörden behaupten das. Ich sehe das anders. Man hätte einen solchen Bailout – um nichts anderes handelt es sich hier – vermeiden müssen. Die erste große Schieflage seit der letzten Bankenkrise führt dazu, dass seitens der Schweiz alle guten Vorsätze über Bord geworfen werden. Too big to fail ist also doch noch Realität. Wäre diese Situation in der EU entstanden, hätte man die Credit Suisse geordnet abgewickelt, davon bin ich überzeugt. Das Instrumentarium haben wir inzwischen mit der Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie „Bank Recovery and Resolution Directive“ und dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus per „SRM‑Verordnung“.
In der Schweiz gelten diese Vorschriften nicht. Aber man verfügt über ähnliche Instrumente. Man hätte die Einlagen von Privatanlegern garantieren und die Aufrechterhaltung der Liquidität seitens der Schweizer Notenbank auch in diesem Fall gewährleisten müssen. Anschließend hätte man die Bank zerlegen und die werthaltigen Teile an unterschiedliche Interessenten verkaufen können. Ohne einen Bail-in – also die Beteiligung der Gläubiger an der Sanierung der Credit Suisse – wäre dies sicher nicht gegangen. Aber in einem geordneten mehrjährigen Verfahren kann man das so gestalten, dass andere Banken nicht in Schieflage geraten. Selbst bei der Pleite von Lehman Brothers, die man in den USA in einem klassischen Insolvenzverfahren nach Chapter 11 abgewickelt hat, haben die besicherten Gläubiger ihr Geld komplett zurückbekommen, die unbesicherten Gläubiger immerhin zu mehr als 40 Prozent, das ist eine sehr gute Quote.
Weil Sie Lehman ansprechen: Sie waren während der Finanzkrise 2007/2008 selbst Investmentbanker und haben den Zusammenbruch des Finanzsystems miterlebt. Haben die jüngsten Banken-Turbulenzen Sie an damals erinnert?
Ja und nein. Der Auslöser damals war ein anderer, nämlich die Immobilienkrise in den USA. Den Bankern war 2008 schnell klar, dass die faulen Subprime-Geschäfte in den USA globale Auswirkungen haben würden. Die Schieflage der Silicon Valley Bank halte ich dagegen für ein lokal begrenztes Problem. Ich gebe gerne zu, dass ich bei der Credit Suisse an damals und Lehman denken musste, wobei das mehr emotionale als rationale Gründe hat.
Inwiefern?
Die Lehman Bank war eine der großen Spielerinnen im Verbriefungsgeschäft. Es war klar, dass sich die Pleite weltweit auswirken wird und und manche Banken das nicht überleben werden. Bei der Credit Suisse sind die Probleme hausgemacht. Sie ist seit Jahren ein Sanierungsfall und hat den Turnaround nicht geschafft. Deshalb wird sie von der UBS übernommen.
Profitieren deutsche Banken von der Fusion?
Ich glaube, dass es für die deutschen Banken eine Chance ist. Die drei Großen – Deutsche Bank, Commerzbank, DZ Bank – und die Landesbanken können dadurch Marktanteile im deutschsprachigen Raum und damit auch in der Schweiz gewinnen. Neue Kundengruppen können sowohl vermögende Privatkunden als auch Firmenkunden sein.
Das klingt ja optimistisch…
Ich halte das für realistisch. Das Vertrauen in dieses riesige neue Finanzinstitut aus UBS und Credit Suisse muss sich noch entwickeln. Das wird die UBS viel Momentum kosten, das andere für sich nutzen können.
Kann die Größe der neu entstehenden Riesen-Bank zum Problem werden?
Das ist das größte Risiko dieses Zusammenschlusses. Es entsteht ein Supertanker, der bei einem Zusammenbruch das globale Finanzsystem destabilisieren kann. Außerdem wird der Wettbewerb in der Schweiz massiv eingeschränkt. Das ist weder für den Finanzplatz noch für die Wirtschaft der Schweiz eine gute Nachricht.
Teilen Akteure an den Kapitalmärkten diese Sorge? Die Kurse sind weiter volatil…
Die volatilen Aktienmärkte sind sehr stark durch Spekulanten beeinflusst und durch Hedgefonds getrieben. Das wäre aber auch bei der Ankündigung einer Abwicklung so weitergegangen. Solche Phasen muss man als Unternehmen und Investor einfach aushalten. Diese Schwankungen nehmen schrittweise wieder ab.
Wann wird es an den Börsen wieder ruhiger?
Das dauert noch. Wir kommen jetzt in eine Phase der enormen Unsicherheit, weil die Übernahme zwar angekündigt, aber noch nicht vollzogen ist. Alles ist in der Schwebe, denn die Kartellbehörden mehrerer Länder müssen die Fusion erst genehmigen. Theoretisch kann der Deal also noch scheitern, wovon ich allerdings nicht ausgehe. Die Beteiligten gehen davon aus, dass die Fusion bis Ende des Jahres vollzogen wird. so lange hängt die Credit Suisse in der Luft. Die Aktienkursschwankungen werden sehr hoch bleiben.
Können Privatanlegerinnen und -anleger Bank-Aktien jetzt günstig kaufen oder drohen Verluste?
Die Aktien sowohl der UBS als auch der Credit Suisse werden Gegenstand von Spekulationen sein. Das sind Zockerpapiere. Privatanleger sollten die Finger davon lassen. Andere Bank-Titel dürften sich in den nächsten Wochen wieder berappeln, sodass die Bewertungen wieder realistisch sein werden.
Muss es strengere Regeln für Banken geben?
Wir sind mittlerweile beim Regelwerk Basel IV angekommen. Man muss sich im Detail anschauen, was bei der Credit Suisse schiefgelaufen ist. Die Erkenntnisse werden bestimmt zu weiteren Lehren führen. Hundertprozentige Sicherheit werden wir aber nie haben. Trotzdem glaube ich, wenn die Credit Swiss in der Europäischen Union angesiedelt und unter der Aufsicht der EZB gewesen wäre, dann wäre das in dieser Form nicht passiert. Eine Bank in Schwierigkeiten hätte schon vor drei oder vier Jahren so massive Auflagen bekommen, dass es nicht so weit gekommen wäre wie jetzt in der Schweiz.