Es ist nicht so, dass Pessimismus generell eine gewinnbringende Eigenschaft wäre. Im Gegenteil, laut Studien gelten Optimisten grundsätzlich eher als die Erfolgreicheren und sogar auch als die Gesünderen innerhalb der Spezies Mensch. Vermutlich findet man auch mehr Optimisten als Pessimisten im Kreis der Aktienanleger und zumindest auf lange Sicht zahlt sich die Zuversicht statistisch gesehen meistens aus. Wer aber bereits vor ein paar Wochen zum Skeptiker wurde und ins Börsenlager der Pessimisten wechselte, für den hat es sich diesmal ausgezahlt. Schon im Spätsommer nämlich gab es die ersten schlechten Nachrichten von den Technologieaktien . Im späten Juli und Anfang August krachten – für viele recht unerwartet – die Kurse von Facebook, Twitter und Netflix plötzlich ein. Schon da stand die bange Frage im Raum: Ist das nur eine kleine Kursdelle, die bald wieder ausgebügelt sein wird? Oder ist es gar der Anfang vom Ende des langen Aktienaufschwungs? Einige Techaktien kletterten danach weiter auf ihr bisheriges Jahreshoch. Inzwischen aber scheint die Antwort klar.
Sieht man sich die Kurscharts von Technologieindizes und Einzelaktien heute an, dann hat spätestens im September der große Abwärtsdrall begonnen. Einzig die Microsoft-Aktie konnte sich noch bis Anfang Oktober diesem Trend widersetzen, schlug inzwischen aber auch den Weg nach unten ein. Für die allermeisten Technologiegiganten geht es seitdem sogar steil bergab: Alphabet - der Google-Mutterkonzern – und Apple büßten seit ihrem Jahreshöchststand (Ende Juli und Ende August) rund 20 Prozent ein – womit sie fast noch glimpflich davongekommen sind. Amazon verlor 25 Prozent, Netflix sogar 34 Prozent. Und Facebook führt mit 37 Prozent Wertverlust die Liste der großen Verlierer an. Die Techaktionäre sehen Rot und die Analysten ebenso. Denn in nur wenigen Wochen haben allein die fünf großen Internetkonzerne so fast 1000 Mrd. Dollar an Börsenwert verbrannt. Sie haben also an der Börse in etwa so viel Wert vernichtet, wie die Niederlande in einem Jahr mit ihrer Gesamtökonomie erwirtschaften. Die Techkonzerne sind von knapp 3800 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung abgestürzt auf 2800 Mrd. Dollar. Und die schlechten Kurse, die wir in dieser Woche gesehen haben, werden noch lange nicht das Ende des Verfalls gewesen sein.
Nasdaq im Bärenmodus
Warum es noch weiter geht? Weil damit nun amtlich ist, dass nicht mehr die Bullen an den Börsen das Sagen haben, also jene Optimisten, die für steigende Kurse sorgen. Sondern jetzt sind die Bären los. Per Definition befindet sich der Markt im Rückzugsmodus, also im Bärenmarkt, wenn die Kurse seit dem letzten Hoch mehr als 20 Prozent nachgegeben haben. Seit einer Weile schon rechneten die Analysten bei jedem Tageseinbruch ängstlich mit, wann es wohl soweit sei, inzwischen ist klar: Das ist nun zumindest bei den Technologieaktien der Fall. Der amerikanische Technologieindex Nasdaq – der als technologischer Leitindex weltweit gilt – hat von den 7654 Punkten, die er am 30. August erklomm, bereits wieder 24 Prozent abgegeben. Er steht nur noch bei rund 6600 Punkten. Den Tecdax hat es zwar erst um 17 Prozent zurechtgestutzt, doch auch er befindet sich seit Ende August deutlich auf Rückwärtskurs. Er hat gut 500 seiner vormals 3039 Punkte eingebüßt und bringt es zurzeit auf rund 2524 Punkte. Auch im Eurostoxx Technology Index ist der Absturz gut zu erkennen. Er fiel von knapp 575 auf 446 Punkte. Das sind ebenfalls knapp 24 Prozent Kursminus. Die Pessimisten haben damit aktuell die Oberhand auf dem Parkett.
Und anders als im Fall einer kurzen Kursdelle, auf die viele noch im August gehofft hatten, heißt das wohl: Die Skeptiker werden die Kurse vermutlich noch weiter in die Tiefe treiben. Denn üblicherweise läuft es so, wenn die Stimmung nachhaltig von Grundoptimismus in Pessimismus umgeschlagen ist: Ist das erste Fünftel an Kurswert erst einmal vernichtet, dann geht es ganz schnell – und zwar noch flotter abwärts. Denn mit Überschreiten der 20-Prozent-Schwelle brechen sozusagen die Dämme an der Börse, so drücken es die Verhaltenspsychologen aus. Solange die Grundstimmung noch positiv ist, wägen die Börsianer noch sorgfältiger einzelne Nachrichten ab und befinden im Zweifelsfall: So schlimm ist eine einzelne negative Zahl nicht oder eine negative Umsatzprognose. Lohnt es sich wirklich dafür, vom Lager der Käufer ins Lager der Verkäufer zu wechseln? Doch herrsche einmal der Abschwungmodus, dann werde jede einzelne Negativzahl als Beleg dafür genommen, dass die Gesamtlage doch schlimmer sei als bisher gedacht. Und weil keiner derjenige sein will, der angesichts des fortschreitenden Kursverfalls noch als Letzter an den Verliereraktien festhält, schlagen viele immer schneller ihre Papiere los.
Aber muss der Absturz der Technologieaktien nun gleich bedeuten, dass auch die Gesamtmärkte anhaltend nach unten drehen? Noch haben sie das schließlich nicht so eindeutig getan. Der Dax etwa hat zwar in den vergangenen drei Monaten zehn Prozent verloren und auf Jahressicht sogar 15 Prozent eingebüßt. Bisher aber hält er tapfer seinen Status oberhalb der 11.000er-Marke. Und erst ab einem Niveau unterhalb von 10.877 Punkten gilt bei ihm der Bärenmodus als erreicht, also die gefürchtete 20-Prozent-Schwelle. Dennoch halten viele Marktbeobachter es für wahrscheinlich, dass die Gesamtindizes auf kurz oder lang ebenfalls die Richtung der Technologiewerte einschlagen werden. Sie waren es zuletzt, die seit Jahresbeginn die Leitindizes überhaupt noch angetrieben haben. Die letzten Kurssprünge der Technologietitel sorgten dafür, dass auch Dax und S&P500 nicht vollends seitwärts dahindümpelten, sondern wenigstens ein bisschen vorankamen. Obwohl die großen Internetkonzerne Amazon, Apple, Microsoft und Netflix nur vier Firmen von insgesamt 500 S&P-500-Unternehmen sind, sorgten sie doch im ersten Halbjahr für satte 83 Prozent des Gewinns aller Indexfirmen. Kann es sein, dass eine einzelne Branche so anhaltend stark gegen den Markt wächst? Das fragen skeptische Stimmen seitdem.
Die Hoffnung auf rasant steigende Gewinne ist dahin
Inzwischen haben selbst die Internetgiganten ihre Aussichten etwas nach unten korrigiert. Manche äußern zunehmend Ängste wegen steigender Zinsen – und im Dezember steht schließlich bereits die nächste Fed-Sitzung an, in der erneut höhere Zinsen erwartet werden. Netflix etwa hat für große Summen Anleihen unters Anlegervolk gebracht hat, um neue TV-Produktionen damit zu finanzieren und neue Nutzer zu gewinnen. Steigende Zinsen erhöhen die Kapitalkosten des Konzerns enorm und machen es dem Unternehmen künftig schwerer, die Anleihenzinsen zu bedienen. Andere wie Apple legten zwar zuletzt gute Zahlen fürs abgelaufene Quartal vor, doch die Gewinnwarnung eines Zulieferers lässt nun die Analysten skeptisch werden, ob die Verkaufszahlen auch in Zukunft noch halten werden, was der Konzern versprochen hat. Kurzum: Die Hoffnung auf rasant weiter steigende Gewinne ist inzwischen dahin.
Dazu kommt noch etwas anderes: Die Kurse der Technologieaktien wurden in den vergangenen Tagen auch deshalb nach unten geprügelt, weil Anleger Milliardenvermögen aus Technologiefonds abgezogen haben. Die mussten daraufhin ihre Papiere losschlagen. Was die Investoren stattdessen in größeren Mengen kauften: defensive Aktien aus den Bereichen Handel, Pharma, Versorger und Konsum. Die klassischen Aktien also, die sich in einem kommenden Abschwung klassischerweise besser schlagen als der Rest.
Was bedeutet das nun für jene Anleger, die noch nicht die Flucht aus dem Technologie-Ssektor ergriffen haben? Sie sollten sich überlegen, ob sie derzeit trotz des 20prozentigen Abschlags dennoch Gewinne verbuchen seit ihrem Einstieg in diese Aktien. Ist das der Fall, dann lohnt sich noch ein Ausstieg. Wer den jetzt dennoch nicht vollzieht, der braucht alternativ ein paar starke Nerven. Allerdings vermutlich für nicht allzu lange Zeit. Denn statistisch gesehen hält ein Abwärtsdrall an den Börsen rund 12 bis 15 Monate an. Danach streben die Kurse wieder nach oben. In dieser Zeit aber – und darauf sollte man unbedingt gefasst sein – können sich die Kurse um bis zu 80 Prozent zerlegen. Das ist nicht nur eine ganze Menge, es ist eine harte Probe für die Geduld.
Rasch abwärts aber ebenso rasch wieder aufwärts
Einen Trost haben Technologie-Anleger dabei freilich: Wer auf solche Aktien setzt, der sieht sie nicht nur schnell fallen, sondern meist auch sehr schnell wieder steigen. Und zwar auch meist bevor die schwerfälligen Defensivtitel wieder den Weg nach oben finden. Von daher entschädigt der rasche Aufstieg meist für die heftigen Rückschläge. Der Nasdaq etwa hatte in der Finanzkrise nach eineinhalb Jahren den Tiefpunkt erreicht und die Hälfte seines Werts eingebüßt. Doch nach weiteren eineinhalb Jahren hatte er 2010 wieder aufs ursprüngliche Vorkrisenniveau zurückgefunden. Und bis Mitte 2018 sogar seinen Wert fast noch einmal vervierfacht. Manche Analysten sagen deshalb, nur eines sei noch schlimmer, als Tech-Titel jetzt nicht verkauft zu haben: Sie nicht lang genug zu halten um auch den nächsten Aufschwung wieder mitzunehmen.
Langfristig hätten Technologieunternehmen nämlich sehr wohl das Potenzial, weiter zu steigen und immer weiter, so legt eine Auswertung von Goldman Sachs nahe: Demnach gab es in der Börsengeschichte immer wieder Branchen, die nicht bloß ein paar Jahre aufwärts strebten, sondern viele Jahre. Und die sich damit tatsächlich vom allgemeinen Markttrend entkoppelten. Die Eisenbahnunternehmen waren es zuerst, dann die Elektrizitätskonzerne. Und diesmal würden es wohl die Internetgiganten sein, die Erfinder der digitalen Revolution.
Allen Anlegern, die jetzt noch Optimisten sind und die derzeitige Kursschwäche sogar zum Nachkaufen nutzen wollen, raten Analysten: Auf die KGVs achten! Firmen wie Apple, Facebook und Google haben derzeit Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 13, 15 oder 18, das sind extrem gute Werte, denn der marktbreite S&P 500 liegt im Schnitt bei 16. Wichtig ist natürlich, sofern man Einzeltitel kauft, dass es Aktien zukunftsträchtiger Konzerne sind, die im umkämpften Wettbewerb bestehen. Das tun sie am ehesten, wenn ihre Einnahmen wachsen und sie stabile Cashflows generieren – auch wenn sie möglicherweise Verluste schreiben. Noch etwas könnte Erfolg versprechen: Am Ende des Jahres nach den Aktien suchen, die am stärksten abgestürzt sind. Also die größten Kursverluste verzeichnen. Das sind klassischerweise die, die von panischen Börsianern in Schwächephasen über Gebühr abgestraft worden sind – und daher später wohl am stärksten wieder zulegen. So zumindest machen es derzeit einige Profiinvestoren. Die sind bekanntlich eher Optimisten – zumindest wenn es darum geht, wie sie ihre eigenen Gewinnaussichten einschätzen.