EZB-Präsidentin Christine Lagarde stand am Donnerstag wieder einmal vor der himmelblauen Wand im Presseraum der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Dort verkündete sie zum ersten Mal vor ihren US-Kollegen der Federal Reserve eine Senkung der Zinsen – und das obwohl die Inflationserwartungen zuletzt gestiegen sind.
Luca Paolini, Chefstratege bei Pictet Asset Management, wertet den Schritt deshalb vor allem als psychologisches Signal. Die EZB wolle flexibel und stark sein und der Konjunktur in der Eurozone helfen.
Trotz aller Risiken zeigte er sich zuversichtlich für die Entwicklung des Aktienmarktes in der Eurozone, zumindest in den nächsten Monaten. Der europäische Markt biete mehr Chancen als jener der USA, betonte Paolini. Dabei lässt die jüngste Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) eher anderes vermuten. Ihr zufolge soll die Wirtschaft in der Eurozone in diesem Jahr insgesamt um 1 Prozent wachsen, in den USA hingegen um 2,7 Prozent. Doch Europa könnte einen Vorteil haben: Die Lage hier kann kaum noch schlechter werden, in den USA schon.
Dax von 20.000 ist möglich
„Die Gewinne in den USA waren Anfang des Jahres besser als erwartet, aber das ist jetzt vorbei“, sagt Paolini. „In den nächsten zwei bis drei Monaten werden wir deutlich schwächere Zahlen sehen.“ Eine Rezession hält er im Wahljahr zwar für unwahrscheinlich, dennoch werde sich die US-Konjunktur eher negativ entwickeln. Denn neben der erwartbar abnehmenden Dynamik der Unternehmensgewinne, würden die hohen Lebenshaltungskosten in den USA die Wirtschaft bald belasten. Amerikanerinnen und Amerikaner haben wenig gespart und das meiste an Rücklagen aus der Pandemie nun aufgebraucht – anders als die Europäerinnen und Europäer.
In der Eurozone ist die Sparquote höher: rund 14 Prozent im Vergleich zu knapp 4 Prozent in den USA. Gleichzeitig zeigt der Trend für die Wirtschaft Paolini zufolge in Europa nach oben. „Wir warten immer nur auf eine Verschlechterung“, sagt er und zählt auf, was viele Investoren verunsichert: China und Taiwan, der Konflikt im Mittleren Osten, die politische Instabilität der USA und natürlich der Krieg in der Ukraine. In der Eurozone gab es dazu zuletzt kaum Wachstum, die politische Führung sei schwach. Aber was, wenn die Risiken abnehmen und es zu einer positiven Überraschung kommt?
Deshalb werden Paolini zufolge die europäischen Märkte unterschätzt. Pictet Asset Managament setzt also auf europäische Aktien statt auf amerikanische wie noch zuletzt. Die Zinssenkung der EZB, die die Investitionsbereitschaft wieder ankurbeln dürfte, ist einer der Gründe dafür. Ein weiterer ist die wohl bessere Entwicklung der Unternehmensgewinne im Vergleich zu den USA.
„Europa ist gerade ein cooles Umfeld für Aktieninvestoren“, findet Paolini. Sofern die Gewinne der Unternehmen hier nicht wegbrechen würden, sollten die Aktienmärkte weiter steigen. Seiner Einschätzung nach könnte der Dax in diesem Jahr noch die 20.000-Punkte-Marke knacken – gerade liegt er noch bei gut 18.500 Punkten. Das wäre ein Plus von acht Prozent, nachdem der wichtigste deutsche Aktienindex in diesem Jahr bereits gut zehn Prozent zugelegt hat.